Ca. zehn Millionen Menschen bekommen jedes Jahr die Folgen eines Tinnitus zu spĂŒren. Drei Millionen Menschen leiden an chronischem âOhrensausenâ. Was gegen die quĂ€lenden GerĂ€usche hilft und wie man vorbeugen kann, erlĂ€utert Dr. Michael Bohndorf, HNO-Facharzt in DĂŒsseldorf, in folgendem Experten-GesprĂ€ch:
Wie entsteht ein Tinnitus?
Dr. Bohndorf: Ăber die komplexen ZusammenhĂ€nge ist sich die Wissenschaft noch nicht ganz sicher. Störungen im Ohr oder im Hörsystem, verursacht etwa durch LĂ€rm oder EntzĂŒndungen, können PhantomgerĂ€usche auslösen. Oft reagieren Hörsinneszellen dadurch ĂŒberaktiv. Nicht selten spielen aber auch psychische Momente oder Ăberreizungen durch Stressbelastungen eine Rolle bei der Entstehung. HĂ€ufig tritt ein Tinnitus zudem in Verbindung mit einem Hörsturz auf.
Wie Ă€uĂert sich ein Tinnitus?
Dr. Bohndorf: Dem Namen entsprechend (lat. âKlingelnâ) Ă€uĂert sich ein Tinnitus durch störende OhrgerĂ€usche. Manche Patienten beschreiben sie als Klingeln oder Ohrensausen, manche leiden eher unter einem Pfeifen oder Zischen. Dabei handelt es sich um keine Erkrankung, sondern um ein ernstzunehmendes Warnsignal des Körpers. Wichtig ist es, die Ursachen zu ergrĂŒnden, damit keine weiteren Beschwerden wie etwa Schlafstörungen oder Depressionen hinzukommen.
Kann man einem Tinnitus vorbeugen?
Dr. Bohndorf: LĂ€rmschutz und Stressabbau â das sind zwei sinnvolle PrĂ€ventivmaĂnahmen. AuĂerdem gelten auch hier die klassischen Gesundheitsregeln: Möglichst viel bewegen, ausgewogen ernĂ€hren, laute Musik meiden und auf Alkohol und Nikotin verzichten.
Was kann ich selbst gegen die OhrgerÀusche tun?
Dr. Bohndorf: DafĂŒr muss natĂŒrlich erst einmal die Ursache geklĂ€rt werden. Liegen beispielsweise organische GrĂŒnde vor, etwa ein Hörschaden oder eine GefĂ€Ăverengung? Oder sind Stress, LĂ€rm oder eventuell psychische Konflikte die Auslöser? In letzteren drei FĂ€llen helfen oft schon mehr Ruhe und Gelassenheit. Förderlich sind EntspannungsĂŒbungen oder auch der Besuch von Selbsthilfegruppen.
Gibt es “Tricks”, um akut auftretende Phantom-GerĂ€usche “auszuschalten”?
Dr. Bohndorf: Versuchen Sie sich nicht auf die GerĂ€usche zu fixieren, lenken Sie sozusagen die Aufmerksamkeit vom Tinnitus weg. Denn: Je mehr Betroffene sich auf die Beschwerden konzentrieren, desto gröĂer wird das Problem.
Wann muss ich zum HNO-Arzt?
Dr. Bohndorf: Treten OhrgerĂ€usche plötzlich mit einer starken IntensitĂ€t auf oder werden die AbstĂ€nde immer kĂŒrzer, so sollte innerhalb von 24 Stunden der HNO-Facharzt aufgesucht werden. Denn je frĂŒher eine Tinnitus-Therapie beginnt, umso gröĂer die Erfolgsaussichten. Kommt eine Hörverminderung hinzu, so sollte der HNO-Facharzt umgehend konsultiert werden. In vielen FĂ€llen kann auch eine psychotherapeutische Behandlung unterstĂŒtzend helfen.
Wie viele Menschen sind betroffen?
Dr. Bohndorf: Laut einer Studie der Deutschen Tinnitus-Liga tritt Tinnitus jĂ€hrlich bei zehn Millionen Erwachsenen auf. Die Medizin geht davon aus, dass jeder Vierte einmal im Leben von den quĂ€lenden OhrgerĂ€uschen betroffen ist. Erfreulicherweise meist nur vorĂŒbergehend. Anders sieht es bei chronischem Tinnitus aus, der hierzulande ca. drei Millionen Menschen das Leben erschwert. Je lĂ€nger er andauert, desto geringer ĂŒbrigens die Chancen des völligen Abklingens. Deshalb sollte ein Tinnitus immer frĂŒhzeitig behandelt werden, bevor er zur dauerhaften Plage wird.
Wann leide ich unter chronischem Tinnitus?
Dr. Bohndorf: Halten die Beschwerden ca. drei Monate unvermindert an, spricht die Medizin von chronischem Tinnitus. Die OhrgerÀusche verschwinden in diesem Fall nur noch bei ca. einem Viertel der Betroffenen wieder völlig. Dementsprechend wichtig ist es, den Tinnitus bestmöglich ins Leben zu integrieren.
Existieren Medikamente gegen Tinnitus?
Dr. Bohndorf: Nein, bisher wurden keine entsprechenden Medikamente zugelassen. Infusionen mit dem Wirkstoff Lidocain sind wegen möglicher erheblicher Nebenwirkungen höchstens kurzfristig einsetzbar.
Welche neuen Therapie-Optionen gibt es?
Dr. Bohndorf: Es gibt verhaltenstherapeutische Programme, mit denen Betroffene auch zuhause den Belastungen des Tinnitus entgegenwirken können. Die vielen neuen GerĂ€te und Methoden, die im Internet angepriesen werden, sind in Punkto Wirksamkeit grundsĂ€tzlich kritisch zu betrachten. Als neuerer, viel versprechender Therapieansatz bei akutem Tinnitus gilt die Neuro-Musiktherapie. Laut einer klinischen Studie fĂŒhrte diese Kombination aus Gehörschulung und Entspannungstraining bei 85 Prozent der beteiligten Patienten zu einer Verringerung der Tinnitus-Belastungen. (pm)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthÀlt nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.