Arbeitslosigkeit der Eltern wirkt sich auf die Körpergröße der Kinder aus
04.01.2012
Mehrere Studien deuten auf weitreichende gesundheitliche Folgen einer Arbeitslosigkeit hin. Neu ist, dass sich die Erwerbslosigkeit der Eltern auch auf die Körpergröße der Kinder auswirkt. Das fanden Wissenschaftler der Universität Tübingen während einer Studie heraus.
Insbesondere Langzeitarbeitslose leiden unter den physischen und psychischen Folgen einer Erwerbslosigkeit. Das zeigten in der Vergangenheit zahlreiche Auswertungen von Krankenstatistiken der Krankenkassen. Anhaltende Arbeitslosigkeit wirkt sich aber auch auf die Körperbeschaffenheit der Kinder in Arbeitslosenfamilien aus. Laut einer Auswertung von Forschern der Universität Tübingen sind Kinder von Arbeitslosen in der Regel kleiner als ihre Altersgenossen, so die Kernaussage der Studie.
In Kooperation mit dem Landesgesundheitsamt Brandenburg hat der Wirtschaftshistoriker Prof. Jörg Baten die Daten von über 250.000 Kinder aus dem ostdeutschen Bundesland Brandenburg auswertet. In den Daten wurden Erstklässler in dem Land Brandenburg erfasst. Dabei konzentrierte sich das Forscherteam auf die körperliche Größe, Alter und Geschlecht. Danach wurden die sozioökonomische Daten wie beruflicher Status der Eltern, deren Ausbildung sowie die Anzahl der Kinder und Erwachsenen im Haushalt miteinander verglichen. Bei der Analyse wurden Kinder im Zeitverlauf von 1994 bis 2005 berücksichtigt.
Kinder im Schnitt 1,5 Zentimeter kleiner
Erstaunlicherweise zeigte sich bei den Auswertungen, dass Kinder in der ersten Klasse, deren Vater oder Mutter keinen Arbeitsplatz hatten, im Durchschnitt 1,5 Zentimeter kleiner waren, als vergleichsweise Kinder, deren Eltern nicht erwerbslos waren. „Es ist erstaunlich, dass sich die Arbeitslosigkeit in eigentlich gut ernährten und sozial abgefederten Staaten so deutlich auswirkt“, sagte der Historiker am Dienstag bei Vorstellung der Ergebnisse. Die Tübinger Forscher vermuten, dass nicht etwa das geringe Einkommen der Eltern eine tragende Rolle spielt, sondern vielmehr der psychische Stress und die Frustration der erwerbslosen Eltern. Es könnte sein, dass aufgrund der psychischen Situation, Eltern die Belange der Kinder vernachlässigen, so die Vermutung des Professors. "Die Entwicklung dürfte im Westen ähnlich sein."
Als weiteren beeinflussenden Faktor nennt der Forscher das Bildungsniveau insbesondere der Mütter. Denn trotz Fortschreiten der Emanzipation kümmern sich vor allem die Mütter um die Erziehung, Ernährung und Versorgung der Kinder. Kinder im ersten Schuljahr, deren Mütter nicht die mittlere Reife (Realschule) erreichten, sind durchschnittlich elf Millimeter kleiner, als der Nachwuchs von Frauen mit Hochschulreife (Abitur), sagt die Studie. Andere Forschungsarbeiten legen nahe, dass Eltern mit einem höheren Bildungsgrad mehr Wert auf eine gesunde, vollwertige Ernährung legen und sich eingehender um die medizinische Versorgung der Kinder kümmern. Daher, so die Vermutung, entwickeln sich Kinder in höheren Bildungsgraden besser und werden abgesehen von genetischen Faktoren auch im Schnitt größer.
Alleinerziehung hat keine Relevanz
Wachsen hingegen Kinder bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern auf, so wirkt sich dieser Umstand nicht die Körpergröße des Kindes aus. Laut Studieergebnisse sei es positiv, wenn drei oder mehr Erwachsene im gleichen Haushalt leben. Eine denkbare Konstellation ist, wenn Oma oder Opa mit in der Familie leben und sich auch um das Wohlergehen der Kinder kümmern.
Sind Kinder etwas kleiner als ihre Altersgenossen, bedeute das nicht, dass die Eltern arbeitslos oder geringer gebildet sind, betonte der Universitätsprofessor. Die genetischen Vorbindungen, die durch Vater und Mutter übertragen wurden, sind Hauptfaktoren für die spätere Größe des Kindes. Allerdings können Wissenschaftler anhand der Kindergrößen einen Indikator für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen einer Region oder eines Bundeslandes festmachen.
Spielt die Einkommenssituation keine Rolle?
Sebastian Bertram von der Initiative „gegen-hartz.de“ kritisierte die „nur unzureichende Fixierung der Studie auf den Faktor Haushaltseinkommen“. Kindern in sogenannten Hartz IV Haushalten stehen laut der Regelbedarf-Verordnung etwa 2,57 Euro (0-14 Jahre) pro Tag zur Verfügung. Laut einer Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund ist der tatsächliche Lebensmittelbedarf für ein Kind unter 14 Jahre bei mindestens 5,71 Euro pro Tag anzusiedeln. „Nur dann ist eine einigermaßen gesunde Ernährung gewährleistet.“, so Bertram. Nach Meinung des Experten bestehe daher „sehr wohl auch ein Zusammenhang zwischen Mangelernährung und körperlicher Entwicklung des Kindes“. (ag)
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