Gefühle erkennen: Intelligente Brille soll Autisten helfen
17.02.2015
Rund 100 Emotionen können Menschen im Gesicht ausdrücken. Menschen, die an Autismus leiden, können die Gefühle von anderen jedoch meist nur schwer einschätzen. Eine Software, die von deutschen Forschern entwickelt wurde, könnte Autisten künftig dabei helfen.
Datenbrille kann grundlegende Emotionen erkennen
Die meisten Menschen können es oft mit einem Blick erfassen, ob jemand traurig oder fröhlich, verärgert oder überrascht schaut. Autisten fällt dies jedoch extrem schwer. Sie müssen meist langwierig lernen, was ein Lächeln oder Stirnrunzeln bedeutet. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, könnte eine Software desFraunhofer-Instituts in Erlangen autistischen Menschen künftig den Alltag erleichtern. Diese zeigt – in eine Datenbrille eingebaut – dem Träger nicht nur, ob sein Gegenüber eine Frau oder ein Mann ist und sein ungefähres Alter. Sondern das Programm kann auch grundlegende Emotionen erkennen und anzeigen.
Programme liegen bei Basis-Emotionen ziemlich richtig
So zeigt sich etwa bei einem Lächeln neben dem Wort „Happy“ (Glücklich) ein roter Balken. Wenn sich der Mund zu einem O formt und die Augen aufgerissen werden, soll der Balken bei „Surprised“ (Überrascht) ausschlagen. Wie es heißt, funktioniert das Ganze zwar nicht perfekt, doch die Fraunhofer-Software „Shore“ (Sophisticated high speed object recognition engine) und ähnliche Programme liegen zumindest bei den sogenannten Basis-Emotionen Ärger, Trauer, Angst, Freude, Überraschung und Ekel ziemlich richtig. „Studien haben gezeigt, dass diese in etwa 90 Prozent der Fälle korrekt angezeigt werden“, so die Berliner Emotionsforscherin Isabel Dziobek. Dies ist erstaunlich, denn „Menschen können um die 100 Emotionen im Gesicht ausdrücken“, wie die Psychologin erklärt.
Software wird zur Werbewirkungsforschung eingesetzt
Seit rund zehn Jahren arbeiten Jens Garbas vom Erlanger Fraunhofer-Institut und sein Team an der Software. Das Prinzip dahinter ist maschinelles Lernen. Das Programm wurde mit über 30.000 Beispielbildern und dazugehörigen Informationen gefüttert. Die Software wird bereits von Konsumforschern zur Werbewirkungs- und Marktforschung eingesetzt. Damit wird beispielsweise erfasst, wie Menschen auf einen Spot reagieren. Und auch in Geschäften werden solche Programme genutzt, um zu erfahren, ob eher Frauen oder Männer kommen, in welchem Alter die Kunden sind, zu welcher Tageszeit sie kommen oder wie sich die Kunden im Geschäft bewegen. Wie Garbas erläutert, reiche hier ein Schild zur Videoüberwachung als Hinweis aus. „Die bloße Auswertung ist hier ein geringerer Eingriff, als wenn die Daten gespeichert würden.“ Auch auf den Betrachter reagierende Display-Werbung gibt es, die Fragen wie „Sie schauen so traurig. Soll ich Ihnen einen Witz erzählen? stellen.
Bei echtem Lächeln sind mehr Muskeln aktiv
„Die Software könnte überall genutzt werden, wo Menschen mit Maschinen interagieren“, so Garbas. Oder im Sicherheitsbereich, wenn erfasst werden soll, „welche mittlere Einstellung eine Menschenmasse hat“. Die Software soll immer feiner zwischen Emotionen unterscheiden können, so das Ziel. Beispielsweise ob ein Lächeln echt ist oder gespielt. Bei ersterem zeigen sich Fältchen um die Augen und mehr Muskeln sind aktiv. Die neue Idee, die Software auf eine Datenbrille aufzuspielen und so für Autisten zu nutzen, hält auch Friedrich Nolte vom Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus grundsätzlich für sinnvoll. Zum Beispiel könne so eine Brille Betroffenen bei Terminen mit Fremden helfen: „Wenn man die Leute nicht kennt, ist es schwieriger, ihre Gefühle einzuschätzen.“
Emotionen mit Hilfe von Übungsprogrammen erkennen
Die Brille bleibe aber dennoch eine Krücke. Nolte zufolge wäre es sinnvoller, Autisten mit Übungsprogrammen beizubringen, Emotionen selbst zu erkennen. „Eine Sprache zu lernen ist natürlich besser als einen Simultanübersetzer danebenstehen zu haben“, so der Experte. Isabel Dziobek arbeitet an solchen Programmen. Den Angaben zufolge kann man mit der Software trainieren, 40 Gefühle zu erkennen. In fast 8.000 Video- und Audiosequenzen wurden die Gefühle von 70 Schauspielern dargestellt. Dziobek meint, dass mit der Software nicht nur Autisten üben könnten, sondern auch Menschen in Berufen bei Zoll, Polizei oder Pflege, die Gefühle besonders genau erkennen müssen. Fraunhofer-Forscher Garbas sieht keine Datenschutz-Probleme: „Die ganze Berechnung findet im Gerät statt, und die Info wird ohne Bezug zur Person gespeichert.“ Die Menschen werden also nicht identifiziert. Da keine Daten die Brille verlassen, sieht auch Miriam Meder vom bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht wenig Probleme. Wie es heißt, sei jedoch unter gewissen Voraussetzungen eine Einverständniserklärung der Nutzer nötig.
Autismus ist angeboren und nicht heilbar
In der Regel wird Autismus als eine angeborene, unheilbare Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns beschrieben. Autismus ist weder heilbar, noch sind die genauen Ursachen für die Entwicklungsstörung bekannt. Symptome und individuelle Ausprägung können dabei laut Experten von leichten Verhaltensproblemen bis hin zu schweren geistigen Behinderungen reichen. Was allen autistischen Behinderungen gemein ist, ist eine Beeinträchtigung des Sozialverhaltens, beispielsweise durch Schwierigkeiten mit anderen Menschen zu sprechen oder Mimik und Körpersprache einzusetzen und zu verstehen. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge zählt Autismus zu den tiefgreifenden neurologischen Entwicklungsstörungen. (ad)
Bild: Tim Reckmann / pixelio.de
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