Tastsinn ermöglicht Krebsdiagnose
23.02.2015
Blinde verfügen in der Regel über einen besonders ausgeprägten Tastsinn, was bei der Diagnose von Brustkrebs durchaus hilfreich sein kann. Die Berufsförderungswerke für Blinde und Sehbehinderte (BFW) in Düren, Mainz, Nürnberg und Halle bilden daher Medizinische Tastuntersucherinnen aus, die Tumore bereits in einem sehr frühen Stadium ertasten können. Diese sind zwar kein Ersatz, doch eine gute Ergänzung, für Ultraschalluntersuchungen und die herkömmliche Mammografie.
Tastuntersuchung: Auf der Suche nach Tumore
„Medizinische Tastuntersucherinnen nutzen ihre besonders ausgeprägte Tastfähigkeit zur Verbesserung der medizinischen Diagnostik“, berichtet das BFW Halle. Dies mache besonders im Rahmen der Brustkrebsfrüherkennung Sinn. Mit ihren Händen ertasten blinde Frauen Zysten und Krebsgeschwüre an Brüsten. Hierfür durchlaufen die Frauen eine Ausbildung auf Basis des Projektes „Discovering hands®“, das von dem Gynäkologen Frank Hoffmann im August 2006 an der BFW Düren gestartet wurde. Das Projekt zielte auf die Abdeckung eines verbesserten Leistungsangebotes beim Facharzt und die verbesserte Teilhabe blinder Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dies werde erreicht „indem blinde Frauen erstmals in einer Arzthelfertätigkeit für den Einsatz in gynäkologischen Arztpraxen oder Frauenkliniken ausgebildet werden, damit Sie hier das Leistungsangebot verbessern und erweitern“, so die Mitteilung des BFW Düren. Entsprechende Ausbildungen für blinde Frauen werden heute vom BFW in Düren, Halle, Mainz und Nürnberg angeboten.
Neunmonatigen Ausbildung zur Medizinischen Tastuntersucherin
Im Rahmen der Ausbildung üben die blinden Frauen unter anderem an Silikonbrüsten mittels filigraner Bewegungen ihre Fingerspitzen kleinste Veränderungen in der Struktur zu ertasten, berichtet die Nachrichtenagentur „dpa“. Insgesamt dauert die Ausbildung neun Monate, in denen den Frauen zunächst „theoretisches Wissen zu Aufbau, Funktion sowie gut- und bösartigen Erkrankungen der Brust“ vermittelt wird, so das BFW Halle. Des Weiteren bilde das „Erlernen und praktische Anwenden der Untersuchungsmethode“, das „Erarbeiten und Erlernen allgemeiner medizinischer Grundlagen“ und das „Training medizinischen Schreibens/Fachterminologie“ wichtige Bestandteile der Ausbildung. Auch patientenorientiertes Sozialverhalten und ein dreimonatiges Praktikum in einer gynäkologischen Praxis und Klinik stehen auf de Programm.
Kein Ersatz für Ultraschall und Mammografie
Die 41-Jährige Silke Germersdorf hat die Ausbildung durchlaufen und ist heute Medizinische Tastuntersucherin (MTU). Ursprünglich war sie gelernte Technische Zeichnerin, doch im Alter von 28 Jahren löste sich ihre Netzhaut ab, so die Mitteilung der „dpa“. Germersdorf musste ihren Beruf aufgeben. Später folgt zudem eine Augenoperation wegen ihres Grauen Stars, bei der als eine Art Nebenwirkung der sogenannte Nachstar zurückblieb, berichtet die Nachrichtenagentur weiter. . Heute sei die 41-Jährige blind, doch als als Medizinische Tastuntersucherin zurück in der Arbeitswelt. „Wir ersetzen Ultraschall und Mammografie zwar nicht, aber wir sind eine gute Ergänzung“, wird Germersdorf von der „dpa“ zitiert. Zudem würden die Patientinnen merken, dass sich jemand Zeit für sie nimmt und sich bei den Untersuchungen entsprechend wohlfühlen. „Eine Untersuchung dauert bis zu 30 Minuten“, so die MTU weiter.
Ausbildung im Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte
In dem BFW Halle wurden laut Mitteilung der „dpa“ nun bereits zum zweiten Mal blinde Frauen zu MTUs ausgebildet. Eine Teilnehmerin habe das Zertifikat bereits im ersten Jahr bekommen, drei weitere legen kürzlich erfolgreich ihre Prüfung ab, so die „dpa“ unter Berufung auf André Kunnig vom BFW Halle. Eine weitere Teilnehmerin des Ausbildungsprogramms sei Susann Arnold, die eigentliche als studierte Sozialarbeiterin tätig war. Sie ist stark lichtempfindlich und habe mit 16 Jahren erste Probleme beim Sehen bemerkt, berichtet die „dpa“. Während ihres Studiums sei die sogenannte Zapfen-Stäbchen-Dystrophie deutlich schlimmer geworden und heute erkenne die 35-Jährige nur bei wenig Licht noch Umrisse. Beim Abtasten der Brust orientiere sie sich mit Hilfe einiger aufgeklebter, rot-weißer Streifen, die als eine Art Raster dienen. Anhand der Streifen könne sie später, die Stelle, an der ihr eine Unebenheit in der Brust aufgefallen ist, exakt benennen. Die Koordinaten werden hierfür in eine Excel-Tabelle eingetragen und „wir geben die Daten an den Arzt weiter, der dann mit der Patientin spricht“, wird Arnold von der „dpa“ zitiert.
Auch Männer können Brustkrebs entwickeln
Die angehende MTU Susann Arnold verweist gegenüber der „dpa“ darauf, dass auch Männer an Brustkrebs erkranken können und daher im Rahmen der Ausbildung ebenfalls Männerbrüste abgetastet worden seien. Insgesamt wird den bilden Frauen innerhalb der neunmonatigen Ausbildung ein umfassendes theoretisches und praktisches Wissen über Brustkrebs vermittelt, was in Kombination mit ihrem besonders feinfühligen Tastsinn oftmals eine besonders frühzeitige Feststellung der Gewebeveränderungen ermöglicht. Mittlerweile werde die Tastuntersuchung laut Angaben der Projektgesellschaft „Discovering Hands“ deutschlandweit in 20 gynäkologischen Praxen und Kliniken angeboten, berichtet die „dpa“.
Frühzeitigere Diagnose möglich
Die Frühzeitige Diagnose spielt bei der Behandlung von Brustkrebs eine maßgebliche Rolle und so könnten die MTUs in Zukunft dazu beitragen, tausende Leben zu retten. Allein im Jahr 2010 wurde laut Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums bei 70.340 Patientinnen erstmals eine Brustkrebsdiagnose gestellt. „Das Durchschnittsalter, in dem Frauen an Brustkrebs erkranken, liegt unter dem für Krebs allgemein. Etwa jede vierte Frau ist jünger als 55, wenn sie die Diagnose erhält, jede zehnte sogar jünger als 45“, so das DKFZ weiter. Die Untersuchung durch eine MTU könnte hier auch in jungen Jahren frühzeitige Hinweise auf die Erkrankung liefern und so die Behandlungschancen deutlich verbessern. Ergibt sich ein positiver Befunden können umgehend weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen durch einen Facharzt eingeleitet werden. (fp)
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.