Der Bundestag beschließt Gesundheitsreform gegen die Stimmen der Opposition. Gesetzlich Krankenversicherte müssen sich auf steigende Kosten einstellen.
(12.11.2010) Der Deutsche Bundestag hat heute die Gesundheitsreform des Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) beschlossen. Der wichtigste Punkt: Die Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung steigen ab dem ersten Januar 2011 auf einen Prozentsatz von 15,5. Die Arbeitgeberbeiträge werden ab diesem Zeitpunkt eingefroren, was bedeutet, dass die zukünftigen Erhöhungen von den Versicherten allein getragen werden.
Der Bundestag hat heute die geplante Gesundheitsreform von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) beschlossen. Gegen die Stimmen der Opposition von SPD, Grüne und Linke beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung die weitreichenden Änderungen im Gesundheitssystem. Mit diesem Beschluss ist es nun ganz offiziell: Die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen steigen. Im kommenden Jahr zahlen damit die Kassenpatienten etwa sechs Milliarden Euro mehr für die Gesundheitsversorgung. Auch auf steigenden Zusatzbeiträge müssen sich die Versicherten einstellen. Denn das komplette Finanzierungssystem im Gesundheitssystem wird umgestellt.
Bereits am gestrigen Tag hatte der Gesundheitsminister Rösler das neu konzipierte Arzneimittelsparpaket durchs Parlament gebracht. Nach Angaben der Koalition sollen somit die Kosten für Medikamente, Ärzte und Kliniken für das Jahr 2011 um rund drei Milliarden Euro gesenkt werden. Um das Milliardendefizit im Gesundheitssystem auszugleichen, wird der allgemeine Beitragssatz der Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozentpunkte angehoben. Das beutet für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Anteilen ein Anstieg von 0,3 Prozent bzw. drei Milliarden für jeden.
Hohes Defizit im Gesundheitsfond
Der Bundesgesundheitsminister Rösler räumte in seiner Ansprache im Bundestag ein, dass trotz aller Bemühungen zur sinnvollen Kostendeckung im gesetzlichen Gesundheitssystem ein Defizit von rund neun Milliarden Euro im Jahr 2011 zu erwarten sei. Dieses Defizit müsse in Zukunft von den "Leistungserbringer, Steuer- und Beitragszahler" erbracht werden. Nach Ansicht des FDP Ministers bleiben „Kranke“ hiervon verschont. So sagte Rösler: „Die einzige Gruppe, die wir nicht belasten, sind die tatsächlich Kranken“.
Steigende Kosten werden mit einem Zusatzbeitrag ausgeglichen
Trotz aller Kritik der Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände verteidigte der Minister die geplanten Änderungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach seiner Ansicht sei es ein „Fortschritt“, dass die steigenden Ausgaben im Gesundheitssystem zukünftig mit weiteren Zusatzbeiträgen bei den Krankenkassen ausgeglichen werden. Das bedeutet, dass perspektivisch die Krankenkassen so oder so einen Zusatzbeitrag erheben werden, auch wenn einige Kassen zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Reformen zur Kostendeckung ausreichen werden. Da Arbeitgeber hiervon ausgeschlossen sind, werden die Kosten für Arbeitsplätze nicht „automatisch in die Höhe getrieben. Das ist unser Beitrag für Wachstum und Beschäftigung“, sagte Rösler während der Debatte. Um beispielsweise chronisch Kranke nicht zu belasten, werde ein sogenannter Sozialausgleich eingeführt, dessen Kosten der Bund aus Steuermitteln finanziert. Hiermit werde „die Solidarität auf eine breitere Basis gestellt“, so der Minister. Von einer von der Opposition geforderten solidarischen Bürgerversicherung, die die „Zwei-Klassen-Medizin“ aufhebt, wollte Rösler nichts hören. Seiner Meinung nach, sei die einheitliche Bürgerkrankenversicherung „das Gegenteil von Gerechtigkeit“.
Statt "Zwei-Klassen-Medizin" nun "Drei-Klassen Medizin" erwartet
Die Opposition wollte diese Worte nicht einfach stehen lassen und kritisierte die Gesundheitsreform scharf. In der Abschlussdebatte kritisierten SPD, Grüne und Linke die Pläne als einen Weg in die „Drei-Klassen-Medizin". Die Reformen seien ein Weg in die Privatisierung der Gesundheitskosten. Der Staat würde sich aus seiner Verantwortung immer weiter entziehen. Bei einem entsprechenden Wahlsieg von Rot-Grün bei der kommenden Bundestagswahl versprach die SPD „diesen Murks komplett wieder rückgängig zu machen“, wie die SPD-Vizefraktionschefin Elke Ferner ankündigte. Die nächste Bundestagswahl ist allerdings erst im Jahr 2013, bis dahin könnten kritischen Stimmen aufgrund der schlechten Finanzlage wieder verstummen.
Deutlich war auch die Kritik der Grünen. So sagte die Gesundheitsexpertin Birgit Bender: „Das ist eine Reform, die verdient den Namen nicht.“ Der Gesundheitsminister plane eine Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Rösler hätte seine Verantwortung als Minister für ein „Solidarsystem verfehlt“, wie die Grünen-Politikerin sagte.
Die Linken warfen der Bundesregierung sogar einen „Verfassungsbruch“ vor. Der Linken-Vorsitzende Gregor Gysi sagte, Rösler wolle ein Modell der Kostenerstattung voran treiben. Die Patienten würden demnächst beim Arzt in zwei unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Zum einen in Privat-Versicherte, zum anderen in Kassenpatienten mit Vorkasse-Tarif und schließlich in die benachteiligte Gruppe der „ganz normalen Kassenpatienten“. Die letzte Gruppe könne sich das Vorkasse-Modell aber nicht leisten. Ein Ungleichbehandlung in Krankenhäuser und bei Hausärzten sei zu erwarten. Ähnlich wie jetzt schon bei Kassen- und Privatpatienten.
Das Vorkasse-Modell soll nach Angaben des Ministers freiwillig sein. Das bedeutet, dass zukünftig Kassenmitglieder wählen können, ob sie ähnlich wie bei den Privaten Krankenversicherungen zunächst die laufenden Kosten für Arztbesuche und Behandlungen aus der eigenen Tasche zahlen und erst am Ende des Jahres abrechnen. Nach Ansicht des Linken-Politikers Gysi würden diese Neuregelungen gegen das„Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ verstoßen. Die schwarz-gelbe Koalition hätte mit den Reformen das „Ende der Solidarität eingeleitet.“
Heftige Kritik von Sozialverbänden und Gewerkschaften
Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren die Gesundheitsreform als Einführung einer sogenannten "Kopfpauschale durch die Hintertür". So sagte der Vorsitzende des Wohlfahrtsverbandes "Volkssolidarität" Professor Winkler: "Mit der Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge und der Entwicklung der Zusatzbeiträge zu einer Kopfpauschale werden die schon heute bestehenden Ungerechtigkeiten in der Finanzierung der GKV noch einmal drastisch verschärft.“ Das paritätische System der Gesundheitsversorgung würde mit den Gesetzesänderungen außer Kraft gesetzt werden. Ähnlich drastisch äußerte sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB: So sagte das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Freitag in Berlin: „Mit der Verabschiedung der Gesundheitsreform von Minister Rösler macht die Koalition Politik gegen die Bevölkerung. Es ist der Gipfel der Ungerechtigkeit, dass die 70 Millionen Versicherten der künftig alle Kostensteigerungen allein mit der Kopfpauschale bezahlen sollen.“ Einzig nachhaltig an der Reform sei, dass 90 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung zukünftig mehr belastet werden, so die Gewerkschafterin.
Vorteil für die Private Krankenversicherung
Neben der Einführung der Arzneimittelsparpaketen und den Einsparungen bei den Kliniken soll zukünftig auch der Wechsel von der Gesetzlichen Krankenkasse in die Private Krankenversicherung für Angestellte erleichtert werden, die über ein entsprechend hohes Einkommen verfügen. Mit Beginn des neuen Jahres können Angestellte schneller zu den Privaten wechseln. Der Gesundheitsminister äußerte, dass wohl "Tausende" wechseln werden. Auch dieses Vorhaben wird vor allem von den Krankenkassen kritisiert. Denn diejenigen werden wechseln, die das solidarische Prinzip der Krankenversicherung durch ihre hohen Beiträge aufrecht erhalten.
Sozialausgleich soll Benachteiligte schützen
Da auch das Bundesgesundheitsministerium ein rasanten Anstieg des Zusatzbeitrags erwartet, soll ab dem 1. Januar 2011 ein sogenannter Sozialausgleich gelten. Das bedeutet, dass Zuschüsse vom Bund gezahlt werden, sobald Betroffene zwei Prozent ihres Einkommens für den Zusatzbeitrag der Kasse aufbringen müssen. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Mehrkosten bei rund zwei Milliarden Euro im Jahr liegen werden. Auch wenn viele Krankenkassen versprechen, dass im kommenden Jahr keine Zusatzbeiträge erhoben werden, werden diese zusätzlichen Pauschalen sehr wahrscheinlich bald flächendeckend eingerichtet werden. Wie dieser Ausgleich gezahlt werden soll, ließ der Minister noch offen. Rösler versprach allerdings, die Regelungen für den geplanten Sozialausgleich werden „unbürokratisch sein.“ (sb)
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