Antibiotika wird massenweise bei der Aufzucht von Hühnern eingesetzt. Neben Tierrechts- und Umweltschutzaspekten spielen auch Antibiotika Resistenzen eine gewichtige Rolle. Die Grünen fordern schärfere Kontrollen und Regeln für den Medikamenten-Einsatz in der Geflügelbranche.
(25.10.2010) Fettarm, preisgünstig und bisher von Skandalen wie BSE verschont, gilt Hühnerfleisch bei vielen Deutschen als die vermeintlich gesunde Alternative. Daher ist der Verbrauch in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Doch auch die Schattenseiten insbesondere in der Herstellung des Hühnerfleischs kommen immer mehr ans Tageslicht. So hat das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium gegenüber dem Radiosender NDR Info bestätigt, dass die Mäster in der konventionellen Hähnchenhaltung immer mehr Antibiotika einsetzen. Die niedersächsiche Landtagsfraktion der Grünen fordert daher schärfere Regeln und Kontrollen von der Landesregierung.
24 Tiere pro Quadratmeter
Ungefähr einen Monat werden Masthühnchen alt, bevor sie im Schlachthof enden. Wobei die meisten dieser kurzen Leben in Deutschland im Bundesland Niedersachsen beginnen und enden. In dem Bundesland mit der größten Geflügeldichte stehen mehr als die Hälfte aller Hühnermastbetriebe deutschlandweit. Um dem steigenden Bedarf der Konsumenten gerecht zu werden, ist dabei eine immer höhere Auslastung der Produktionsstätten zu beobachten. So liegt die sogenannte Besatzdichte der Masthähnchen derzeit durchschnittlich bei 39 Kilo bzw. rund 24 Tieren pro Quadratmeter. Durch das Gedränge in den Mastbetrieben, erhöht sich jedoch das Krankheitsrisiko, so dass die Züchter immer häufiger zu Antibiotika greifen. Das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium erklärte gegenüber NDR Info, dass vor zehn Jahren durchschnittlich 1,7 Antiobiotika-Behandlungen pro Mastdurchgang angewendet wurden, heute seien es etwa 2,3 Behandlungen.
Antibiotika-Einsatz nimmt zu
Dies gibt Verbraucherschützern und den Politikern der Opposition besonders zu denken, da eigentlich bereits seit 2006 die Mäster kein Antibiotika mehr als Wachstumsförderer verfüttern dürfen, so dass ein Abnehmen der Behandlungstage zu erwarten war. Antibiotika darf nur noch vom Tierarzt zur Behandlung von Krankheiten verschrieben werden, nicht provisorisch und erst recht nicht zur Wachstumsförderung. Dennoch nimmt der Verbrauch an Antibiotika stetig zu. Dabei nutzen die Züchter anscheinend sämtliche Möglichkeiten, die eine Verabreichung von Antibiotika rechtfertigen können. Ist zum Beispiel ein Tier krank, erhalten alle Hühnchen in dem entsprechenden Mastbetrieb Antibiotika. Meist leben jedoch mehrere Zehntausend Tiere in einem Stall. Der Veterinär Rupert Ebner erklärte gegenüber NDR Info: "So gibt es zwar ein Verbot für Antibiotika als Wachstumsförderer, aber trotzdem wird mehr Antibiotika gegeben – das ist absurd und gefährlich für den Menschen“.
Medikamenten-Einsatz bei der Aufzucht von Hühnern die Regel
Die Hühner in der Massentierhaltung würden laut Heidemarie Helmsmüller, Leiterin der Abteilung Verbraucherschutz und Tiergesundheit des Niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, ohne den Einsatz von Antibiotika oft nicht bis zum Ende ihrer Mastzeit überleben, so dass die Verwendung des Mittels in der Praxis Gang und Gäbe sei. Zu den Angaben des Ministeriums bezüglich der Antibiotika- Behandlungstage äußert sich der ehemalige Leiter des Veterinäramtes in Cloppenburg, Hermann Focke, besonders kritisch. Die Tiere werden, wie auch in der Humanmedizin, meist mehrere Tage mit Antibiotika behandelt, wobei dies in der Regel weit mehr als zwei Tage dauert. So geht Focke, unter Berücksichtigung von Informationen des Ministeriums, die in einer tierärztlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurden, davon aus, dass die tatsächliche Anzahl der Antibiotika-Behandlungstage wesentlich höher liegt. Drei bis sechs Antibiotika-Behandlungen mit einer entsprechend hohen Zahl der Behandlungstage seien nicht selten. "Deswegen können wir davon ausgehen, dass Masthähnchen nicht selten rund zwei Drittel ihrer Lebenszeit Antibiotika bekommen – sie leben ja nur 32 Tage", betonte Hermann Focke.
Ausnahmeregelung für Geflügelbranche
Exakte Zahlen über die Menge der insgesamt in Deutschland abgegebenen Medikamente, liegen bisher nicht vor und die Geflügelbranche hat wahrscheinlich aus gutem Grund bisher stets gegen die Einführung einer Erfassung der Medikamentenabgabe nach Postleitzahlregionen argumentiert. Denn so ließe sich relativ eindeutig zuordnen welche Betriebe wie viel Antibiotika verwenden und ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Ab 2012 soll laut Bundesverordnung in einer Datei erfasst werden, in welche Postleitzahlenregion wie viele Medikamente geliefert werden. Für die Geflügelbranche wurde jedoch eine Ausnahme gemacht, da datenschutzrechtliche Bedenken bestünden, so das Bundeslandwirtschaftsministerium. Kritiker sehen hier jedoch eindeutig das Resultat der intensiven Lobbyarbeit der Geflügelbranche in Richtung niedersächsische Landesregierung. Bereits mehrfach wurde in der Vergangenheit die mangelnde Distanz zwischen Regierungsvertretern und Geflügelzüchtern von der Opposition scharf kritisiert.
Gefahr: Bildung von Resistenzen
Jetzt haben sich gegenüber NDR Info auch mehrere Tierärzte diesen kritischen Stimmen angeschlossen und bezweifelten die Begründung der Ausnahmeregelung. So sagte Rupert Ebner:„Dass es ausgerechnet in der Geflügelbranche keine aufgeschlüsselten Daten geben soll, ist ein Skandal". Er gehe davon aus, dass die Geflügelwirtschaft viel Druck auf die Politik ausgeübt haben dürfte, um die Entscheidung in die jetzige Richtung zu bewegen. Auch aus dem Landwirtschaftsministerium hieß es von Frau Helmsmüller, das man detaillierte Zahlen nicht zuletzt aus Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes begrüßt hätte. Denn der leichtfertige Einsatz von Antibiotika kann dazu führen, dass Erreger Resistenzen bilden, d. h. die Mittel im Ernstfall wirkungslos sind.
Grüne fordern Aufklärung
In Folge der NDR Info Berichterstattung forderte die Landtagsfraktion der Grünen die Niedersächsische Landesregierung auf, die Kontrollen und Regeln für den Medikamenten-Einsatz in der Geflügelbranche zu verschärfen. "Der offenbar unkontrolliert zunehmende Einsatz von Antibiotika und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung für die Konsumenten sind ein Skandal", urteilte Christian Meyer, Agrarexperte der Grünen und ergänzte, dass es inakzeptabel sei, wenn Menschen statt gesundem Fleisch vermehrt antibiotikaresistente Chemiehähnchen auf den Teller bekommen.
Zudem zeigte seine Partei sich irritiert über eine mögliche Einflussnahme der niedersächsischen Landesregierung auf die geplante Bundesverordnung im Sinne der Geflügelzüchter. Daher forderten die Grünen mit einer Kleinen Anfrage von der Landesregierung umgehend Aufklärung. Mit der Postleitzahlen-Aufschlüsselung hätte „man in den Masthochburgen Emsland und Cloppenburg-Vechta sehr schnell erkennen (können), ob dort illegal übermäßig Leistungsförderer gegeben werden", eine Ausnahme von der Regelung ist aus seiner Sicht dementsprechend ärgerlich erklärte der Grünen-Agrarexperte Meyer. So muss nach Auffassung seiner Partei geklärt werden, ob und in welcher Weise Niedersachsen auf diese Ausnahmeregelung für die Geflügelbranche Einfluss genommen hat. "In früheren Befragungen hat das Land behauptet, dass keine Daten über den Umfang des Medikamenteneinsatz vorliegen. Jetzt tauchen neue Zahlen auf. Sollte hier im Sinne der Geflügellobby bewusst vertuscht und verschleiert worden sein, um die umstrittenen Hähnchenhighways und Hunderte von Tierfabriken durchzusetzen, wäre das skandalös!", betonte Meyer. (fp, 25.10.2010)
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Bild: Nico Lubaczowski / pixelio.de
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