Marktradikale Ökonomen fordern Abschaffung der kostenfreien Mitversicherung bei den gesetzlichen Krankenkassen
30.06.2011
Die beitragsfreie Mitversicherung für erwerbslose Ehepartner ist laut Aussage des Geschäftsführers der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), Hubertus Pellengahr, „grob ungerecht“ und sollte daher abgeschafft werden. Die arbeitgebernahe Initiative erklärte, dass durch eine Beteiligung der bisher kostenlos Mitversicherten die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt um 0,7 Prozentpunkte gesenkt werden könnten.
Die kostenfreie Mitversicherung der nicht berufstätigen Ehepartner ist laut Aussage von Hubertus Pellengahr eine „Herdprämie“ und die ungerechter Weise Familien mit einem Einkommen gegenüber den Doppelverdienern begünstige. Die arbeitgebernahe INSM forderte daher am Mittwoch in Berlin die Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung und eine Beteiligung der erwerbslosen Ehepartner an der Krankenversicherung mit 126 Euro pro Monat. Auf diese weise könnten die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen insgesamt spürbar gesenkt werden, erläuterte der Experte.
Kostenfreien Mitversicherung grob ungerecht?
Der INSM-Geschäftsführer bezog sich bei seinen Angaben auf eine aktuelle Studie des Finanzwissenschaftlers Prof. Bernd Raffelhüschen vom Zentrum Generationenforschung der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Dieser hatte bei seinen Untersuchungen „Fehlfinazierungen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro in den Sozialversicherungssystemen identifiziert und diese im wesentlichen für die wachsenden finanziellen Schwierigkeiten bei der Abdeckung der Leistungen verantwortlich gemacht. Die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat sich nun die kostenlosen Mitversicherungen herausgepickt und diese als kostentreibend und „grob ungerecht“ kritisiert. Hier würden Familien mit einem Verdiener gegenüber Doppelverdienern massiv begünstigt. Nach Ansicht des INSM-Geschäftsführers Pellengahr ist die beitragsfreie Mitversicherung von etwa fünf Millionen Hausfrauen und -männer „nichts anderes als eine Herdprämie“. Geht es nach dem arbeitgebernahen Institut, sollten die bisher kostenfrei krankenversicherten Ehepartner in Zukunft eine Pauschale von etwa 126 Euro pro Monat als Krankenkassenbeitrag entrichten. Insgesamt könne auf diese Weise der Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherungen um 0,7 Prozentpunkte sinken, erläuterte Pellengahr.
Fehlfinanzierungen in Milliardenhöhe
Neben den kostenfreien Mitversicherungen hat der Generationenforscher Prof. Bernd Raffelhüschen in seiner Studie für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft weitere Missstände bei den sozialen Sicherungssystemen massiv kritisiert. Der renommierte und liberal geprägte Fachmann bemängelte „Fehlfinanzierungen“ in Höhe von rund 93 Milliarden Euro bei den gesetzlichen Rentenversicherung. Diese „Fehlfinanzierungen“ ergeben sich laut Raffelhüschen zum Beispiel aus den höheren Renten für Einwohner der ehemaligen DDR, da hier die Beitragszahlungen stärker angerechnet würden. Auch ist der Generationenforscher der Ansicht, dass Kindererziehung und Berufsausbildung in der Rentenversicherung nicht wie bisher höher bewertet werden sollten. Raffelhüschen benannte zahlreiche „Schmutzelemente“ die von der Politik über Jahrzehnte in die Sozialsysteme eingebaut worden seien, obwohl dies eigentlich familienpolitische Leistungen wären, welche über die Steuereinnahmen finanziert werden müssten. Bei einer Finanzierung über die Steuer würden „auch Reiche und Beamte an der Umverteilung“ beteiligt, was nach Ansicht des Experten wieder erheblich mehr Gerechtigkeit in das System der Sozialversicherungen tragen würde. Darüber hinaus ließen sich auf diese Weise die Rentenbeiträge um bis zu 1,5 Prozentpunkte senken, erklärte Raffelhüschen.
SPD-Gesundheitsexpertin kritisiert Aufkündigung des Solidarprinzips
Die Reaktion der Sozialverbänden und der SPD zu dem Vorstoß der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft fiel äußerst kritisch aus. Die SPD-Gesundheitsexpertin Elke Ferner benannte die Vorschläge der INSM „mehr als zynisch“ und erklärte, dass vor allem die Abschaffung der kostenlosen Mitversicherung eine „Aufkündigung des Solidarprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung“ darstellen würde. Nach Ansicht der SPD-Politikerin ist nicht die kostenlose Mitversicherung der erwerbslosen Ehepartner das Problem, sondern die sogenannte Ehegattenbesteuerung, welche eine Arbeitsaufnahme für viele Ehefrauen schlichtweg unrentabel mache. Durch die Regelungen der Ehegattenbesteuerung würden die erwerbstätigen Ehefrauen oft deutlich stärker besteuert, was am Ende das Nettoeinkommen soweit reduziere, dass sich die Betroffenen gründlich überlegen, ob sie wieder in Beschäftigung gehen. So sollte nach Ansicht der SPD-Gesundheitsexpertin dringend über eine Neuregelung der Ehegattenbesteuerung nachgedacht werden, anstatt vorschnell eine Abschaffung der Mitversicherung zu propagieren. Darüber hinaus bilde die SPD-Forderung nach Mindestlöhnen einen Schlüsselfaktor zur Behebung der finanziellen Probleme in der Sozialsystemen. Denn „die Sozialversicherungen hätten so Mehreinnahmen, die in die Milliarden gehen“ würden, erklärte Elke Ferner.
Außerehelichen Lebenspartner können nicht profitieren
Lebenspartner, die nicht in einer Ehe zusammen leben, sind angesichts der Diskussionen um mögliche Gerechtigkeit bei der kostenfreien Mitversicherung und der Ehegattenbesteuerung jedoch wieder einmal außen vor. Wer die Ehe nicht als Basis des partnerschaftlichen Zusammenlebens akzeptiert, kann hierzulande – auch wenn sich de Facto im Alltag keine Unterschiede zwischen seiner Beziehung und einer Ehe ergeben – nicht von den möglichen steuerlichen Vergünstigungen und den Vorteilen bei der Krankenversicherung profitieren. Hier stellt sich die Frage, ob diese Situation nicht möglicherweise ebenfalls grob ungerecht gegenüber den außerehelichen Lebenspartnern ist. Sicher hat in unserer christlich geprägten Gesellschaft der Bund der Ehe einen besonders hohen Stellenwert, doch diesen per Gesetzt zur Voraussetzung für einen Großteil der Vergünstigungen zu machen, scheint heute ein wenig überholt. (fp)
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