Ärztechef befürchtet Praxissterben – aber wieso?
Zwei Seelen wohnen, ach in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen. Das berühmte Goethe Zitat trifft momentan anscheinend auch auf den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler zu. Bisher hatte er stets das jetzt vom Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) angedachte und der schwarz-gelben Bundesregierung auf den Weg gebrachte Modell der Kostenerstattung beim Arzt gefordert. Nun warnt Köhler allerdings gleichzeitig davor, dass ein Viertel der Arztpraxen in Folge der Änderungen schließen müssten.
KBV-Chef hat stets Vorteile der Kostenerstattung betont
Bisher hatte Köhler stets die Vorteile der Kostenerstattung betont, bei der gesetzlich Versicherte ihre Behandlungskosten vorerst selbst bezahlen und anschließend von ihrer Versicherung erstattet bekommen. Das Modell führe zu einer besseren Kostenkontrolle und einem erhöhten Wettbewerb, der seinerseits weitere Effizienzsteigerungen mit sich bringe, erklärte Köhler. Bislang habe die Kostensteuerung immer beim Arzt gelegen, „er halte es aber für notwendig, dass auch der Versicherte Eigenverantwortung übernimmt,“ so die Aussagen des KBV-Chefs. Das damit ein erhebliches Praxissterben verbunden sein könnten, fällt ihm allerdings erst nach der Beschlussfassung zum neuen Modell der Kostenerstattung ein. Mit der Äußerung, dass 25 Prozent der Arztpraxen schließen müssten, hat Köhler dabei einen wunden Punkt des Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), getroffen. Denn auch Rösler weiß, wie wichtig den Patienten eine flächendeckende Versorgung ist und reagierte daher entsprechend schnell und zugleich verständnislos auf die Kritik des KBV-Chefs.
Ärzte überlastet, keine Praxis schließt wegen Patientenmangel
Momentan seinen die Ärzte stark überlastet und selbst wenn die Patienten stark zurückgehen würden, müssten keine Praxen mangels Auslastung schließen, hieß es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Wenn überhaupt sei der Nachwuchsmangel ausschlaggebend für die eventuelle Schließung von Arztpraxen. Jeder Deutsche geht nach Aussage des Bundesgesundheitsministeriums durchschnittlich 18 Mal pro Jahr zum Arzt, was bis zu dreimal mehr ist als in vergleichbaren Ländern. So müssen sich die Ärzte keineswegs vor Arbeitslosigkeit aufgrund Patientenmangel fürchten, wie auch die KBV in einer aktuellen Mitteilung einräumte.
Handelt der KBV-Chef lediglich aus Eigeninteresse?
Warum Köhler dennoch mit derartigen Äußerungen mutwillig provoziert bzw. Sorgen und Ängste nicht nur unter den rund 150.000 Mitgliedern der KBV schürt, ist nicht ganz klar. Es werden jedoch erste Spekulationen laut, die davon ausgehen, dass Köhler die von den meisten Mitgliedern der KBV befürwortete Einführung der Kostenerstattung, persönlich ablehnt. Eigentlich gut verständlich, denn bezahlen die Patienten ihren Arzt direkt, verliert die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihre Bedeutung und ihr Chef Köhler eventuell seinen Job. Bisher ist die KBV für die Verhandlungen mit den Versicherungen über die Honorierung der Ärzte zuständig. Letztendlich könnte Köhler mit seiner Warnung vor der Schließung von 25 Prozent der Arztpraxen also versucht haben, das Modell der Kostenerstattung – entgegen seiner öffentlichen Unterstützung – inoffiziell zu torpedieren, um so auch seinen eigenen Job langfristig zu sichern. Alles in allem werfen die äußerst ambivalenten Äußerungen Köhlers jedoch ein eher bescheidenes Licht auf die KBV und die Öffentlichkeit muss sich fragen, welchen Wert sie Anregungen aus dieser Richtung in Zukunft beimisst. (fp, 12.10.2010)
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