Im Umfeld des Atommülllagers Asse ist die Zahl der Leukämie-Erkrankungen überproportional hoch. Dies ergibt sich nach Aussage des NDR aus der noch nicht veröffentlichten Statistik des niedersächsischen Krebsregisters.
26.11.2010
In den Zahlen sehen die Experten der Ärzteorganisation IPPNW („Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.“) einen weiteren „Beleg für den ursächlichen Zusammenhang von ionisierender Strahlung und einem erhöhten Krebs- und Leukämierisiko“. Schon vor über 20 Jahren stand die erhöhte Anzahl der Leukämiefälle (Blutkrebs) bei Kindern in der Nähe des AKW´s Krümmel in der Diskussion. Bereits 2007 haben Wissenschaftler des Deutschen Krebsregisters in Mainz belegt, dass Kinder im Alter bis zu vier Jahren einem umso höheren Leukämie-Risiko unterliegen, je näher ihr Wohnort an einem Atomkraftwerk liegt. So seien im Zeitraum von 1980 bis 2003 im Umkreis von fünf Kilometern um die deutschen Reaktoren insgesamt 37 Kinder an Leukämie erkrankt, wobei „im statistischen Durchschnitt (…) 17 Fälle zu erwarten gewesen“ wären, erklärten die Experten des Deutschen Krebsregisters vor gut drei Jahren. Demnach waren „etwa 20 Neuerkrankungen (…) allein auf das Wohnen in diesem Umkreis zurückzuführen.“ Im Jahr 2009 kam der renommierte Epidemiologen Eberhard Greiser zu dem Ergebnis, dass im Umkreis von 20 bis 50 Kilometern um Atommeiler, das Leukämierisiko bei Kindern unter fünf Jahren um 19 Prozent und bei Kindern bis 15 Jahren um 13 Prozent erhöht ist. Jetzt belegen die Statistiken des niedersächsischen Krebsregisters, eine eindeutig erhöhte Leukämierate im Umfeld des Atommülllagers Asse.
Erhöhte Leukämie Rate nachgewiesen
Laut NDR zeigten sich „die Landtagsfraktionen (…) betroffen von dem Ergebnissen der Studie“ und SPD-Fraktionschef Stefan Schostock habe angesichts der Zahlen sogar von einem „Schock“ gesprochen. Nach Ansicht der atomkritischen Ärzte des IPPNW bestätigt sich mit den aktuellen Statistiken des Krebsmelderegisters ihre stets geäußerte Befürchtung, dass von den AKW´s und Atommülllagern ein erheblich erhöhtes Krebsrisiko ausgehe. So hätte bei den unter 10.000 Einwohnern im Gemeindeverband Asse statistisch gesehen, die Erkrankung von 5 männlichen Einwohnern und 3 Frauen dem Bundesdurchschnitt entsprochen, wie Dorothea von Nicolai vom Gesundheitsamt in Wolfenbüttel gegenüber „sueddeutsche.de“ erläuterte. Tatsächlich seien jedoch den Statistiken zufolge bei Männern zwölf Leukämiefälle zu verzeichnen gewesen, was mehr als doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt sei. Bei den Frauen wurden sechs Leukämiefälle diagnostiziert, allerdings hat sich bei ihnen die Zahl der Schilddrüsenkrebs-Erkrankungen in den letzten fünf Jahren verdreifacht, wie laut NDR aus der Statistik des niedersächsischen Krebsregisters hervorgehe. Insgesamt liege die Anzahl aller Krebserkrankungen in der Samtgemeinde Asse allerdings im Normalbereich, erklärte Dorothea von Nicolai, Leiterin des Gesundheitsamtes im Landkreis Wolfenbüttel. So sei die Rate der Krebserkrankungen fast unverändert und mit knapp 400 beobachteten Fällen entsprach die Anzahl der Krebsfälle den statistischen Erwartungen.
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sind keinen Zusammenhang
Während die Ärzteorganisation IPPNW in den aktuellen Zahlen einen Beleg für die Gesundheitsgefährdung sieht, die insbesondere von dem Atommüll in Asse II ausgehe, reagierte der Betreiber der Schachtanlage Asse, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), wie bereits bei Bekanntgabe der 2007 vorgelegten Studie zu den vermehrten Leukämiefällen in der Nähe von AKW´s. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den erhöhten Leukämie-Erkrankungen und den tatsächlichen radioaktiven Emissionen aus den Reaktoren könne „derzeit nicht nachgewiesen werden“, so das BfS. Auch wenn nach Aussage des Präsidenten des BfS, Wolfram König, Hinweise auf Zusammenhänge bestehen, gebe es bisher keine Beweise. Für die im Rahmen der Auswertung des sogenannten epidemiologischen Krebsregisters des Landes festgestellte Häufung der Leukämie-Erkrankungen vor allem bei Männern im Umkreis des Atommülllagers Asse bei Wolfenbüttel, seien auch andere Ursachen als eine mögliche Strahlenbelastung denkbar, betonte nicht nur das BfS sondern auch auch Vertreter der Samtgemeinde Asse.
Das BfS ergänzte, es gäbe „keine Hinweise auf Emissionen aus dem aktuellen Betrieb der Asse, die einen Zusammenhang mit Erkrankungen in der Bevölkerung der Umgebung heute oder in der Zukunft zulassen“. Erst vor Kurzem hätte die Auswertungen von Boden- und Ackerfrüchten ergeben, „dass keine Gefahrensituation in der Umgebung der Asse vorliegt“. Zudem seien im vergangenen Jahr "keine erhöhten radioaktiven Belastungen des Bodens, der Luft, des Wassers und landwirtschaftlicher Produkte sowie von Nadeln und Laub festgestellt worden“, erklärte das BfS.
Genaue Hintergründe der hohen Leukämie-Rate ungeklärt
Warum die Zahl der Leukämiefälle in der Nähe des Atommülllagers oder aber auch in der Nähe von AKW´s besonders hoch ist, konnte das BfS jedoch nicht erklären. Angesicht der aktuellen Zahlen sollen jetzt jedoch weitere Untersuchungen eingeleitet werden, um die Ursachen für die gestiegenen Leukämiefälle genauer zu ermitteln. Die IPPNW ist hingegen davon überzeugt, dass ein Zusammenhang zwischen dem von 1967 und 1978 in rund 126.000 Fässer eingelagerten schwach- und mittelaktivem Atommüll und der Häufung von Leukämieerkrankungen besteht. Das BfS hat seinerseits bisher stets betonte, dass die Konsequenzen der falschen Einlagerung des Atommülls nur das Bergwerk selbst beträfen, d.h. zwar im Salzstock tief unter der Erde radioaktiv verseuchte Salzlauge austritt, diese jedoch nicht an die Oberfläche gelangen könne. Auch wenn das BfS den Salzstock Asse mittlerweile ohnehin als ungeeignet für die dauerhafte Lagerung des Atommülls bewertet hat und wegen Wassereinbrüchen und Einsturzgefahr plant, das Lager zu räumen, dürfe die Gesundheitsgefahr jedoch nicht unterschätzt werden, warnt die IPPNW. So fordert die Ärzteorganisation, dass die Bundesregierung endlich die Berechnungsbasis für die Strahlenschutzverordnung anpasst, da jedes Atomkraftwerk ständig Strahlung in Form von radioaktiven Stoffen (Isotopen) abgebe, welche ein gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung darstelle.
Auch wenn das Sozialministerium in Hannover nun eine Untersuchung der vermehrten Leukämiefälle in der Samtgemeinde Asse durch eine entsprechende Expertengruppe einleiten will, ist jedoch zu befürchten, dass wie bei den Untersuchungen zu den Leukämiefällen in der Nähe von AKW´s, keine plausible Begründung ermittelt werden kann. Denn dies war bisher stets der Fall, wenn das vermehrte Auftreten von Leukämie insbesondere bei Kindern, die in der Nähe von AKW´s wohnten, zu untersuchen war.
Datenauswertung ungenügend: Krebs wird auch durch andere Faktoren begünstigt
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zeigte sich angesichts der veröffentlichten Daten eher kritisch – vor allem in Bezug auf die Berichterstattung. Denn die Daten des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN) seien vollständig anonymisiert und enthielten lediglich das Geschlecht der Krebspatienten, ohne Angabe des genauen Wohnorts, welcher für die Abschätzung eines strahlenbedingten Krebsrisikos wichtig wäre. Auch andere Faktoren, die für das individuelle Krebsrisiko eine entscheidende Rolle spielen, wie der Beruf und das Alter der Betroffenen, seien nicht mit angegeben, so die Kritik des Nachrichtenmagazins. Auch Nikolaus Becker, der am Deutschen Krebsforschungszentrum das epidemiologische Krebsregister von Baden-Württemberg leitet, bemängelte die Berichterstattung des NDR: „So etwas muss man vorher prüfen, bevor man mit solchen Zahlen an die Öffentlichkeit geht“. Die Daten ermöglichen seiner Ansicht nach keinen Rückschluss darauf, ob ein Zusammenhang mit eventuellen Strahlenbelastungen besteht oder nicht.
Das Magazin„Spiegel Online“ ergänzte, dass Krebs nicht nur durch Strahlung, sondern auch chemisch oder durch Viren ausgelöst werden kann. Wenn eine seriöse Aussage darüber getroffen werden soll, ob ein einzelner Auslöser wie die Strahlung aus der Asse für ein erhöhtes Leukämierisiko verantwortlich ist, seien einerseits große Fallzahlen nötig und anderseits müssten alle anderen möglichen Ursachen ausgeschlossen werden. Beides gäben die Daten des EKN nicht her, so die Aussage des Nachrichtenmagazins. (fp)
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