Experte: Rasanter Anstieg der Zusatzbeiträge. PKV begrüßt die geplante Gesundheitsreform.
Zwei Wochen vor der Verabschiedung des Arzneimittelgesetzes sowie der Finanzierungsreform der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) warnen Opposition und Sozialverbände vor übermäßigen Zugeständnissen für die private Krankenversicherung (PKV), Pharmalobby und Arbeitgebern. Gesundheitsökonomen prognostizieren zudem einen rasanten Anstieg der Zusatzbeiträge für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Opposition und Sozialverbände kritisieren einseitige Gesundheitsreform
Der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) versucht derzeit Verbände und Kritiker ruhig zu stimmen. Doch er kann nicht verdecken, dass die geplante Gesundheitsreform vor allem eine Reform für die Privaten Krankenversicherung und Pharmaindustrie ist und gegen die gesetzlich Krankenversicherung ist. Denn letztendlich müssen die Vergünstigungen für die Interessenverbände diejenigen bezahlen, die in der GKV versichert sind. Bei der Anhörung am Montag im Bundestag versuchte der Minister den Anschein zu erwecken, der finanzielle Weg der Gesetzlichen Krankenversicherung könnte noch in eine andere Richtung gehen. Denn die Kritik der Sozialverbände und Oppositionsparteien ist vernichtend. Doch ob das so noch geht, ist mehr als fraglich, da bereits Anfang November das GKV Finanzierungsgesetz und das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) endgültig verabschiedet werden. Bereits am ersten Januar 2011 soll nämlich die Gesundheitsreform umgesetzt und gülitig sein.
PKV Verband begrüßt die Pläne zur Gesundheitsreform
Im Gegensatz der GKV Verbände und Opposition begrüßt die PKV die geplanten Reformen. Hier zeigt man sich besonders erfreut darüber, zukünftig der GKV mehr Versicherte abgreifen zu können. Denn die dreijährige Wartefrist für den Wechsel von der GKV in die PKV soll aufgehoben werden. „Damit setzt der Gesetzgeber einen ganz wichtigen Impuls für die Wahlfreiheit der Versicherten und den Systemwettbewerb zwischen GKV und PKV”, heißt es in der Stellungnahme der PKV zur Anhörung im Bundestag. An einen regelrechten Wechselboom will man aber noch nicht glauben. Doch einen rasanten Mitgliederwechsel befürchtet man bei den Gesetzlichen Krankenkassen. Durch den Wegfall zahlreicher Mitglieder befürchtet man im GKV-Verband stetig wachsende Beiträge für die Versicherten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisiert die „halbherzigen Sparversuche“ der Regierung.
Kassenpatienten bleiben auf den Kosten sitzen
Der Sozialverband Deutschland VDK sieht in der Gesundheitsreform den Versuch die Kassenpatienten zur „Melkkuh“ zumachen. Der Vorsitzende des Verbandes, Adolf Bauer, plädierte abermals, eine solidarische Beitragsfinanzierung auf den Weg zu bringen. Es könne nicht sein, dass die Kassenmitglieder einseitig mit immer höheren Zusatzbeiträgen belastet werden. Denn der Gesundheitsminister Rösler hat in den Gesetzesänderungen verankert, dass die Zusatzbeiträge in Zukunft von den Krankenkassen selbst bestimmt werden dürfen. Das ist ein Zeichen dafür, dass auch das Bundesgesundheitsministerium damit rechnet, dass die Beiträge zukünftig ansteigen werden. Gleichzeitig warnt der Verbandsvorsitzende davor, eine Kostenerstattung (Vorkasse-Modell beim Arzt) einzuführen. Das wird sehr wahrscheinlich dazu führen, dass zahlreiche Menschen notwendige Gesundheitsleistungen nicht mehr bezahlen können und deshalb nicht mehr in Anspruch genommen werden. Bauer fordert, höhere Einkommen verstärkt an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu beteiligen.
Die Linke geht noch einen Schritt weiter. Martina Bunge von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag spricht von der Zerstörung der solidarischen Krankenversicherung als Garant einer umfassenden Gesundheitsversorgung. Die Arbeitgeber sind zukünftig davon befreit, sich paritätisch an den steigenden Krankenversicherungsbeiträgen zu beteiligen. Die Private Krankenversicherung bekomme immer mehr Besserverdiener, während die GKV an Finanzmangel leidet. Auch die Ärzteschaft bekommt endlich das, was sie wollte: Die Vorkasse beim Arzt. Die Bundesregierung stärke mit ihrer Reform die PKV, erklärt Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen. Ballast erwartet, dass ab 2011 rund 100.000 Gut verdienende GKV Mitglieder in die PKV wechseln. Damit wird das GKV System der solidarischen Finanzierung deutlich geschwächt. Das System der PKV ist alles andere als stabil und wird auf Kosten der GKV gestärkt.
Experte: Anstieg der Zusatzbeiträge schon im kommenden Jahr
Der Kölner Gesundheitsökonom Markus Lüngen sagte voraus, dass im Jahr 2012 es Zusatzbeiträge von im Schnitt knapp vier Euro geben wird. „In den Folgejahren geht das sehr rasant hoch.“. Bei den jährlichen Mehrausgaben von rund zwei Prozent hätten nach seinen Berechnungen in 15 Jahren alle 50 Millionen Versicherte einen Anspruch auf den im Gesetz vorgesehenen Sozialausgleich. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund spricht von einem rasanten Anstieg der Zusatzbeiträge. Nach Ansicht des DGB seien die Zusatzbeiträge eine Kopfpauschale durch die Hintertür. Für das jahr 2025 rechnet der DGB mit einer zusätzlichen Kopfpauschale von 100 Euro. (sb, 27.10.2010)
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