Gluten-Unverträglichkeit oder Gluten-Sensitivität?
01.07.2013
Das Angebot an Lebensmitteln, die damit beworben werden, glutenfrei zu sein, ist mittlerweile riesig. Immer mehr Menschen greifen auf solche Waren zurück mit der Überzeugung, Gluten sei nicht gut für ihre Gesundheit. Für viele Menschen ist dieser Schritt überflüssig und kann eine Diagnose ernstzunehmender Erkrankungen erschweren.
Gibt es Gluten-Sensitivität überhaupt?
Wenn es um Ernährung geht, können viele Menschen von Bekannten und Freunden erzählen, bei denen eine Umstellung auf glutenfreie Produkte dazu geführt hätte, gesundheitliche Probleme wie Blähbauch oder Durchfall loszuwerden. Laut Interessengruppen leide jeder 20. Deutsche an einer Gluten-Sensitivität, könne also das Klebereiweiß nicht richtig verdauen. Durch die Angst vor einer möglichen Unverträglichkeit sind glutenfreie Lebensmittel so populär geworden. Bislang versuchen jedoch Experten noch zu ergründen, ob es die Gluten-Sensitivität überhaupt gibt.
Gluten-Sensitivität nicht gleich Gluten-Unverträglichkeit
Gluten, auch Klebereiweiß oder Kleber genannt, bezeichnet Proteine, die im Samen einiger Arten von Getreide vorkommen. In einigen Körnern, wie bei Weizen, Dinkel oder Roggen, ist besonders viel Gluten enthalten, in Hafer und Gerste eher wenig und Mais oder Reis sind glutenfrei. Eine Gluten-Sensitivität lässt sich medizinisch nicht direkt feststellen. Eine Gluten-Unverträglichkeit jedoch schon. Bei Zöliakie, wie die Gluten-Allergie medizinisch genannt wird, entzündet sich die Dünndarmschleimhaut als Reaktion auf Gluten. Um eine Gluten-Sensitivität festzustellen, würde ein Arzt erst Zöliakie und eine Weizenallergie durch Tests ausschließen. Führt dann eine glutenfreie Ernährung zu einer Besserung des Patienten, handle es sich um Gluten-Sensitivität. Stephanie Baas von der Deutschen Zöliakiegesellschaft (DZG) sieht jedoch darin keinen Beweis dafür, dass die Beschwerden durch Gluten hervorgerufen wurden: „Allein die Tatsache, dass die Ernährung umgestellt wird, kann dazu führen, dass man sich besser fühlt.“
Experiment in Australien
Wissenschaftler am Box Hill Hospital im australischen Bundesstaat Victoria führten mit 34 Betroffenen ein Experiment durch, um die Wirkung der glutenfreien Ernährung ohne Placeboeffekt zu untersuchen. Ohne zu wissen, welcher Gruppe sie angehörten, aßen die Probanden über sechs Wochen hinweg jeden Tag entweder glutenhaltiges oder glutenfreies Brot. Das Ergebnis war, dass es denjenigen mit glutenfreier Diät besser ging. „Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass der Verzehr von Getreide und Gluten-Sensitivität zusammenhängen", so Baas. Die Forscher meinten: „Gluten-Sensitivität könnte existieren, aber den Entstehungsmechanismus konnten wir nicht aufklären."
Insektenabwehrstoffe im Getreide die Ursache?
Ein Team um Detlef Schuppan von der Gutenberg Universität Mainz kam dem Phänomen vor kurzem genauer auf die Spur. Die Wissenschaftler verglichen die Reaktionen des Immunsystems auf moderne Hochleistungsgetreide und die Reaktion auf alte und exotische Getreidesorten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Gluten-Sensitivität statt durch Gluten auch durch Proteine mit der Bezeichnung Adenosin-Triphosphat-Amylase (ATI) verursacht sein könnte. Da diese meist gemeinsam mit Gluten im Getreide auftreten, ließe sich die Wirkung der Substanzen bislang schlecht auseinanderhalten. Falls sich der Verdacht bestätigen sollte, wäre eine mögliche Erklärung für die Häufung von Gluten-Sensitivität in den letzten Jahren gefunden, denn ATIs sind natürliche Insektenabwehrstoffe, die gezielt in Hochleistungsweizen und andere Getreidesorten gekreuzt wurden, um höhere Erträge zu erzielen. Noch wollen sich die Wissenschaftler nicht festlegen. „Das Ganze ist sehr neu“, so Schuppan. „Wir brauchen noch mehr Daten aus klinischen Studien, um Konsequenzen für den Patienten abzuleiten."
Kein Nutzen für gesunde Menschen
Für einige Menschen seien Prominente, wie Gwyneth Paltrow oder Miley Cyrus ausschlaggebend, ebenso glutenfrei zu leben und damit zu versuchen, abzunehmen. Andere wiederum glauben dass solche Lebensmittel gesünder seien. „So ist es aber nicht", erklärt DZG-Ärztin Baas. „Für gesunde Menschen hat die glutenfreie Ernährung keinen Nutzen – im Gegenteil." Vielmehr würden solche Produkte oft trocken schmecken und zerkrümeln. „Gluten ist Geschmacksträger, hält den Teig zusammen und gibt Backwaren eine angenehme Konsistenz." Wenn das Klebereiweiß fehlt, muss der Hersteller mehr Zucker und Fett in Produkte wie Brot, Kuchen oder Kekse mischen.
Diagnose wird erschwert
Glutenfreie Nahrungsmittel sind also nicht per se geeignet zum Abnehmen. Einen weiteren negativen Aspekt thematisiert Baas: „Dass manche Menschen ohne Not zu den Spezialprodukten greifen, erschwert uns die Diagnose ernstzunehmender Unverträglichkeiten wie Zöliakie." So würden Antikörpertests für die Autoimmunerkrankung nur anschlagen, wenn die Betroffenen ausreichend Gluten zu sich nehmen. Wenn die Erkrankung nicht rechtzeitig diagnostiziert wird, kann dies ernsthafte Folgen von Osteoporose bis hin zu Darmtumoren haben.
Glutenfreies Mineralwasser
„Wer bei sich eine Unverträglichkeit vermutet, sollte die Ursache beim Arzt abklären lassen, bevor er glutenfreie Lebensmittel ausprobiert", rät Baas. Wenn eine Gluten-Unverträglichkeit festgestellt wurde, sollte man sich die Zutaten von Lebensmitteln immer genau anschauen. Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft weißt darauf hin, dass sonst oft nicht ersichtlich sei, in welchen Produkten dieses Klebereiweiß enthalten ist. Manche Lebensmittel enthalten jedoch fast immer Gluten, zum Beispiel Sojasauce. Andererseits sollte man absurde Angebote auch als solche erkennen. So entdeckte zum Beispiel die Verbraucherzentrale Sachsen in Spanien Mineralwasser, das mit der Aufschrift „glutenfrei“ beworben wurde. In Deutschland kann man Hartkäse oder ungefüllte Schokolade finden, die dementsprechend markiert sind. Es dürfte bekannt sein, dass sich in keinem dieser Produkte normalerweise Gluten befindet. (ad)
Bild: Marianne J. / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.