Pharma gegen Meinungsfreiheit? Boirons hausgemachte PR-Krise
28.09.2011
Im Juli dieses Jahres veröffentlichte der italienische Blogger Samuele Riva in zwei Artikeln seines Blogs (www.blogzero.it) kritische Inhalte zur Homöopathie. In den Beiträgen mit dem Titel „Homöopathie – Mythen und Legenden“ berichtete Riva, dass die französische Firma Boiron, weltweit der größte Hersteller homöopathischer Arzneien, ein Präparat namens oscillococcinum® gegen Grippe vermarktet, das kein pharmakologisch wirksames Molekül der Urtinktur enthalte. Grundsätzlich ist das nichts Neues – bei allen homöopathischen Arzneien ab einer Potenz von D23 ist das der Fall. Eine Abbildung des Produkts versah Riva mit dem Untertitel: „Verletzt ernsthaft die Intelligenz derer, die es kaufen.“ Für Blogger nicht unüblich, schmückte Riva seine Ausführungen mit „plakativen“ Formulierungen und der falschen Tatsachenbehauptung, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie gebe. Boiron drohte dem Blogger, nachdem der Versuch eines persönlichen Gesprächs gescheitert war, mit einer Klage wegen Verleumdung.
Als Resonanz bekam es Boiron mit einem grundsätzlich positiven Phänomen des digitalen Informationszeitalters zu tun: Inhalte im Internet, die juristisch unterdrückt werden sollen, verbreiten sich rasant und ziehen in der Folge eine stark erhöhte Aufmerksamkeit nach sich (der sogenannte Streisand-Effekt). Vor der Androhung der Klage riefen etwa 150 Nutzer Rivas Texte ab. Nachdem die Drohung publik wurde, berichteten zuerst weitere Blogs in unterschiedlichen Sprachen und im Anschluss auch das British Medical Journal und das Handelsblatt Online über den Fall. Dabei tat Riva nur das, was einige Blogger gelegentlich tun: Er stellte die Homöopathie aus der Sicht eines Laien dar, der sich an ihrer fehlenden Plausibilität – insbesondere der Potenzierung – reibt, ohne Kenntnisse über die Studienlage oder methodologisches Fachwissen zu besitzen.
Die Netzresonanz im Tenor von „Pharmakonzern unterdrückt Meinungsfreiheit“ dürfte Boiron einen erheblichen und hausgemachten Imageschaden zugefügt haben. Homöopathie-Kritiker nutzten den Fall systematisch, um online Stimmung gegen die Homöopathie zu machen. Auch wenn Boiron in einer aktuellen Stellungnahme schreibt: „We are not opposed to freedom of speech. We just want to say to you that we never expected such reactions and felt really sorry about that.“ Dass der Arzneimittelhersteller nicht mit dieser Kritik gerechnet hat, spricht für eine mangelhafte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die das hohe Gut der Meinungsfreiheit nicht im Blick hat und die Netzdynamik unterschätzt. „Ein Dialog ist immer besser als eine juristische Konfrontation“, sagt Cornelia Bajic, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Dazu hat der DZVhÄ beispielsweise das Homöopathie-Blog (www.dzvhae-homoeopathie-blog.de) geschaffen. „Wir laden die Firma Boiron und Samuele Riva dazu ein, eine konstruktive Diskussion zum Thema auf unserem Wissenschaftsblog zu führen“, so Bajic. (DZVhÄ)
Bild: Günther Gumhold / pixelio.de
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