Krebsforschung: Honigbienen bringen Wissenschaft voran
Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums haben in Zusammenarbeit mit australischen Kollegen anhand von Honigbienen untersucht, warum Tiere mit identischen Genen eine grundsätzlich unterschiedliche Entwicklung nehmen können – die einen werden Königinnen die anderen Arbeiterinnen.
„Extrembeispiel“ der unterschiedlichen Entwicklung
Die Forscher entschieden sich für die Untersuchung der Honigbienen, da diese laut Frank Lyko vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) „ein Extrembeispiel für unterschiedliche Entwicklungsschicksale“ sind. Tausende werden Arbeiterinnen und nur eine wird Königin, was grundsätzlich unterschiedliche Lebensaufgaben für die Tiere mit sich bringt. Während die relativ kleinen Arbeiterinnen als unfruchtbare Tiere Nahrung sammeln, den Bienenstock in Ordnung halten und die Brut pflegen und füttern, ist die wesentlich größere, langlebige Königin, ihr ganzes Leben lang damit beschäftigt, Nachwuchs zu produzieren. Warum sich Bienenlarven mit den gleichen genetischen Veranlagungen so unterschiedlich entwickeln haben die Forscher jetzt genauer unter die Lupe genommen und ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „PLoS Biology“ veröffentlicht.
Der epigenetische Effekt
Die Forscher haben festgestellt, dass sich in Abhängigkeit vom Futter an der DNA der Bienenlarven unterschiedliche Molekülgruppen anlagern. Der dahinter stehende epigenetische Effekt wird bereits seit längerem wissenschaftlich untersucht. Die Epigenetik bietet dabei ein Erklärungsmodell für den Einfluss äußerer Faktoren auf unsere Gene. So findet in Abhängigkeit von den Umwelteinflüssen an bestimmte DNA-Bausteinen eine Methylierung statt, bei der sich Molekülgruppen um einzelne DNA-Abschnitte bilden, die zur Aktivierung, Regulierung und Deaktivierung der jeweiligen DNA-Sequenz führen. Der Genetische-Code wird durch diesen Prozess nicht verändert. Und doch entstehen aufgrund des epigenetischen Effekts am Ende zwei sehr unterschiedliche Lebewesen aus exakt den gleichen Genen.
Gelee Royale oder Pollen; Königin oder Arbeiterin
Bei den Bienen ist das unterschiedliche Futter ausschlaggebend für den epigenetischen Effekt. Je nachdem ob die Larven mit Pollen oder dem fett- und eiweißreichen Gelee Royale gefüttert wurden, veränderte sich die Methylierung der DNA-Bausteine und es entstanden Arbeiterinnen (Pollen-Futter) oder Königinnen (Gelee Royale-Futter). Dabei wurden in Abhängigkeit der unterschiedlichen Methylierung bestimmter Genregionen einzelne Merkmale unterschiedlich stark ausgeprägt, erklärten die Wissenschaftler vom DKFZ im Rahmen ihrer jetzigen Veröffentlichung. Die Forscher erstellten zudem ein Methylom, eine Karte des Erbguts, die genau erkennen lässt, an welchen Stellen der DNA die Methylgruppen gebildet wurden und wo sich diese zwischen Arbeiterinnen und Königinnen unterscheiden. Dabei fanden sie insgesamt über 550 Gene, die von einander abweichende Methylierungsmuster aufwiesen, die meisten davon waren DNA-Bausteine die bei wichtigen Zellfunktionen eine Rolle spielen oder das Verhalten der Insekten beeinflussen. „Diese Markierung ist eine Art Fine-Tunigggg der Gene“, erläuterte Ryszard Maleszka von der Australian National University in Canberra.
Ohne Methylierung entstehen ausschließlich Königinnen
Um den epigenetischen Effekt durch die Methylierung bestimmter DNA-Bausteine noch eindeutiger zu belegen, haben die australischen Forscher den Effekte des Kraftfutters Gelee Royale imitiert, indem sie bei den Bienenlarven das Enzym abschalteten, welches für die Bildung der Methylgruppen an der DNA ausschlaggebend ist. Das Ergebnis: Auch ohne Gelee Royale entwickelten sich aus allen Larven entwickelten ausschließlich Königinnen. Damit ist der direkte Zusammenhang zwischen der Methylmarkierung und der spätere Entwicklung eindeutig belegt. „Mit unserer Studie können wir zeigen, wie die Umwelt über die Ernährung direkt mit der DNA verknüpft ist. Umwelteinflüsse können die genetische Hardware vorübergehend modifizieren“, erklärte Ryszard Maleszka. Der Fachmann ergänzte, dass „diese Ergebnisse weitreichend (sind), denn die Enzyme, die bei den Bienen das Erbgut modifizieren, sind die gleichen, die auch im menschlichen Gehirn die DNA markieren.“
Epigenetischer Effekt bei Krebszellen
Das die Studienergebnisse auch für die Krebsforschung besonders interessant sind, liegt daran, dass auch Krebszellen ein Beispiel für den epigenetische Effekt sind. Denn gesunde Zellen und Krebszellen in einem Organismus haben ursprünglich das gleiche Genom und entwickeln sich trotzdem völlig unterschiedlich, in normales Gewebe oder Tumore. „Es ist grundsätzlich auch vorstellbar, dass Umwelteinflüsse und Ernährung einen Einflusss (…) haben und das diese Effekte über Unterschiede in der DNA-Methylierung vermittelt werden“, erklärte der Leiter der Abteilung für Epigenetik am DKFZ Heidelberg, Frank Lyko. Demnach könnte ein Methylom (Karte der Methylmarkierungen an der DNA) auch beim Menschen Aufschluss darüber geben, ob bestimmte Krebserkrankungen auftreten werden und so die Diagnose erheblich erleichtern. Allerdings dürfte noch eine Weile vergehen, bis eine alltagstaugliche, nicht zu aufwendige Methode zur Erstellung eines Methyloms beim Menschen entwickelt wird, denn das menschliche Genom ist ungefähr zehnmal größer als das der Biene.
Epigenetik gewinnt an Bedeutung
Die Epigenetik steht noch nicht lange im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses bei der Erforschung verschiedenster Krankheiten und doch haben schon zahlreiche Studien die Auswirkungen des epigenetischen Effekts auf die Entstehung bestimmter Erkrankungen belegt, Zuletzt machte eine australische Studie von sich Reden, bei der festgestellt wurde, dass die Ernährung von Vätern direkte Auswirkungen auf das Diabetes-Risiko der Töchter hat. Bis dato war die Fachwelt davon ausgegangen, dass lediglich die Ernährung der Mutter direkte Konsequenzen auf die Gesundheit der Kinder hat. Doch der epigenetische Effekt hat bei der Spermatogenese offensichtlich zu Schädigungen der Spermien geführt und so eine erhöhtes Krankheitsrisiko der Töchter mit sich gebracht. Da sich das Epigenom durch Umwelteinflüssen relativ kurzfristig und sehr viel leichter verändert als das Genom, sollte in Zukunft der Einfluss von Umweltfaktoren auf die genetische Disposition bestimmter Krankheiten stets im Auge behalten werden. (fp, 04.11.2010)
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