Immer mehr Jugendliche leiden an Magersucht. Bereits jeder fünfte Jugendliche leidet an Essstörungen
12.01.2011
Immer mehr Jugendliche leiden an Essstörungen bis hin zur Magersucht. Bei jedem fünften Heranwachsende im Alter zwischen elf und 17 Jahren liegt nach Angaben des Direktors der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Münster, Prof. Dr. Tilman Fürniss, und der Oberärztin Dr. Annabel Köchling der Verdacht auf eine Essstörung vor.
Die Ärzte des Uniklinikums Münster haben einen neuen Therapieansatz eingeführt, um dem wachsenden Problem von Essstörungen unter Jugendlichen entgegen zu wirken. Immer wieder werden Jugendliche mit extremen Mangelerscheinungen und Magersucht in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie eingeliefert. Prof. Dr. Tilman Fürniss berichtet von einer 18-jährige Patientin, die bei ihrer Einlieferung in die Klinik noch 29 Kilogramm wog. „Ein Extremfall“ von Magersucht, wie auch der Klinikdirektor einräumte. Doch sei unter Jugendlichen generell eine Tendenz zu krankhaften Essstörungen zu beobachten, erklärte Dr. Fürniss: „Die Zahl und die Schwere von Essstörungen nimmt seit einiger Zeit immer mehr zu.“
Essstörungen unter Jugendlichen immer stärker verbreitet
Dabei habe sich auch das durchschnittliche Alter der Patienten mit Essstörungen deutlich verschoben, erläuterte der Experte. Während noch vor wenigen Jahrzehnten überwiegend jugendliche Patienten zwischen 14 und 16 Jahren betroffen waren, leiden heute teilweise bereits Neunjährige an Essstörungen, betonte der Klinikdirektor. Insgesamt bestehe bei jedem fünften Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren der Verdacht auf eine krankhafte Essstörung, so Prof. Fürniss. Im Verlauf der Pubertät zwischen 14 und 17 Jahren sei sogar jedes dritte Mädchen und jeder siebte Junge betroffen, wobei „auch Jungen“ immer häufiger an Essstörungen leiden. Weil sie in ihrer Persönlichkeit oft noch nicht so gefestigt sind und „sie dem gesellschaftlichen Schlankheitsideal nacheifern“, dass von Stars und Sternchen täglich vorgelebt wird, entwickeln viele Jugendliche einen starken Drang abzunehmen. Dieser endet häufig in einer entsprechenden Störung des Essverhaltens, die leicht in Magersucht übergehen kann, erläuterte der Experte.
Magersucht: Eine lebensbedrohliche Suchterkrankung
Magersucht ist nach Aussage des Klinikdirektors in keinem Fall zu unterschätzen oder als vorübergehende Marotte abzutun, „sie ist eine Suchterkrankung, die tödlich enden kann.“ Denn junge Menschen, die immer dünner werden, verlieren nicht nur Körpergewicht, sondern auch das Gehirn baut Substanz ab, erläuterte der Experte. „Es schrumpft um 20 bis 30 Prozent und stellt in einigen Bereichen komplett die Funktion ein“, so Dr. Fürniss. Zudem seien auch Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und das Wachstum möglich. Ein Herzstillstand oder Wachstumsstopp seien keine Seltenheit, erläuterte der Experte. So sei beispielsweise die 18-jährige Patientin, welche bei ihrer Einlieferung nur noch 29 Kilo wog, lediglich 1,46 Meter groß gewesen, betonte der Klinikdirektor. Die Betroffenen geben sich dabei nach Aussage des Experten häufig große Mühe, damit ihr massives Untergewicht Angehörigen und Freunden nicht auffällt, sie kaschieren wo es geht. Dicke Pullovern oder gar Bleigewichte in den Schuhen – „ihrem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt“, betonte Dr. Fürniss. „Für viele Eltern ist es schockierend, wenn sie ihre Tochter oder ihren Sohn in unserer Klinik zum ersten Mal im Unterhemd sehen“, so der Experte weiter. Denn von den Eltern werde Magersucht häufig nicht als solche erkannt und sie gehen stattdessen von Erziehungsproblemen oder ähnlichem aus, bis sie mit der schmerzhaften Wahrheit konfrontiert werden, erläuterten die Ärzte der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Neuer Therapieansatz gegen Essstörungen
In der Uniklinik Münster wurde daher ein neuartiger Therapieansatz zur Bekämpfung der Essstörungen eingeführt, mit dem die Klinik nach Einschätzung des Direktors Dr. Fürniss Pionierarbeit im Kampf gegen die Magersucht leistet. Sechs bis sieben Betroffene kommen unter Einbeziehung der Familien an 25 Tagen im Jahr in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen, um gemeinsam zu lernen, wie sie mit der Erkrankung umgehen können. Das die Familie stärker mit einbezogen wird, ist nach Ansicht von Dr. Fürniss ein wesentlicher Fortschritt in der Therapie. Denn „Essstörungen sind nicht nur im Extremfall lebensgefährliche Erkrankungen, sie beeinträchtigen und belasten auch jedes Familienleben“, erläuterte der Experte. So sei es auch ein Ziel der neuen Therapie, die oft „hochgradig zerstörerischen Familienkonflikte frühzeitig fachärztlich-therapeutisch zu lösen“, betonte Dr. Fürniss. (fp)
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Bild: Claudia Hautumm / pixelio.de
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