Deutsche AIDS-Experten bezweifeln Heilung des mit HIV infizierten Kindes
06.03.2013
Ein mit HIV infiziertes Baby soll laut US-Medizinern geheilt worden sein. Das wurde am Montag bekannt, als der Fall des inzwischen zweieinhalbjährigen Mädchens aus Mississippi auf dem Aids-Kongress CROI (Congress on Retroviruses and Opportunistic Infections) in Atlanta vorgestellt wurde. Wie die Virologin Deborah Persaud berichtete, habe das frühe massive Eingreifen der Ärzte dazu geführt, dass die Erkrankung bei dem Kind auch im späteren Verlauf sehr wahrscheinlich nicht ausbrechen werde. Deutsche Experten haben jedoch Zweifel an der funktionellen Heilung des Mädchens.
Immunsystem kann restliche HI-Viren ohne Medikamente kontrollieren
Wie die US-Virologen um Deborah Persaud von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore berichteten, sei das Kind fast vollständig von dem HI-Virus befreit worden. Die Virenmenge, die noch im Körper der kleinen Patienten nachweisbar sei, habe sich mittlerweile so weit verringert, dass das körpereigene Immunsystem ohne medikamentöse Unterstützung damit fertig würde. Ärzte sprechen deshalb von einer „funktionellen Heilung“. Sehr wahrscheinlich werde das Virus bei dem Mädchen nicht zum Ausbruch von AIDS führen. Bereits seit ein Jahr habe das Kind keine Therapie mit Medikamenten erhalten, ohne dass Anzeichen einer HIV-Infektion auftreten seien. Nun hoffe man, aus dem Fall Erkenntnisse zur Heilung von HIV bei Kindern gewinnen zu können, so die Ärzte.
HI-Viren des Kindes nach einem Monat Therapie kaum noch nachweisbar
Die Ärzte erfuhren erst kurz vor der Geburt im Jahr 2010 von der HIV-Infektion der Mutter des Babys. Bis dahin hatte sie keinerlei Medikamente erhalten, um das Risiko einer Ansteckung ihres Kindes zu verringern. Das Neugeborene wurde deshalb umgehend mit einer Kombination aus drei Medikamenten, einer sogenannten antiretroviralen Therapie behandelt. Wie die Ärzte berichteten, sei die Viruslast des kleinen Mädchens erstaunlicherweise bereits nach einem Monat kaum noch nachweisbar gewesen. Die frühe Behandlung habe sehr wahrscheinlich dazu geführt, dass sich das Virus in keine schwer zu behandelnden schlafenden Zellen eingenistet habe, erklärte Deborah Persaud. Diese Viren-Reservoire seien für Medikamente nicht erreichbar und könnten einen erneuten Ausbruch verursachen, wenn die Therapie abgesetzt würde. Dass das Kind jedoch auch nach dem Absetzen der Medikamente keinerlei Anzeichen für eine Infektion zeigte, bestätige diese Annahme.
Die Mutter hatte die Therapie des Mädchens nach 18 Monaten unterbrochen und suchte die Ärzte erst nach zehn Monaten erneut auf. Bei der Blutuntersuchung des Kindes seien vier Viruskopien pro Mikroliter Blut nachgewiesen worden, berichtete Deborah Persaud. Wie die „FAZ“ mitteilt, ist über den aktuellen Gesundheitszustand des Kindes nichts bekannt, da Mutter und Kind verschwunden sind.
Deutsche HIV-Experten bezweifeln Heilung des HIV infizierten Babys
Im Gespräch mit der „Deutschland Welle“ zeigten sich die HIV-Experten Norbert Brockmeyer und Jürgen Rockstroh von der Universitätsklinik Bonn skeptisch bezüglich der Heilung des mit HIV infizierten Babys. Die Nachricht aus den USA sei zwar mit großem Interesse, „aber doch skeptisch aufgenommen worden", berichtete Norbert Brockmeyer. Während des Kongresses sei der Fall des Mädchens ausführlich diskutiert worden, jedoch seien dabei auch Zweifel aufgekommen. „Ich frage mich, ob das Kind wirklich infiziert war oder ob es sich nicht doch eher um eine gelungene Post-Expositionsprophylaxe gehandelt hat", sagte Brockmeyer. Eine derartige Therapie zur Vorbeugung wird möglichst rasch, innerhalb von 24 Stunden begonnen, nachdem sich der Betroffene sehr wahrscheinlich mit HIV infiziert hat. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich medizinisches Personal an einer Spritze verletzt und ungewollt mit infiziertem Blut in Kontakt kommt. Durch die Notfall-Behandlung soll die Einnistung des Virus im Körper verhindert werden. Brockmeyer glaube deshalb nicht, dass es sich im Fall des Kindes tatsächlich um die Heilung einer feststehenden Infektion gehandelt habe.
Auch für Jürgen Rockstroh blieben einige Fragen offen: „Ist schon eine HIV-Replikation angestoßen worden? Oder ist das – wie in anderen Fällen, in denen wir eine Prophylaxe geben – verhindert worden?" Es fehle der ein Beleg dafür, dass sich das HI-Virus bereits in den kindlichen Zellen eingenistet und vermehrt habe. Nur wenn das der Fall sei, könne von „Heilung“ gesprochen werden, so Brockmeyer. „Bevor nicht mehr Daten von den Kollegen kommen, ist der Fall für mich erst mal ein Hinweis: Wir sind auf dem Weg." Ob das kleine Mädchen tatsächlich geheilt wurde oder eine sehr effektive Prophylaxe erhalten hat, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten. Der Fall zeige jedoch, wie wichtig es sei, möglichst früh mit der Behandlung zu beginnen, so der Experte. (ag)
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Bild: Gerd Altmann, Pixelio.de
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