Eine ungesunde Ernährung und Übergewicht schädigen das Gehirn
19.01.2011
Ungesunde Ernährung macht "dick und doof". Übergewicht geht häufig mit einer Schädigung des Gehirns einher, die wiederum Auswirkungen auf das Essverhalten haben kann. So kommen zwei aktuelle amerikanische Studien zu dem Ergebnis, dass eine ungesunde Ernährung Übergewicht fördert, welches seinerseits über die Schädigung des Gehirns dazu führt, dass das Essverhalten weiter außer Kontrolle gerät.
Das Übergewicht und ungesunde Ernährung in direktem Zusammenhang stehen, ist bereits seit langem bekannt. Amerikanische Wissenschaftler kommen nun jedoch in zwei unabhängigen Studien zu dem Ergebnis, das die falsche Ernährung im Zusammenspiel mit Übergewicht ganze Hirnregionen schrumpfen lassen kann, wodurch weiter Störungen im Essverhalten bedingt werden. Antonio Convit vom Nathan Kline Institut für Psychiatrieforschung in New York und Kollegen berichten in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Brain“, dass sie im Rahmen ihrer Studie bei Übergewichtigen eine deutliche Verkleinerung bestimmter Belohnungs- und Appetitzentren im Großhirn sowie erhebliche Strukturschäden festgestellt haben. Terry Davidson von der Purdue Universität in West Lafayette in Illinois und sein Doktorand Scott Kanoski kommen bei ihrer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Physiology and Behavior“ zu dem Ergebnis, dass die Schädigung des Gehirns und der anschließende Teufelskreis durch die falsche Ernährung in Gang gesetzt wird.
Übergewicht beeinträchtigt Belohnungs- und Appetitbereiche des Gehirns
Antonio Convit und seine Kollegen vom Nathan Kline Institute haben im Rahmen ihrer Studie die Gehirne von 44 übergewichtigen und 19 normalgewichtigen gesunden Menschen im Alter über 50 Jahren mit Hilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) untersucht. Dabei nahmen die Forscher nicht nur das Volumen verschiedener Hirnregionen sondern auch deren Wassergehalt genauer unter die Lupe, denn ein hoher Wassergehalt ist ein Anzeichen für Schäden im Nervengewebe. Außerdem ermittelten die Wissenschaftler die Blutwerte des Eiweißstoffs Fibrinogen, welcher als Marker für Entzündungsprozesse im Nervensystem dient. Im Rahmen ihrer Studie habe sich ergeben, dass bestimmte Belohnungs- und Appetitbereiche des Gehirns bei Übergewichtigen deutlich verkleinert sind, berichten die Forscher.
Entzündungsprozesse: Erhöhte Fibrinogen-Werte bei Übergewicht
Außerdem seien bei den übergewichtigen Personen deutliche höhere Fibrinogen-Werte nachgewiesen worden als bei den Normalgewichtigen. Zwar sei bereits aus früheren Studien bekannt gewesen, dass Übergewicht Entzündungsprozesse im Nervensystem fördern kann, doch lege ihre Studie den Schluss nahe, dass die entzündungsfördernde Ernährung ganze Hirnbereiche schrumpft lässt, berichten die US-Forscher. Je höher die gemessenen Fibrinogen-Wertet im Blut waren, desto kleiner waren die untersuchten Hirnbereiche, so die Aussage der Wissenschaftler. Die deutlichsten Veränderungen ließen dabei nach Aussage der Experten die MRT-Aufnahmen im Bereich des präfrontalen Cortex und im sogenannten Mandelkern erkennen. Beide Regionen dienen zur Steuerung der emotionalen Bewertung von Situationen und stehen im Zusammenhang mit dem Belohnungssystem aber auch dem Geschmacksempfinden. Der präfrontale Cortex (auch Orbitofrontalkortex, OFC) sei bei den Übergewichtigen deutlich verkleinert gewesen und der Mandelkern habe einen erheblich höheren Wassergehalt aufgewiesen, berichten die US-Wissenschaftler weiter.
Ernährung und Übergewicht beeinflussen die Selbstkontrollfähigkeit
Andere amerikanische Wissenschaftler wie Paul Thompson von der kalifornischen Universität in Los Angeles, der in vorangegangenen Studien ebenfalls schrumpfende Hirnregionen bei Übergewichtigen nachgewiesen hat, mahnen angesichts der aktuellen Untersuchungsergebnisse, dass „Ernährung und Übergewicht (…) langfristig die Selbstkontrollfähigkeit insgesamt beeinflussen", könnten. OFC und Mandelkern seien „berühmte Regionen in der Suchtforschung. Sie regulieren nicht nur Appetit und Heißhunger, sondern auch Entscheidungsprozesse, die jemanden zum Beispiel von gefährlichen Handlungen abhalten“, ergänzte Thompson. Convit und Kollegen gehen in ihrem Urteil nicht ganz soweit, doch auch sie mahnen vor einem Teufelskreise, der sich durch die Schädigungen im Belohnungszentrum des Gehirns entwickeln kann.
Übergewicht initiiert Teufelskreis im Gehirn
Ungesundes Ernährung führt zu Übergewicht, wodurch vermehrt Entzündungsbotenstoffe gebildet werden, die im Gehirn ausgerechnet jene Bereiche schrumpfen lassen, die den Heißhunger regulieren, erläutert Prof. Agnes Flöel, Neurologin an der Berliner Charité, die dem Teufelskreis zugrundeliegenden Prozesse im Gehirn. Anschließend müssten dann ähnlich wie bei einem Drogensüchtigen immer mehr Reize in Form von schmackhaftem Essen eintreffen, um trotz nachlassender neuronaler Empfindlichkeit immer noch eine Befriedigung durch die Nahrungsaufnahme zu erlangen. Auch wenn nach Aussage der US-Wissenschaftler um Antonio Convit bisher nicht klar ist, ob die Gewichtszunahme zuerst Entzündungsprozesse und Schäden im Hirn auslöst oder umgekehrt, zeigen die Ergebnisse „aber, dass Übergewicht selbst für den Fall, dass die Hirnschäden zuerst kamen, wie Öl auf die Flammen wirken kann.“ Denn nach Aussage des Experten laufen „die mit der Fettleibigkeit verknüpften Entzündungsprozesse, die das Gehirn schädigen, (…) ja akut weiter.“ Dass vor allem im Belohnungssystem die Masse der Neuronen bei Übergewicht massiv abnimmt, sei ein Grund dafür, dass Appetit und Heißhunger – schlichtweg aufgrund zu weniger neuronaler Verschaltungen – nicht mehr in geordneter Weise geregelt werden können, erläutert Convit in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Brain“.
Fett- und zuckerreiche Nahrung schädigen das Gehirn
Im Rahmen der von Terry Davidson durchgeführten zweite amerikanische Studie hat der Experte gemeinsam mit einem Doktoranden mehrere Untersuchungen ausgewertet, die belegen, dass Nahrung mit viel Zucker und gesättigten Fettsäuren – die oft auch als typisch westliche Ernährung bezeichnet wird – kognitiven Einschränkungen bedingt. So habe die ungesunde Ernährung im Tierversuch bei Mäusen direkt zu Entzündungserscheinungen im Gehirn geführt. Die Schädigungen traten laut Aussage von Davidson zuerst am Hippocampus, dem für Gedächtnis, Erinnerungs- und Lernvermögen sowie räumliche Orientierung zuständigen Hirnbereich, auf. Die Beeinträchtigungen der Denkleistung durch die ungesunde Ernährung seien dabei schon zu erkennen, bevor die Betroffenen dick werden, betonte der Experte. Außerdem legten die Tierversuche den Schluss nahe, dass falsche Ernährung dazu führen kann, dass die sich die Durchlässigkeit der Blut-Hirnschranke verändere und so weitere Beeinträchtigungen der Hirnstruktur begünstigt werden, erläuterte Davidson. Dass die Denkstörungen und Hirnschäden im Rahmen der Studie zuerst im Hippocampus auftraten, ist nach Aussage des Experten leicht zu erklären. Denn das wichtige Gedächtniszentrum ist besonders gut an den Kreislauf angeschlossenen und so können im Blut befindliche, schädliche Stoffe hier verstärkt wirken.
Ungesunde Ernährung führt zu Schäden am Hippocampus
Nach Einschätzung von Terry Davidson könnte der oben beschriebene Teufelskreis, nicht wie von Antonio Convit dargestellt im OCT oder dem Mandelkern beginnen, sondern direkt nach der Aufnahme ungesunder Nahrung durch Schäden am Hippocampus. Denn diese seien möglicherweise eine Fehlregulation des Erinnerns, bei der die selektive Unterdrückung von Erinnerungen an verlockende Nahrung, welche normalerweise bei der Appetitregulierung hilft, nicht mehr richtig funktioniert. „Ich kann einer Crème brûlée besser widerstehen, wenn ein intakter Hippocampus die Erinnerung an ihren leckeren Geschmack abschwächt“, betonte Davidson. Insgesamt bleiben die Veränderungen in der Denkleistung und dem Essverhalten nach Einschätzung des Experten vermutlich über viele Jahre subtil, doch im fortgeschrittenen Alter könne es zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen. So häufen sich die Zeichen dafür, „dass auch Demenz-Erkrankungen durch Ernährung, Übergewicht und die damit verbundenen Entzündungs- und Gefäßprobleme begünstigt werden“, betonte Thompson. Erfreulich sei hingegen, dass es zumindest bei Diabetikern Hinweise darauf gebe, dass eine Ernährungsumstellung oder gute medizinische Behandlung auch Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten bewirken können, ergänzte Antonio Convit.
Abbau der Nervenverbindungen anstatt Zerstörung des Nervengewebes
Angesicht der vorliegenden Studienergebnisse wies Prof. Flöel darauf hin, dass Magnetresonanztomografie nur eine beschränkte Aussagekraft hat, da „man (…) bei dieser Untersuchung nicht sagen (kann), was genau im Gehirn geschädigt ist.“ Die Forscher können nur das Volumen und die Dichte einer bestimmten Hirnregion feststellen, „was bei geringerem Volumen oder Dichte geschieht, wissen wir nicht“, erklärte Prof. Flöel. Es bestehe jedoch Grund zu der Annahme, dass „wahrscheinlich (…) keine Nerven abgebaut, sondern die synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen (…) schlechter ausgebildet“ werden, betonte Flöel. Dies ist nach Aussage der Expertin eine weit angenehmere Vorstellung als eine endgültige Zerstörung des Nervengewebes, denn synaptische Verbindungen können auch wieder neugebildet werde, wie die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten von Diabetes-Patienten nach einer Ernährungsumstellung zeige.
Übergewicht und Adipositas weltweit auf dem Vormarsch
Das die Forschung im Bereich von Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert wurde, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen in den modernen Industrienationen an den Symptomen leiden.
So warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Ende letzten Jahres davor, Übergewicht immer mehr zu Volkskrankheit wird und Insbesondere Kinder in den OECD-Mitgliedsstaaten durchschnittlich viel zu dick seien. Wenn sich der Trend der vergangenen Jahre fortsetzte, werden in zehn Jahren zwei von drei Personen unter Übergewicht leiden, betonten die Experten der OECD. Bereits heute leide in den OECD-Mitgliedsstaaten rund die Hälfte der Bevölkerung an Übergewicht, wobei den Angaben der OECD zufolge in Deutschland etwa 60 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen zu dick sind. Insgesamt 16 Prozent der Bevölkerung müssten hierzulande als fettleibig bezeichnet werden (Body-Mass-Index höher als 30). Dabei sind die gesamtgesellschaftlichen negativen Folgen nach Aussage der OECD nicht zu unterschätzen, da „schwer fettleibige Menschen (…) etwa acht bis zehn Jahre früher (sterben) als Personen mit normalem Gewicht, und sie (…) mit höherer Wahrscheinlichkeit Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Krebs“ entwickeln. Außerdem habe sich sich Adipositas mit der gestiegenen Verbreitung während der letzten 20 Jahre in den Industrienationen zu einer der häufigsten Todes- und Invaliditätsursachen entwickelt. So ist Fettleibigkeit den Angaben der OECD zufolge weltweit für jährlich rund 2,6 Millionen Todesfälle und mindestens 2,3 Prozent der Gesundheitskosten verantwortlich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die US-Gesundheitsbehörden sprechen sogar bereits von einer Fettsuchtepidemie, der ähnlich zu begegnen sei wie den tödlichen Infektionskrankheiten. (fp)
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Bild: sigrid rossmann / pixelio.de
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