Zehn Jahre BSE: Der Rinderwahn scheint besiegt zu sein. Eine Ausbreitung der Krankheit konnte verhindert werden.
24.11.2010
Vor genau zehn Jahren, am 24. November 2000, wurde erstmals BSE bei einer deutschen Kuh festgestellt. Heute gilt der Rinderwahnsinn als nahezu besiegt. Mit lediglich zwei Fällen im letzten Jahr, gehöre BSE auch für die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter der Vergangenheit an, wie der Geschäftsführer Norbert Wirtz in Bonn erklärte.
BSE erstmals vor zehn Jahren in Deutschlad aufgetreten
Nach dem erstmaligen Auftreten der Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) in Deutschland im Jahr 2000 auf dem Hof von Peter Lorenzen in Hörsten in Schleswig-Holstein, brach eine regelrechte Hysterie aus. Da der Erreger von Rindern auf Menschen übergehen kann und den Vermutungen nach eine neue Variante der tödlich verlaufenden Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (heute als nvCJD bekannt) auslöst, waren sowohl die Gesundheitsbehörden als auch die Verbraucher entsprechend alarmiert. Experten befürchteten eine Epidemie mit zehntausenden Opfern, Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer und Bundesagrarminister Karl-Heinz Funke (beide SPD) mussten zurücktreten und zahlreiche Produkte vom "T-Bone-Steak" über Kalbshirn und Salami bis zu Gummibärchen (mit enthaltener Gelatine von Rindern) galten plötzlich als Gesundheitsrisiko. Das damalige Institut für gesundheitlichen Verbraucherschutz warnte vor dem „Verzehr von Rindfleisch und rindfleischhaltiger Wurst“, der Rindfleischmarkt brach zusammen und zahlreiche Bauern waren in ihrer Existenz bedroht. Neben der Entwicklung eines Schnelltests zur Diagnose der gefährlichen Seuche stand damals insbesondere die Ermittlung der Ursachen für BSE im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
Rätsel um BSE gelöst
Heute hat die Wissenschaft die wesentlichen Rätsel um das Auftreten von BSE längst gelöst. Demnach ist die Seuche erstmals 1984 bei einem Rind in England festgestellt worden. Das Tier zeigte unerklärliche Symptome wie Orientierungslosigkeit, Schreckhaftigkeit und Aggressivität und bei der Untersuchung nach dem Tod konnten Veterinärmediziner feststellen, dass das Gehirn des Rindes löchrig wie ein Schwamm war. Sie entdeckten die für BSE charakteristischen, abnorm gefalteten Prionproteine, die in einer Art Kettenreaktion einen verhängnisvollen biochemischen Prozess auslösen, der bestimmte körpereigene Eiweiße dazu bringt, ebenfalls eine abnorme Faltung anzunehmen und zu verklumpen. Im Zuge der Erkrankung entstehen tiefe Löcher im Gewebe und das befallene Gehirn nimmt eine schwammartig durchlöcherte Struktur mit fadenförmigen, proteinhaltigen Ablagerungen an. Durch den Prozess wird die Hirnfunktion im Verlauf der Krankheit immer mehr beeinträchtigt.
Nachdem die Krankheiten erstmals eindeutig diagnostiziert wurde, blieb die Frage nach den Ursachen und der Verbreitung von BSE. Dabei kamen die Wissenschaftler relativ schnell dem sogenannten Tiermehl auf die Spur, dass als Reststoff bei der Verarbeitung von Fleisch und der Verwertung von verendeten und erkrankten Tieren anfällt. Tiermehl wurde damals sehr verbreitet für die Mast von Rindern eingesetzt, wobei Kritiker schon vor dem Auftreten von BSE die unnatürliche Ernährung der eigentlich vegetarischen Rinder bemängelten. Über das Tiermehl sollen sich nach Ansicht der Experten die defekten Prionen vom Schaf auf die Rinder übertragen haben. Denn anders als Viren und Bakterien, lassen sich Prionen erst ab einer Hitze von mehr als 133 Grad und einem Druck von drei Bar abtöten. Bei der Verarbeitung des Tiermehls wurde dies jedoch häufig nicht genügend erhitzt, so dass sich die Prionen auf die Rinder übertragen konnten. Seit 2001 ist aufgrund dieses Übertragungsrisikos – und nicht weil Kühe, die Schafe fressen, unnatürlich sind – in der EU die Verfütterung von Tiermehl verboten. Seither nahm die Anzahl der neuen Infektionen drastisch ab. „Es steht fest, dass die Verfütterung von Tiermehl und Tierfett die Krankheit ausgelöst hat“, erklärte Martin Groschup, Chef des Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems bei Greifswald.
Großbritannien war am stärksten von der BSE-Seuche betroffen
Von der Seuche am stärksten betroffen war seinerzeit Großbritannien, wo laut offiziellen Zahlen rund 180.000 Rinder an BSE erkrankten. „BSE hat die deutsche Rinderzucht längst nicht so ins Wanken gebracht wie die britische, wo die Hälfte des Rinderbestandes gekeult wurde“, betonte der Verbandschef der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter Norbert Wirtz. Dennoch hätten viele Rinderhalter aufgegeben. Etwa jeder dritte, bei dem BSE auf seinem Hof festgestellt wurde, sei heute nicht mehr im Geschäft. Denn „nach den Vorgaben der EU mussten alle Tiere getötet werden, die das gleiche infektiöse Futter aufgenommen hatten“, wie Martin Groschup erklärte. Damit verloren die betroffenen Halter meist mit einem Schlag ihren kompletten Rinderbestand, wobei bis zum Jahresende 2002 in Deutschland auf verschiedenen Höfen 251 infizierte Rinder festgestellt wurden, mit entsprechenden Konsequenzen für die Züchter.
Nach Angaben des Bundesagrarministeriums wurden vom 1. Januar 2001 bis zum 30. September 2010 in Deutschland mehr als 20 Millionen Rinder auf BSE getestet und 406 BSE-Fälle dokumentiert. Auch auf dem Hof von Peter Lorenzen wurden damals alle 166 Rinder getötet, doch Lorenzen hat nicht aufgegeben und mit der Entschädigung aus dem Tierseuchenfonds neu begonnen. Allerdings lebt Landwirt heute von der Milchkuhhaltung. Ohnehin ist der deutsche Rindfleischmarkt im Zuge der Krise stark eingebrochen und es gingen erhebliche Marktanteil an die Geflügelbranche verloren. Nach Angaben des Bundesagrarministeriums lag der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland im Jahr 2000 bei 14 Kilogramm Rindfleisch, sackte 2001 auf nur noch 9,9 Kilo ab und liegt heute bei rund 12,5 Kilo.
Das massenhafte Überspringen der Krankheit auf den Menschen ist ausgeblieben
Die befürchtete Massenseuche durch das Überspringen der Krankheit auf den Menschen ist entgegen den ursprünglichen Befürchtungen nicht aufgetreten. Allerdings waren 200 Todesfälle durch eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) insbesondere in Großbritannien (174 Fälle) und Frankreich (25 Fälle) zu verzeichnen. Wobei es nach Aussage von Michael Beekes, Arbeitsgruppenleiter im Berliner Robert Koch-Institut, „als gesichert angesehen“ wird, dass der Erreger, der BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslöst, der selbe sei. Die geschätzte Inkubationszeit bis zum Auftreten der neuen Creutzfeldt-Jakob-Variante beim Menschen beträgt Beekes zufolge zwischen 10 und 15 Jahre. Daher „ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Krankheitsfälle beim Menschen auftreten“, doch mit der Einführung von Schnelltest vor der Verarbeitung des Rindfleischs, sei das Übertragungsrisiko minimiert worden. Zudem ist die Verbreitung von BSE in Europa derart zurückgegangen, dass in Fachkreisen bereits die Abschaffung der Tests diskutiert wird. Auch heute werden in Deutschland und einer Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten bereits nur noch mindestens 48 Monate alte Tiere getestet. So ist die Seuche in Europa nach Einschätzung der europäischen Kommission beinah beendet und verlief weit glimpflicher als viele Experten vermutet hatten. Doch für die Lebensmittelbranche bleibt BSE einer der größten Skandale die Deutschland und Europa bisher erlebt haben. (fp)
Bildnachweis: Alexander Litke / pixelio.de
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