Bayern ruft Ärzte zur Vernunft: Der Ausstieg aus dem Kassensystem hätte für Mediziner und Patienten weitreichende Folgen.
19.12.2010
Die Ankündigung des bayrischen Hausärzteverbands, dass System der gesetzlichen Krankenversicherung zu verlassen, veranlasst nun auch die Landesregierung, die Ärzte zur Vernunft zu rufen. In groß angelegten Zeitungsanzeigen warnt Bayern vor dem Kassenausstieg und den daraus resultierenden Folgen für Hausärzte und Patienten. Die Mediziner sollten sich genau überlegen, ob ein solcher Schritt nicht finanzielle Nachteile mit sich bringt. Denn nach einem Ausstieg aus der kassenärztlichen Versorgung könnten Hausärzte nur noch Privatpatienten behandeln.
Der Streit zwischen dem Hausärzteverband und der Allgemeinen Ortskrankenkassen AOK in Bayern ist in der vergangenen Woche eskaliert. Nachdem der Bayrische Hausärzteverband den Aussteig aus dem Kassensystem angekündigt hatte, reagierte die Krankenkasse ihrerseits mit der sofortigen Kündigung der Hausarztverträge. Doch der Ärzteverband hält weiterhin an seiner Position fest, aus Protest die Kassenzulassung zu Beginn des Jahres abzugeben. In der kommenden Woche will der Hausarztverband seine Mitglieder hierzu befragen.
Bayerns Landesregierung warnt Hausärzte vor dem Ausstieg
Wenige Tag vor der Abstimmung über den Ausstieg hat sich nun auch die bayrische Landesregierung in den Konflikt eingeschaltet. In Zeitungsanzeigen der Tagespresse hat die Landesregierung die Hausärzte dazu aufgefordert, den Ausstieg unbedingt zu unterlassen. Der Schritt der weiteren Eskalation gefährde Patienten und Hausärzte, wie es in den Anzeigen, die in mehreren Zeitungen erschienen sind, hieß. "Bedenken Sie die Folgen eines Ausstiegs! Denn: Wer aussteigt, ist draußen!", so die Mahnung. Am kommenden Mittwoch will der Bayrische Verband der Hausärzte seine Mitglieder dazu aufrufen, über den Ausstieg abzustimmen. Der Verband unter dem Vorsitz von Dr. Wolfgang Hoppenthaller hält trotz der Aufkündigung der Verträge an dem Systemausstieg fest. Zudem haben sich weitere Hausärzteverbände mit den bayrischen Kollegen solidarisiert und ihre Unterstützung zugesagt. So rief der Hausärzteverband in Baden-Württemberg seine Ärzte in den anliegenden Regionen zu Bayern auf, sich mit dem Beschluss der Kollegen zu solidarisieren. Man werde nicht ein mögliches Defizit in der Versorgung nicht auffangen, wie es hieß.
Eine deutliche Warnung sprach auch die oberste Aufsicht der Krankenkassen, das Bundesversicherungsamt (BVA), aus. „Die Organisation eines Kollektivausstiegs ist nicht nur rechtswidrig. Es ist ein handfester grober Bruch des Hausarztvertrags, den die bayerischen Hausärzte geschlossen haben„, erklärte der BVA-Vorsitzende Maximilian Gaßner.
Neben der AOK haben nun auch weitere Ersatzkrankenkassen die fristlose Kündigung der Verträge angekündigt, sofern die Ärzteschaft nicht einlenkt. „Das kann zur Kündigung des Vertrags und zu Schadensersatzansprüchen führen", mahnte Gaßner. "Man kann nur hoffen, dass Herr Dr. Hoppenthaller sich nicht durchsetzt", sagte der BVA-Chef.
Ärzteverband will Krankenkassen zu weitreichenden Verhandlungen zwingen
Stimmt eine Mehrheit der Hausärzte für den Ausstieg, hätte dieser Schritt weitreichende Folgen. Viele tausend Ärzte würden aufeinmal das Kassensystem verlassen. Um die Versorgung der Patienten nicht zu gefährden, müssten dann die Abrechnungen der Honorare von einer anderen Stelle erledigt werden. Der Ärzteverband will das dann in Eigenregie übernehmen. Für den Ärztechef Dr. Hoppenthaller seien die derzeit gültigen Sozialgesetze ein Mittel, um die Ärzte als Sklaven der Kassen zu halten. Der Verband sieht die Versorgung der Patienten in Gefahr, da durch den geringeren Honoraranstieg vor allem junge Ärzte sich davor scheuen würden, Praxen zu eröffnen. „Wir wollen wieder mehr Zeit für Patienten. Damit einhergehend fordern wir Planungssicherheit für uns und unsere Mitarbeiterinnen durch die Sicherung der hausärztlichen Tarifhoheit auf Dauer sowie Verhandlung mit den Krankenkassen auf Augenhöhe."
Einmal aus dem Kassensystem, wird der Wiedereinstieg äußerst schwierig
Doch das Gesundheitsministerium sieht die Möglichkeiten eines Wiedereinstiegs als sehr schwierig an. Denn Vertragsabschlüsse mit den Krankenkassen der ausgestiegenden Hausärzte sei gesetzlich verboten. Außerdem würde ein Ausstieg aus dem Kassensystem eine Jahrelange Sperre hervorrufen. Die Hausärzte könnten ab diesem Zeitpunkt nur noch Privatpatienten oder Kassenpatienten auf Privatrechnung behandeln. "Wer aussteigt, kann damit nur noch Privatpatienten behandeln." Doch der Hausarztverband setzt auf eine Mehrheit seiner Mitglieder. Würde sich tatsächlich eine Vielzahl der Ärzte dazu entschließen, die kassenärztliche Zulassung abzugeben, müssten neue Verhandlungen geführt werden. Denn wo sollten sich dann noch die Patienten behandeln lassen? Genau auf diesen Faktor setzt Bayerns Hausärzteverband. Die Krankenkassen wären tatsächlich dazu gezwungen, neue Verhandlungen aufzunehmen, ob sie wollen oder nicht. Doch die Lage gestaltet sich schwierig. Macht dieses Protestmittel ersteinmal Schule, könnten weitere Verbände auf die Idee kommen, es den bayrischen Kollegen nachzumachen. Die Krankenkassen wären nahezu hilflos dieser Situation ausgesetzt.
Diese zwangsweise hergestellte Situation verärgert auch den bayrischen Gesundheitsminister Markus Söder (CSU). Er erinnerte die Ärzteschaft an ihre Verantwortung gegenüber den Patienten. Gegenüber der Passauer Neuen Presse (PNP) sagte der Minister: "Mediziner haben ein Berufsethos. Es geht um die Versorgung von Kranken, und nicht nur um Honorarstreitigkeiten." Söder versucht es daher mit moralischen Argumenten. Jeder Hausarzt solle mit seinem Partner und seiner Bank darüber reden, ob ein solcher Schritt wirtschaftlich sinnvoll sei. "Jeder Hausarzt, der aus dem Kassensystem aussteigt, ist draußen und gefährdet seine eigene Existenz." (sb)
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Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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