Spezielle Darmbakterien scheinen direkt an der Entstehung von Multiple Sklerose beteiligt zu sein. Diese Erkenntnis eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis und die Prävention der Erkrankung.
In einer neuen Studie unter Beteiligung von Fachleuten der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde die Rolle der Darmflora bei der Entstehung von Multiple Sklerose untersucht. Die Ergebnisse sind in dem Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ nachzulesen.
Verbreitung und Folgen von MS
Mehr als 280.000 Menschen in Deutschland leben mit einer MS-Diagnose und jährlich kommen etwa 15.000 neue Fälle hinzu, womit multiple Sklerose die häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems bildet.
Bei dieser chronischen Autoimmunerkrankung greifen körpereigene Immunzellen die schützende Isolierung der Nervenfasern an, was zu unterschiedlichsten Symptomen wie Sehstörungen, Lähmungen oder Missempfindungen führen kann, erklären die Forschenden in einer aktuellen Pressemitteilung.
Mögliche Ursachen von Multiple Sklerose
Die möglichen Ursachen der Erkrankung seien komplex. Neben genetischer Veranlagung gelten laut den Fachleuten auch Umweltfaktoren wie Rauchen, Vitamin-D-Mangel, bestimmte Infektionen und insbesondere die Zusammensetzung der Darmflora als mögliche Auslöser.
Frühere Studien hatten zwar bereits Unterschiede in der Darmbesiedlung zwischen Personen mit MS und gesunden Personen festgestellt, doch die funktionale Bedeutung dieser Unterschiede blieb bislang unklar.
Untersuchung von Zwillingspaaren
Die neue Untersuchung wurde an Zwillingen durchgeführt, von denen nur ein Teil an Multipler Sklerose erkrankt war. So wollten die Forschenden genetische und lebensstilbedingte Einflussfaktoren zu minimieren.
Unterschiede in der Darmflora festgestellt
Bei einer umfassend Analyse der Darmflora der Teilnehmenden identifizierte das Team 51 Gruppen von Mikroorganismen (sogenannte Taxa), die sich bei erkrankten und gesunden Zwillingen in ihrer Häufigkeit unterschieden. Vier Zwillingspaare stellten zusätzlich Proben aus dem Dünndarm zur Verfügung, wo die Immunreaktionen vermutlich ihren Anfang nehmen.
Um zu überprüfen, ob bestimmte Darmbakterien tatsächlich MS-ähnliche Reaktionen auslösen können, setzten die Forschenden auf ein ausgeklügeltes Modell. Keimfreie Mäuse wurden gezielt mit Darmbakterien von MS-erkrankten und gesunden Zwillingen besiedelt. Die Tiere, die die Darmflora der MS-Zwillinge erhielten, entwickelten häufiger Krankheitssymptome.
Bei der anschließenden Analyse der Mäusestuhlproben stießen die Fachleute auf zwei verdächtige Bakterienarten aus der Familie der Lachnospiraceae. Dabei handelte es sich um Lachnoclostridium sp. und Eisenbergiella tayi. Somit liefert die aktuelle Forschungsarbeit erstmals funktionale Hinweise auf die mögliche krankheitsfördernde Wirkung dieser Bakterien.
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So zeigen die Ergebnisse, dass bestimmte Darmmikroorganismen möglicherweise direkt zur Entstehung von MS beitragen. Laut dem Team könnte es allerdings noch weitere solcher Organismen geben, so dass weitere Forschung angebracht sei.
Neue Hoffnung für künftige Therapien
Sollte sich bestätigen, dass eine überschaubare Zahl spezifischer Bakterien eine Schlüsselrolle bei MS spielt, könnten sich daraus neuartige Behandlungsansätze ergeben, wie eispielsweise gezielte Eingriffe in die Darmflora durch Anpassungen der Ernährung, Probiotika oder andere mikrobiologische Verfahren. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Florian Beigel, Yihui Sun, Janine Kövilein, Jiancheng Wang, Tanja Kuhlmann, et al.: Multiple sclerosis and gut microbiota: Lachnospiraceae from the ileum of MS twins trigger MS-like disease in germfree transgenic mice—An unbiased functional study; in: Proceedings of the National Academy of Sciences (veröffentlicht 21.04.2025), Proceedings of the National Academy of Sciences
- Max-Planck-Gesellschaft: Multiple sclerosis: Triggers in the gut flora (veröffentlicht 05.06.2025), Max-Planck-Gesellschaft
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