Die Weltgesundheitsorganisation hat am Montag in Berlin den „Weltgesundheitsbericht 2010“ veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass aufgrund der Behandlungskosten bei Krankheit jährlich rund 100 Millionen Menschen in die Armut abrutschen, wobei meist eine fehlende Krankenversicherung die Ursache ist.
23.11.2010
Bei Vorstellung des „Weltgesundheitsberichts 2010“ forderte die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan alle Staaten dazu auf, die Gesundheitsversorgung gerechter und effektiver zu gestalten. Denn nicht nur in den ärmeren Ländern erleiden jährlich Millionen Menschen aufgrund einer fehlenden Krankenversicherung „finanzielle Katastrophen“. Auch in den Industriestaaten sind viele Menschen mit den Gesundheitskosten überfordert, wie der Weltgesundheitsbericht offenbart. Insbesondere in Staaten, wie den USA oder einigen süd- und osteuropäische Ländern, wo die meisten Menschen die Behandlungskosten direkt bezahlen müssen, landen besonders viele Menschen krankheitsbedingt in der Armutsfalle, so die Aussage der WHO. Weltweit erleiden dem „Weltgesundheitsbericht 2010“ zufolge rund 150 Millionen Menschen „finanzielle Katastrophen“, weil ihnen die Krankenversicherung zur Übernahme der Behandlungskosten im Krankheitsfall fehlt, etwa 100 Millionen rutschen dauerhaft in Armut ab.
Doch nicht nur die fehlenden Krankenversicherungen sind dem „Weltgesundheitsbericht 2010“ zufolge ein Problem. Auch die generell steigenden Kosten im Gesundheitssystem stellen viele Nationen vor erhebliche Herausforderungen. Da die Bevölkerung in vielen Ländern massiv altert, immer mehr Menschen an chronischen Krankheiten leiden und neue umfangreiche Behandlungen die Kosten in die Höhe treiben, seien die Gesundheitsausgaben in den meisten Ländern während der letzten Jahrzehnte enorm gestiegen, erklärte die WHO. Einen nicht unerheblichen Anteil an der zu verzeichneten Kostenexplosion, habe dabei auch die mangelnde Effizienz der Gesundheitssysteme, wie die Generaldirektorin der WHO betonte.
So werden dem „Weltgesundheitsbericht 2010“ zufolge weltweit allein im Krankenhausbereich rund 300 Milliarden Dollar durch Ineffizienz vergeudet. Die Auswertung von rund 300 Studien im Rahmen des „Weltgesundheitsberichts 2010“ habe ergeben, dass die Krankenhäuser bei gleichem Aufwand durchschnittlich 15 Prozent mehr leisten könnten, erklärte Margaret Chan. Insgesamt bestehen nach Aussage des Weltgesundheitsberichtes weltweit Einsparmöglichkeiten im Gesundheitswesen in Höhe von 20 bis 40 Prozent. Dabei bestehen nach Ansicht der WHO auch im Bereich der Arzneimittel noch erhebliche Einsparpotenziale. Denn in den Industriestaaten ließen sich etwa fünf Prozent der Gesundheitsausgaben durch den sachgerechten Einsatz und die verbesserte Qualitätskontrolle von Arzneien einsparen, so die Generaldirektorin der WHO. Als Ursache der mangelnden Effizienz in vielen nationalen Gesundheitssystemen benannte die WHO auch falsche Anreize, welche zum Beispiel durch die einzelne Vergütung bestimmter Behandlungsmethoden gesetzt werden. So würden diese Behandlung aufgrund der gesonderten Abrechnung besonders häufig verschrieben. Die WHO empfiehlt hier eher mit pauschalen Vergütungen zu arbeiten, da sich der Schwerpunkt der medizinischen Versorgung damit auf die Prävention verlagern würde.
Die WHO forderte im Rahmen der Vorstellung des „Weltgesundheitsberichts 2010“ auch die arme Länder dazu auf, die Investitionen in ihr Gesundheitssystem zu erhöhen. Mit dem Bericht „Finanzierung von Gesundheitssystemen – Der Weg zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall“ zeigt die WHO den Staaten zugleich Möglichkeiten auf, um diese zusätzlichen Investitionen in ihre Gesundheitssysteme zu finanzieren. So empfiehlt die WHO zum Beispiel die Erhebung einer Devisentransaktionssteuer oder die Erhöhung von Alkohol- und Tabaksteuern, um auch armen Ländern die zusätzlichen Gesundheitsausgaben zu ermöglichen. Parallel mahnte die WHO jedoch auch die Geberländer ihre im Rahmen der „Millenniumsziele“ gemachten finanziellen Zusagen einzuhalten bzw. endlich umzusetzen. Denn durch die Erhöhung der Mittel auf die zugesagten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Geberländer könnten in den Empfängerstaaten bis 2015 rund drei Millionen Menschenleben gerettet werden, betonte die Generaldirektorin der WHO.
Auch der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) äußerte sich zu dem vorgestellten Bericht der WHO und zog aus den vorgelegten Zahlen den Schluss, dass es beim Aufbau eines Gesundheitssystems „keine Patentlösungen“ gibt und „jedes Land (…) seinen eigenen Weg gehen und dabei historische, kulturelle und sozioökonomische Gegebenheiten berücksichtigen“ müsse. Im Hinblick auf die Verpflichtung der „Millenniumsziele“ erklärte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), dass Gesundheit auch in Zukunft einer der Schlüsselsektoren der deutschen Entwicklungspolitik bleibe, wobei Deutschland insbesondere die Mütter- und Kindergesundheit im Blick habe. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und andere Interessenverbände, werteten den „Weltgesundheitsbericht 2010“ hingegen als eine Absage an die Privatisierung des Gesundheitswesens, da die WHO eindeutig den Ausbau der staatlichen Gesundheitsfürsorge fordere. Damit widerspreche der Bericht den Absichten des Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler (FDP).
Auch medico international e.V. nahm den Weltgesundheitsbericht zum Anlass für Kritik an der Politik der Bundesregierung. Die kürzlich beschlossene Gesundheitsreform höhle den hierzulande erreichten Grad eines gleichen Zugangs für alle aus, statt ihn weiter abzusichern, betonte medico international. So sei es „gut, dass der Bericht solidarisch finanzierten Gesundheitssystemen eindeutig den Vorzug gibt“, erklärte der Gesundheitskoordinator von medico international, Andreas Wulf und ergänzte: „Die internationale Unterstützung für ärmerer Länder, die den Gesundheitsbedürfnissen ihrer Bevölkerungen aus eigener Kraft nicht entsprechen können, muss allerdings zunehmen und zugleich vorhersagbarer und langfristiger angelegt sein“. Daher fordert medico die Schaffung eines „Globalen Fonds für Gesundheit“, um die Entwicklungsländer zu unterstützen und die gegenseitige Hilfe völkerrechtlich bindend zu regeln. (fp)
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