Süddeutsche Zeitung: „Homöopathie ist ein reiner Placeboeffekt“
29.02.2012
Unter der Überschrift "Homöopathie ist ein reiner Placeboeffekt" veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 1. Februar einen Online- Artikel des Journalisten Markus C. Schulte von Drach, der sich mit der Homöopathieforschung auseinandersetzt. Publikumsmedien sind keine wissenschaftlichen Journale. Aus diesem Grund darf man nicht zu hohe Ansprüche stellen, wenn sich eine angesehene Tageszeitung in die Tiefen einer wissenschaftlichen Kontroverse hineinwagt. Für ein aktualitätsgebundenes Medium wie die Süddeutsche Zeitung ist es jedoch zumindest ungewöhnlich, dass Schulte von Drach in seinem Artikel ohne aktuelle Forschungsergebnisse zur Homöopathie auskommt. So werden beispielsweise die aktuelle Ergebnisse aus der Grundlagenforschung des Schweizer Physikers Dr. Stephan Baumgartner (KIKOM) mit keinem Wort erwähnt. Baumgartner hat bei Experimenten an Pflanzen spezifische Effekte von Hochpotenzen festgestellt (1). Und Ergebnisse aktueller Arzneimittelprüfungen, die im Kontext spezifischer Effekte homöopathischer Arzneien jedem Wissenschaftsjournalisten als relevant auffallen dürften, lässt Schulte von Drach komplett aus. Stattdessen bezeichnet er Arzneimittelprüfungen pauschal als unseriös – Argumente dafür bleibt er dem Leser schuldig.
Aktuelle Studien, die hohen methodischwissenschaftlichen Standards entsprechen, zeigen einen spezifischen Arzneimitteleffekt von Homöopathika (2). Ob das Auslassen dieser und weiterer Fakten aus der aktuellen Homöopathieforschung auf die kontinuierlich sinkenden Recherchezeiten in deutschen Tageszeitungsredaktionen zurückzuführen ist, oder ob die Ergebnisse dem Autor einfach nicht in die Argumentation passten, kann nur gemutmaßt werden. Auffällig wird es erst dann, wenn Schulte von Drach als Journalist darauf verzichtet, einen O-Ton des von ihm stark kritisierten Prof. Dr. Dr. Harald Walach zum Thema einzuholen. Walach ist Professor für Forschungsmethodik mit dem Schwerpunkt Komplementärmedizin an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins Forschende Komplementärmedizin. „Hätte er vor Veröffentlichung seines Artikels mit mir gesprochen, was unter Journalisten üblich ist, so hätte er schwerwiegende Fehler vermeiden können“, so Walach. Homöopathieforschung sei ein hochkomplexes und heiß debattiertes Feld: „Dass die Homöopathie unplausibel ist, ist lange bekannt. Daraus eine Unwirksamkeit abzuleiten ist falsche Logik. Zu behaupten, die Empirie hätte gezeigt, dass Homöopathie ein Placebo ist, ist aus meiner Sicht eine allzu simple Lesart der empirischen Ergebnisse und ein logischer Fehler“, sagt Walach.
Während Schulte von Drach darauf verzichtet hat, vor der Veröffentlichung seines Artikels Walach mit seiner Kritik zu konfrontieren, hat die DZVhÄ-Redaktion den Autor um eine Stellungnahme gebeten: „In meinem Artikel habe ich zwei Aspekte – darunter die Frage nach der Wirksamkeit – aufgegriffen und der Text erhebt natürlich keinerlei Anspruch auf eine vollständige Behandlung der Homöopathie“, schreibt Schulte von Drach, „ich bin aber überzeugt davon, dass ich die angesprochenen Aspekte umfassend abge handelt habe.“ Zum Auslassen aktueller Forschungsergebnisse aus der Homöopathieforschung erklärt der SZ-Journalist: „Was als homöopathische Arzneimittelprüfung bezeichnet wird, ignoriert – wie die Homöopathie insgesamt – weitgehend die Erkenntnisse der Naturwissenschaften im Allgemeinen und der Medizin im Besonderen. Und die spezifische Wirksamkeit der Mittel selbst ist ja offensichtlich auch nicht gegeben, wie die Studienlage zeigt. Da mögen Sie jetzt einzelne Studien anführen, die etwas anderes sagen. In diesem Sinne ist die homöopathische Arzneimittelprüfung unseriös.“ Schulte von Drach stützt sich zum eine n auf die naturwissenschaftliche Unplausibilität der Homöopathie. Darf nicht sein, was bisher nicht naturwissenschaftlich erklärbar ist? Zum anderen ist er vielen Experten auf dem Gebiet der Homöopathieforschung weit voraus, die es durch die aktuelle Studienlage gerade nicht als „offensichtlich“ ansehen, dass Homöopathika wirkungslos seien (vgl. beispielsweise: Rainer Lüdtke, Norbert Schmacke at al., Claudia M. Witt, Peter F. Matthiessen et al., Michael Teut et al.). Leider thematisiert er die Kontroverse innerhalb der Scientific Community zur Homöopathieforschung nicht – genau das wäre ein hochinteressanter Beitrag für das Wissenschaftsressort der SZ – sondern teilt den SZ-Lesern seine eigene „richtige“ Schlussfolgerung mit. Die Forschung von Herrn Baumgartner ordnet er so ein: „Würde an den Arbeiten von Herrn Baumgartner etwas dran sein, dann müssten seine Arbeiten unbedingt in "Science" oder "Nature" veröffentlicht werden und er wäre ein Kandidat für den Nobelpreis. Bislang scheint er aber die physikalische Fachwelt nicht wirklich von seinen Daten überzeugen zu können. Ich erinnere hier auch an die Forschung an der Uni Leipzig von Nieber und Süß, und was dabei herausgekommen ist“ (HN November 2005 berichtete, siehe unter www.welt-der-homoeopathie.de > Presse).
Journalistisch interessant ist auch die Überschrift des SZ-Artikels. Sie ist als Zitat des Quanten -physikers Anton Zellinger gesetzt, der im Artikel vorkommt, sich aber gar nicht mit Homöopathieforschung befasst. Ohne „Anführungszeichen“ wäre diese Au ssage bereits eine falsche Tatsachenbehauptung der SZ-Redaktion. Diese Auffassung vertritt jedenfalls der Schweizer Presserat in einem Urteil des letzten Jahres (HN Mai 2011 berichtete). Eine Ausführliche argumentative Auseinandersetzung mit Schulte von Drach und eine Stellungnahme von Walach finden Sie im Wissenschaftsblog des DZVhÄ unter www.dzvhae-homoeopathie-blog.de (pm)
1. z.B. Jäger, T.; Scherr, C.; Simon, M.; Heusser, P.; Baumgartner, S.; Effects of homeopathic arsenicum album,
nosode, and gibberellic acid preparations on the growth rate of arsenic-impaired duckweed, ScientificWorld
Journal. 2010 Nov 4;10:2112-29.
2. z.B. Möllinger et al: Homeopathic Pathogenetic Trials Produce Specific Symptoms Different from Placebo. Forschung
Komplementmed 2009; 16: 105-110. Sowie Möllinger, H.; Schneider, R.: Homöopathie: mehr als nur Placeboeffekt? – Ergebnisse einer randomisierten, dreiarmigen, placebo kontrollierten Doppelblindstudie zum Vergleich der Effekte von Verum und Placebo bei einer homöopathischen Arzneimittelprüfung. AHZ 2007; 252: 72-76.
Bild: Günther Richter / pixelio.de
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