Jede zehnte Krankenhausbehandlung schadet laut einer EU-Auswertung den Patienten
10.01.2011
Hygienemängel und Behandlungsfehler führen dazu, dass in der EU bei rund jede zehnte Behandlung im Krankenhaus für die Patienten ein gesundheitlicher Schaden entsteht, erklärte der EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Bei rund zehn Prozent der Krankenhausbehandlungen in der EU treten Infektionen mit Krankenhauskeimen und Fehler in der medizinischen Behandlung auf, so die Angaben in der aktuellen Statistik der EU-Kommission. „In der Europäischen Union entsteht bei jeder zehnten medizinischen Behandlung im Krankenhaus ein Schaden für die Patienten“ erklärte der EU-Gesundheitskommissar John Dalli gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“. Der Fachmann betonte, dass „viele dieser medizinischen Behandlungsfehler (…) vermeidbar“ seien.
Hygienemängel in den Krankenhäusern führen zu Infektionen
Der EU-Gesundheitskommissar zeigte sich angesichts der aktuellen Zahlen alarmiert und forderte ein besseres Management in den Krankenhäusern sowie die permanente Weiterbildung des medizinischen Personals. Insbesondere die Hygienesituation in den Kliniken bereite der EU-Kommission erhebliche Bedenken, denn „rund 37.000 Menschen sterben pro Jahr in der EU durch Krankenhausinfektionen, und 4,1 Millionen Patienten werden jährlich durch Krankenhauskeime infiziert“, erklärte der EU-Gesundheitskommissar. Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, ergänzte im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“: „Bei vielen medizinischen Behandlungen werden die Mindeststandards der Hygiene nicht eingehalten. Es sterben viele Menschen, die nicht sterben müssten.“ John Dalli betonte, dass im Bereich der Hygiene keinesfalls gespart werden dürfe, auch wenn viele Kliniken unter wachsendem finanziellem Druck stehen. Um die Einhaltung der Vorschriften zu überprüfen, seien auch strengere Kontrollen notwendig, so der EU-Gesundheitskommissar weiter.
Multiresistente Erreger (MRSA) in deutschen Kliniken
Nach Auskunft des Sprechers der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), sind in Deutschland in den vergangenen Jahren vor allem die stetig zunehmenden Infektionen mit MRSA – multiresistente Bakterienstämme der Gattung Staphylococcus aureus (Staphylokokken), die nicht mehr auf eine Behandlung mit den gängigen Antibiotika ansprechen – ein ernsthaftes Problem. Staphylokokken sind generell relativ weit verbreitet und bei knapp einem Drittel aller Menschen auf der Nasenschleimhaut nachzuweisen. Für den Menschen gefährlich werden die Bakterien jedoch nur, wenn sie in den Körper eindringen können, wie es in Kliniken häufig der Fall ist. Ein geschwächtes Immunsystem begünstigt dabei die Ausbreitung der Erreger. Werden die Hygiene-Vorschriften in den Kliniken nicht eingehalten und zudem Antibiotika häufig und leichtfertig verwendet, entwickeln die Staphylokokken-Erreger relativ leicht die erwähnten Resistenzen und sind anschließend nur noch äußerst schwer zu behandeln. Nach Schätzung der Experten der DGKH werden deutschlandweit jährlich bis zu einer Million Patienten wegen Hygiene-Schlamperei in den Krankenhäusern mit gefährlichen Keimen infiziert.
Rund 40.000 bis 50.000 Menschen sterben dabei an den möglichen Folgen wie Blutvergiftungen (Sepsis), Harnwegsinfektionen, Entzündungen der Herzinnenhaut (Endokarditis), Wundbrand oder Lungenentzündungen, so die Angaben der DGKH. Allerdings bestehen keine konkrete Statistiken, da nach dem Infektionsschutzgesetz nur das „gehäufte Auftreten“ von Infektionen dem Gesundheitsamt zu melden ist, erklärte Klaus-Dieter Zastrow. Der DGKH-Sprecher betonte, wie wichtig einheitliche Vorschriften in ganz Deutschland wären, denn „Bakterien sind überall gleich, für sie gibt es keine Unterschiede zwischen den Bundesländern.“ Insbesondere in den Intensivstationen bestehe in Bezug auf die Hygiene noch erheblicher Handlungsbedarf, da sie nachts nicht immer ausreichend besetzt seien, um die notwendige Hygiene im Sinne der Patienten zu gewährleisten, so Zastrow.
Rechte der Patienten bei Behandlungsfehlern verbessern
Der EU-Gesundheitskommissar John Dalli erklärte, dass auch viele der medizinischen Behandlungsfehler vermieden werden könnte, wenn das medizinische Personal kontinuierlich weitergebildet und das Management in den Krankenhäusern verbessert werde. Zudem seien die Rechte von Patienten bei Behandlungsfehlern deutlich auszubauen, so die Forderung des EU-Gesundheitskommissars an die EU-Mitgliedsländer. Dabei gehe es auch darum Klagen nach einem Behandlungsfehler zu erleichtern und entsprechende Entschädigungen zu gewährleisten. Außerdem sollten die Behandlungsfehler besser erfasst werden, nicht zuletzt um den Patienten bei der Auswahl ihrer Kliniken als Auswahlkriterium zu dienen.
Bundesregierung will schnell handeln
Die gesundheitspolitische FDP-Sprecherin, Ulrike Flach, kündigte an, noch in diesem Monat konkrete Gesetzesvorschläge zu erarbeiten. Der Tod von vielen tausend Menschen in Deutschland könne "aufgrund unzureichender Hygienezustände auch in Deutschland nicht hingenommen werden". Flach will sich dafür stark machen, ein neues Deutschlandweites Register zu Infektionen in Kliniken zu gründen. Zudem sollen neue Richtlinien für Kliniken erstellt werden, um die Menschen besonders vor multiresistenten Erregern zu schützen.
Bundesärztekammer kritisiert "Panikmache"
Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, warf dem EU-Gesundheitskommissar "Panikmache" vor. Die veröffentlichte Statistik sei seiner Ansicht nach schon länger bekannt. Schon längst seien entsprechende Strukturen aufgebaut worden, um das Problem in den Griff zu bekommen. "In Deutschland ist es nicht nur fester Wille der Ärztinnen und Ärzte, aus Fehlern zu lernen, wir haben längst entsprechende Strukturen aufgebaut.", sagte Hoppe. (fp, sb)
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