Rösler plant Vorkasse beim Arztbesuch. Kassenpatienten sollen zukünftig die Kosten für jeden Arztbesuch selbst erstatten und am Ende des Jahres von den Krankenkassen zurück erstatten lassen. Verbraucherschützer laufen dagegen Sturm und sprechen von einer Einführung eines "Drei-Klassen-Modells" in der Krankenversicherung.
(30.09.2010) Der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) spricht sich dafür aus, dass Patienten zukünftig bei jedem Hausarztbesuch in Vorkasse gehen sollen. Das System wäre ähnlich wie bei den privaten Krankenversicherungen, erst am Ende des Jahres kann man die Arztrechnung bei der Krankenkasse einreichen und erhält das bereits gezahlte Geld zurück, sofern die Gesundheitsleistung als Kassenleistung gilt. Verbraucherschützer schlagen Alarm und warnen vor einer „Drei-Klassen-Medizin“.
Gesetzlich Krankenversicherte sollen nach dem Willen des Gesundheitsministers zukünftig die Arztrechnung selbst bezahlen und erst am Ende des Jahres bei der Krankenkasse einreichen. Das Konzept orientiert sich dabei stark an dem der privaten Krankenversicherung, allerdings ohne die exklusiven Gesundheitsleistungen der Privatpatienten. Die Diskussion ist nicht neu und wird schon seit längerer Zeit geführt.
Verbraucherschützer warnen vor "Drei-Klassen-Medizin"
Der Grund für die geplante Neuregelung liegt auf der Hand, denn das Bundesgesundheitsministerium erhofft sich durch die Einführung von Patientenquittungen weitreichenden Einsparpotentiale. Wer nämlich zunächst selbst die Arztrechnung bezahlen muss, überlegt es sich eventuell zwei mal, ob er zum Arzt geht. Damit soll offensichtlich erreicht werden, dass die Menschen weniger „unnötig“ eine Arztpraxis aufsuchen. Auch Verbraucherschützer schlagen Alarm: "Wir stehen kritisch zu dieser Initiative. Es besteht die Gefahr, dass sich eine Drei-Klassen-Medizin entwickelt", sagte Ilona Köster-Steinebach vom Bundesverband der Verbraucherzentralen gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Steinebach befürchtet, dass durch eine solche Regelung eine „Drei-Klassen-Medizin“ entsteht. Zu den drei Gruppen würden die Privatpatienten, die Kassenpatienten mit der Kostenerstattung und den „gwöhnlich“ gesetzlich Versicherten, denen eine Arztbehandlung als „Sachleistung“ von der Krankenkasse bezahlt wird.
Ärzte sprechen sich für das Kostenerstattungsmodell aus und erhoffen sich höhere Honorare
Viele Ärzte favorisieren hingegen das Modell. Sie würden ihre Honorarrechnungen zeitnah abrechnen können und müssten sich weitestgehend nicht um die Kostenerstattung kümmern. Denn bezahlt wird die Rechnung dann so oder so, auch wenn sich die Krankenkasse später weigert, dem Versicherten die Kosten zurück zu erstatten. Aus diesem Grund unterstützt offensichtlich auch der Bundesverband der Kassenärzte den Vorstoß des Ministers. „Wer schwarz auf weiß sieht, was die Behandlung kostet, geht wahrscheinlich bewusster damit um. Man überlegt sich: Ist jeder Arztbesuch sinnhaft?" sagte der Sprecher der Kassen-ärztlichen Bundesvereinigung, Roland Stahl, gegenüber dem Abendblatt. Doch die Verbraucherschützerin Köster warnt zeitgleich: „Der Patient darf nicht auf den Kosten sitzen bleiben.“ Die Gefahr ist zu groß, dass die Kassen dann zahlreiche Leistungen nicht mehr ohne weiteres finanzieren. Die Patienten müssten dann oftmals im Vorfeld mit der Krankenkasse verhandeln, ob die Gesundheitsleistungen übernommen werden. So besteht zudem die Gefahr, dass die Patienten damit überfordert wären. Köster-Steinebach: Bei den Plänen darf nicht die Gefahr bestehen, dass die Kassenpatienten dann auf ihren Rechnungen sitzen bleiben, obwohl sie regulär ihre Krankenversicherungsbeiträge bezahlen. Zudem müsse eine neue Gebührenordnung für Ärzte geschaffen werden, um Klarheit zu schaffen.
Krankenkassen kritisieren das geplante Modell
Auch einige gesetzliche Krankenkassen zeigten sich skeptisch gegenüber den Plänen. "Vorkasse heißt, dass den Ärzten der Griff ins Portemonnaie ihrer Patienten ermöglicht wird. Das lehnen wir ab", sagte der Sprecher des Kassen-Spitzenverbandes, Florian Lanz. "Das Sachleistungsprinzip ist ein Eckpfeiler der sozialen Krankenversicherung. Wenn kranke Menschen zum Arzt gehen, dann sollen sie sich nicht erst fragen müssen, ob ihr Geld reicht, um in Vorkasse gehen zu können."
Deutliche Kritik äußert die Verbraucherzentrale Thüringen an dem Modell. Denn Ärzte können bei dem Kostenerstattungs- Modell die Kosten nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. der Zahnärzte (GOZ) abrechnen. Dabei entstehen höhere Gebühren als beim Sachleistungsprinzip. Viele Befürworter des Modells argumentieren jedoch, dass Modell würde den Kassenpatienten auf eine Stufe mit einem privat Versicherten stellen. Das trifft nach Aussagen der Verbraucherschützer allerdings nicht zu. Für zusätzliche Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen enthalten sind, erstatten die Kassen die Kosten nicht.
Verbraucherschutz: Modell spart keine Kosten
Noch nicht einmal Kosten könnte das neue Modell sparen, so die Verbraucherschützerin Köster-Steinebach. Denn das Kostenerstattung-Modell könnte alle Ambitionen des Bundesgesundheitsministers Philpp Röslers untergraben. Die Ärzte sehen darin nämlich einen Vorteil, die Kosten zukünftig in voller Höhe erstattet zu bekommen. So sagte die Verbraucherschutz-Expertin der Zeitung: "Die Ärzte erhoffen sich eine schnelle Zahlung in voller Höhe. Über die Kassenärztlichen Vereinigungen wird wegen der Budgetierung der Honorare aber nicht die volle Höhe erstattet. Was ist dann mit der Differenz?" Denn normalerweise bekommt der behandelnde Arzt nicht alle Behandlungen in voller Höhe erstattet, die er erbracht hat. Würde eine solche Regelung der Kostenerstattung umgesetzt werden, hätten die Ärzte das Problem nicht, dafür jedoch die Patienten. Das passiert im Behandlungsalltag sehr schnell, so werden beispielsweise Behandlungen einer Frauenärztin nicht erstattet, für die sie nicht qualifiziert ist. Doch viele Behandlungen verstehen sich in einem Kontext, so dass solche Überschneidungen häufig vorkommen. Die Krankenkassen prüfen allerdings solche Vorgänge sehr genau und zahlen dann im Zweifelsfall weniger.
Der Verbraucherschutz befürchtet nun, der Druck wird dann an die Versicherten weiter gegeben. Die Verbraucherschützerin Köster-Steinebach mahnt, kranke Menschen akzeptieren jedoch lieber erhöhte Arztrechnungen, anstatt sie noch länger auf eine Arztbehandlung warten müssten.
Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen regt indes an Patientenquittungen nach jeden Arztbesuch auszustellen. Mit einer solchen Quittung sollen Patienten genau prüfen können, welche Leistungen vom behandelnden Arzt ausgeführt wurden. Dadurch könne ebenfalls ein Kostenbewusstsein bei den Patienten gefördert werden, ohne dass Kassenpatienten die Rechnungen zunächst selbst begleichen müssten.
Bundesgesundheitsminister: Keiner soll dazu verpflichtet werden
Der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler beschwichtige gestern, niemand soll zu dem Modell gezwungen werden. "Es wird auch künftig das Sachleistungsprinzip geben." Im ginge es vor allem um mehr Transparenz bei den gesetzlichen Krankenkassen. Er möchte, dass die Versicherten selbst wählen können, welches Modell sie favorisieren. Rösler bedenkt jedoch nicht, dass die „gewöhnlich“ Versicherten ähnlich wie jetzt die Kassenpatienten gegenüber den Privatpatienten benachteiligt werden könnten.
Scharfe Kritik an Zulassungsverfahren von Arzneimitteln
Auch anderweitig muss sich der Gesundheitsminister zahlreiche Vorwürfe gefallen lassen. Denn die Änderungen bei der Zulassung von Arzneimitteln stoßen auf allen Fronten auf scharfe Kritik. Bislang konnte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Arzneimittel von der Kostenerstattung durch die Krankenkassen ausschließen. In Zukunft ist eine solche Entscheidung nach dem Willen des Ministers das nur noch möglich ein, wenn der Bundesausschuss die Unzweckmäßigkeit der Arznei eindeutig nachweisen kann. Dazu sagte die Barmer GEK-Vorsitzende, Birgit Fischer: "Bei der Neuordnung des Arzneimittelmarktes scheint die Bundesregierung Gesundheitspolitik mit Wirtschaftspolitik zu verwechseln." Zunächst habe sich Philipp Rösler damit gerühmt, das "Preisdiktat der Pharmalobby" anzugehen. Nun allerdings werden unabhängige Arzneimittel-Experten ausgebremst, denn die Beweislast werde durch die Änderungen umgekehrt. Völlig absurd ist der Gesetzesentwurf deshalb, weil nun quasi nachgewiesen werden muss, dass Medikament ohne medizinischen Nutzen ist. Derzeit ist jedoch so, dass die Pharmaindustrie den Nutzen eines neuen Medikamentes nachweisen musste. Pikant daran ist, dass für die Grundlage des Gesetzesentwurf auf ein Gutachten einer Anwaltskanzlei zurück gegriffen wurden, dass im Auftrag des Verbands Forschender Pharmaunternehmen (VFA) erstellt wurden. „Dass der Gemeinsame Bundesausschuss schon zur Zulassung die Unzweckmäßigkeit eines Medikaments feststellen soll, geht an der Zielsetzung einer Nutzenbewertung völlig vorbei”, erklärte Rainer Hess vom Gemeinsamen Bundesausschusses. (sb)
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