Neues Modell zu Berechnung der weltweiten Ausbreitung von Seuchen
13.12.2013
Vogelgrippe, Schweinegrippe, SARS, EHEC – Neue humanpathogene Erreger bergen heutzutage angesichts der globalen Vernetzung oftmals das Risiko einer Pandemie. „Die globale Ausbreitung von Krankheitserregern kann schwerwiegende gesundheitliche, gesellschaftliche und ökonomische Folgen haben und ist eine große Herausforderung für die Gesundheit der Bevölkerung“, berichten das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Humboldt-Universität zu Berlin in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Um mögliche Ausbreitungswege derartiger globaler Infektionswellen zu bestimmen, haben die Forscher um Dirk Brockmann, Professor der Humboldt-Universität zu Berlin und Projektgruppenleiter am RKI, ein neues Verfahren der epidemiologische Modellierung entwickelt, das in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“ unter dem Titel „The hidden geometry of complex, network-driven contagion phenomena“ vorgestellt wird.
Mit Unterstützung von Wissenschaftlern der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) sei eine neue mathematische Theorie entstanden, „die das Verständnis globaler Seuchenausbreitung verbessert“, so die Mitteilung des RKI und der Humboldt-Universität. Damit werde die „verborgene Geometrie globaler Epidemien“ sichtbar. Das Modell ermögliche sowohl rückblickende Aussagen als auch Prognosen der Ausbreitungswege. So lasse sich beispielsweise der Ursprungsort von Krankheiten künftig genauer bestimmen und gleichzeitig vorhersagen, wann eine Epidemie voraussichtlich bestimmte Orte in der Welt erreicht. Allgemein seien Computersimulationen, die die Ausbreitung von Seuchen prognostizieren – ähnlich wie moderne Wettervorhersagen – „extrem aufwändig und erfordern die genaue Kenntnis von krankheitsspezifischen Eigenschaften, die jedoch gerade bei neuartigen Erregern noch nicht bekannt sind“, berichten die Humboldt-Universität und das RKI.
Effektive Entfernung für die Seuchenausbreitung entscheidend
Die bisherigen Modelle zur Seuchenausbreitung haben eine wesentliche Schwäche, da sie in der Regel mit geografischen Entfernungen arbeiten, die heute jedoch laut Aussage von Brockmann und Kollegen nicht mehr maßgeblich sind. „Aus der Perspektive von Frankfurt zum Beispiel sind andere Metropolen wie London oder New York effektiv nicht weiter entfernt als geographisch nahe Orte wie Bremen oder Leipzig“, so die Position der Wissenschaftler. Sie haben daher in ihrem Modell die geografische Entfernung durch die „effektive Entfernungen“ ersetzt, die sich beim Beispiel des Flugverkehrs direkt aus den Reiseströmen des Flugverkehrsnetzes ergibt. „Reisen viele Menschen von A nach B, dann ist die effektive Entfernung von A nach B klein, reisen nur wenige Menschen, ist die effektive Entfernung groß“, erläutern die Forscher. Das globale Flugverkehrsnetz verknüpft laut Aussage der Wissenschaftler weltweit mehr als 4.000 Flughäfen durch mehr als 25.000 direkte Verbindungen. Über drei Milliarden Passagiere werden jedes Jahr transportiert, wobei sie mehr als 14 Milliarden Kilometer pro Tag zurücklegen, so Brockmann und Kollegen.
Ausbreitung von Seuchen vorhersagen und den Ursprungsort bestimmen
Aus den heutigen Mobilitätsbedingungen ergibt sich oftmals eine extrem schnelle globale Verbreitung von Krankheitserregern. Während sich die Pest im 14. Jahrhundert in Europa als gleichmäßige Wellenfront von Süden nach Norden mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Kilometern pro Tag ausbreitete, erreichen moderne Seuchen zwischen 100 und 400 Kilometer pro Tag, erläuterte Brockmann. Das Modell habe allerdings gezeigt, „dass moderne Seuchenausbreitung sich entgegen allem Anschein nicht grundlegend von historischen Ausbreitungsmustern unterscheidet.“ Die Ausbreitung werde lediglich durch die veränderten Mobilitätsmuster verschleiert. Die Betrachtung der geographischen Ausbreitungsmuster von SARS (2003) und der Schweinegrippe (H1N1; 2009) mit Hilfe ihrer neu entwickelten Theorie habe gezeigt, dass aus den „komplexen raum-zeitlichen Ausbreitungsmustern regelmäßige, kreisförmige Wellenfronten (werden), die sich mathematisch leicht beschreiben lassen.“ Ausbreitungsgeschwindigkeiten von Krankheiten ließen sich somit relativ leicht berechnen und es könnte ermittelt werden, „zu welchem Zeitpunkt eine Wellenfront einen beliebigen Ort der Welt voraussichtlich erreichen wird oder wo ein Infektionsgeschehen seinen Anfang genommen hat“, so das Fazit der Wissenschaftler. (fp)
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