Rezension: C. van Schaik & K. Michel: Das Tagebuch der Menschheit / Was die Bibel über unsere Evolution verrät
Ein Anthropologe/Evolutionsbiologe und ein Historiker untersuchen gemeinsam die Bibel und werfen damit einen neuen Blick auf das verbreitetste Buch der Welt – aus einer aufklärenden Perspektive. Statt über das „Wirken Gottes“ zu spekulieren wie Theologen oder die Unmenschlichkeit der biblischen Gesetze aufzuzeigen wie Religionskritiker, entschlüsseln sie die Bibel als eine Chronik elementarer Einschnitte der Geschichte.
So verbirgt sich hinter der Vertreibung Adam und Evas ein traumatisches Erlebnis – der Übergang von Jägern und Sammlern in kleinen Gruppen zu sesshaften Ackerbauern. Dieser Bruch bedeutete eine Gewalt, die konträr zur ersten Natur des Menschen stand.
Inhaltsverzeichnis
Der größte Fehler der Menschheit
Der Biologe Jared Diamond bezeichnete das Sesshaftwerden als größten Fehler der Menschheit, und es führte zu Quantität statt Qualität. Auch das Leben der Jäger und Sammler war kein Zuckerschlecken, doch mit mehr Freizeit und weniger Arbeit verbunden als die Sesshaftigkeit – vor allem aber mit mehr sozialer Gerechtigkeit.
Das Klima war am Rande der biblischen Orte und nach der letzten Eiszeit so günstig, dass die Jäger und Sammler sesshaft wurden: Jagdbeute wie Pferde, Hirsche, Esel und Antilopen gediehen in rauen Mengen, dass die Jäger den Tieren nicht hinterher wandern mussten. Die Bevölkerung wuchs so enorm, dass Jagen und Sammeln die Menschen nicht mehr ernährte. Ackerbau war nicht primär Fortschritt, sondern bittere Notwendigkeit.
Krankheiten konnten sich jetzt viel schneller von Tieren auf Menschen übertragen, die Ernährung wurde einseitig, und die Feldarbeit bedeutete Plackerei. Die Lebenserwartung sank drastisch.
Ungleichheit und Erbkrieg
In der Zeit der Jäger und Sammler prägten sich ethische Vorstellungen von Gleichheit, Brüderlichkeit und sozialer Kooperation. Ackerbau und Viehzucht brachten notwendig Privatbesitz mit sich – damit kam die „Sünde“ auf die Welt: Ungerechte Erbfolge und als deren Folge der Kampf um das Erbe, Staaten und Klassengesellschaften, Machtkonzentration, Despotismus, Sklaverei und die Entrechtung der Frauen.
Utopie vom schönen Leben
Wie aber gelangte die Erinnerung an dieses anthropologische Trauma in die Bibel, ein Werk, das erst Jahrtausende nach dieser neolithischen Revolution entstand? Die Autoren bieten plausible Antworten auf diese Fragen: Erstens basiert die Bibel zum Großteil auf älterem Material, und klassische Episoden stammen aus den alten Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens – Sintflut, Garten Eden, Messias oder Engel.
Zweitens könnte es sich um eine in die Vergangenheit gerichtete Utopie handeln – bereichert mit Kontrasterfahrungen: Als hunderte von Autoren ihren Teil zur Bibel beitrugen, lebten immer noch Menschengruppen als Jäger und Sammler.
Medizin und Sozialgesetz
„Gottes Strafen“ in der Bibel belegen, wie Kleingruppen sich zu Massengesellschaften auswuchsen, die eine Fülle zuvor unbekannter Probleme mit sich brachten – allen voran Ungleichheit, Unterdrückung und Seuchenepidemien. So ist die Bibel über weite Strecken angewandte Medizin, ein Regelwerk, um Krankheiten zu verhindern, und außerdem ein soziales Gesetzbuch.
Abstrakte Gesetze statt persönliche Bindung
Massengesellschaften erforderten abstrakte Gesetze, die der ersten Natur, also unseren biologisch entstandenen Empfindungen, entgegen standen. Rituale banden Menschen zusammen, die keine persönlichen Bindungen hatten.
Da die Zeitgenossen die Ursachen für Naturkatastrophen nicht kannten, galten diese als „Strafe Gottes“. Was als Aberglaube erscheint, ermöglichte, durch das Herstellen eines Kausalzusammenhangs oft sinnvolle Rituale zu entwickeln und mittels dieser Kultur zu überleben. Im Alten Testament sind Katastrophen ein Motor für kulturelle Evolution.
Erste und dritte Natur
Im Neuen Testament entsteht schließlich eine Verbindung zwischen dem, was Anthropologen als unsere erste Natur bezeichnen, also unsere angeborenen Verhaltensweisen und Gefühle und unserer dritten Natur, den abstrakten Gesetzen.
Demnach spricht das Christentum das Mitgefühl für die Schwachen und Armen ebenso an, wie es die „Anderen“ als Ungläubige verteufelt: Es lässt also sowohl unseren altruistischen wie mörderischen Impulsen freien Raum. Diesen Impulsen der ersten Natur steht Gott selbst entgegen, der als reiner Geist das abstrakte Prinzip verkörpert.
Kulturelles Schutzsystem gegen neue Bedrohungen
Der Monotheismus der Juden lässt sich, laut den Autoren, als kulturelles Schutzsystem im Angesicht neuer Bedrohungen erkennen, in dem die Priester diese Bedrohungen als „Strafe Gottes“ direkt mit ihrer eigenen Aufgabe, „Gottes Willen“ zu deuten, verbanden.
Gerade dieser Blick auf die Thora gelingt den Autoren meisterhaft. Ihnen zufolge zeigen die übergenauen Gesundheitsvorschriften der Thora, wie die jüdischen Stämme unter zuvor unbekannten Epidemien litten, mit denen sie sich in den Metropolen Mesopotamiens infizierten. Die „große Hure Babylon“ als jüdisch-christliches Sinnbild moralischer Verdorbenheit gewinnt unter dem Aspekt der Seuchenverbreitung eine handfeste Bedeutung.
Die „Große Hure Babylon“
Da den Menschen die Ursache der Krankheiten unbekannt war, vermuteten sie dahinter „Gottes Zorn“, der die „Sünder“ bestrafte, und sie versuchten, diesen „Zorn“ schon im Vorfeld zu besänftigen, indem sie Hygiene-, Gesundheits- und Moralvorschriften einführten, die sie bis ins kleinste Detail einhalten mussten.
Wenn die Juden Krankheiten als Strafe für Sünde ansahen, beruht die „Große Hure Babylon“ auf realen Beobachtungen. In den Massenquartieren Babylons (und der anderen Metropolen) verbreiteten sich Viren und Bakterien ungehemmt, während sich bei den wandernden Jägern und Sammlern Epidemien nicht ausbreiten konnten, da die Erreger kaum von einer Kleingruppe auf die nächste übersprangen.
Trotz der falschen Prämisse dämmten die jüdischen Priester Infektionskrankheiten mittels religiöser Reinheitsgebote ein. Sie bestraften Geschlechtsverkehr mit Tieren sowie Homosexualität mit dem Tode, sie sprachen Höchststrafen aus für den, der seinen Samen im öffentlichen Bereich verspritzte und seinen Kot wie Urin nicht an den dafür vorgesehen Latrinen platzierte. Sie erklärten eine Vielzahl von Tierarten als Nahrungsmittel für tabu etc.
Sodomie überträgt Krankheiten
Sex mit Tieren vervielfachte die Zahl der sexuell übertragbaren Krankheiten. Dass es kein natürliches Tabu für diese Sexualpraktiken gab, erklären die Forscher aus der Lebensweise. Für Jäger und Sammler gibt es kaum Möglichkeiten zum Sexualverkehr mit (Wild-)Tieren, damit gab es keinen Grund, eine natürliche Abscheu zu entwickeln.
Den Viehzüchtern standen jetzt animalische Sexualobjekte in Fülle zur Verfügung. Hinzu kam jetzt die soziale Struktur: Die Jäger und Sammler hatten sexuell recht freizügig gelebt. Doch mit dem Privatbesitz galten auch Beziehungen als Eigentum und zudem ging ein Großteil der jungen Männer leer aus, weil ihnen Erbe, Besitz und Status fehlten, um zu heiraten. Für die sexuell Ausgeschlossenen blieben Rinder, Schafe und Ziegen.
Allein das mehrfache Betonen der Todeswürdigkeit von Sex mit Tieren in der Thora zeigt, so die Autoren, wie verbreitet er unter den Viehzüchtern und Ackerbauern gewesen sein muss.
Prävention von Geschlechtskrankheiten
Das Alte Testament unterdrückt die Selbstbestimmung der Frau und stellt sie unter die Herrschaft der Patriarchen. Außerehelichen Sex als todeswürdig zu bestrafen, hatte, laut den Autoren, auch den Zweck, Geschlechtskrankheiten zu verhindern.
Dies erklärt mit, warum Polygynie erlaubt war, aber außereheliches sexuelles Vergnügen der Frauen verboten: Die größte Gefahr, sich mit Geschlechtskrankheiten bei außerehelichem Verkehr der Frauen zu infizieren, hatten Männer mit mehreren Frauen. Besonders die Elite sorgte deshalb, so die Autoren, panisch dafür, „ihre“ Frauen „rein“ zu halten – sexuell übertragbare Krankheiten wären auch ein Motiv für den Jungfräulichkeitskult vor der Ehe, den Islam und Christentum aus dem Alten Testament übernahmen. Je weniger Sex vor der Ehe eine Frau hatte, umso geringer war das Risiko, sich mit sexuellen Erkrankungen zu infizieren.
Jäger und Sammler hingegen litten kaum unter Geschlechtskrankheiten und praktizieren noch heute häufig vorehelichen Geschlechtsverkehr.
Die Macht der Toten
Schon die ältesten religiösen Vorstellungen lassen sich als Angst vor Krankheiten deuten, so die Autoren; sie verweisen auf Ahnenkulte. Zum einen erfahren Menschen im Traum, dass sie sich „vom Körper lösen“, zum anderen „besuchen“ uns die Toten im Schlaf. Zwischen einer Traumfigur und einer Geistererscheinung machten unsere Vorfahren keinen Unterschied.
Die Angst vor den „Geistern der Toten“ lag indessen daran, dass die Toten töten können. Herum liegende Leichen lockten Raubtiere an – verwesende Körper sind eine Brutstätte für Infektionen.
Davon leiten unsere Vorfahren die Erkenntnis ab, dass Tote töteten, ohne etwas zu tun. So wurden die „Geister der Toten“ verdächtigt, hinter jedem Übel zu stehen – sie wurden zu den ersten Göttern.
Die Krankheiten der Sesshaften
Die Sesshaftigkeit führte nicht nur zur Klassenherrschaft; Überschwemmungen wie Erdbeben, Dürre oder Stürme trafen die Menschen jetzt viel stärker als vorher die Jäger und Sammler. Die Sesshaften konnten nicht mehr weiterziehen, wenn das Getreide verdorrte.
Das Vieh bringt die Seuchen
Noch schlimmer jedoch wüteten die neuen Seuchen, die den Menschen zuvor unbekannt gewesen waren. Krankheitserreger überwanden die Artenschranke, weil die Viehzüchter jetzt mit Schafen, Ziegen und Rindern dicht an dicht lebten. Die übelsten Krankheiten kamen sämtlich von Erregern, die sich aus Krankheiten von Tieren entwickelt hatten: Pest, Tuberkulose, Malaria, Cholera, Pocken und Grippe.
Die frühen Siedlungen der Landwirte boten solchen Erregern ein Paradies. Löschte zuvor ein Virus eine Jägergruppe aus, nahm er sich selbst die Grundlage, zu existieren. In den Städten stieg die Dichte der Menschen auf das Hundertfache, das Reservoir für Viren und Bakterien vervielfältigte sich.
Städte werden zu Virenparadiesen
Zudem boten die Sesshaften den Plagegeistern auch noch einen exzellenten Lebensraum. In den festen Orten häuften sich die Abfälle, und mit den Exkrementen von Tieren und Menschen gelangten Mikroben in das Trinkwasser. Laut den Autoren zeigen die versteinerten Fäkalien der frühen Bauern, dass die Menge an Spul- und Peitschenwürmern mit der Sesshaftigkeit drastisch anstieg.
Bis in das 18. Jahrhundert blieb derweil der Ursprung der Krankheiten ein Rätsel. Es gehört zur menschlichen Natur, einen Urheber zu suchen. Das waren unseren Vorfahren die Geister. Im Unterschied zu deren vermutetem Wirken bei Jägern und Sammlern schlugen diese aber unter den sesshaften Landwirten und Städtern erbarmungsloser zu als je zuvor – jetzt wurden sie in der Vorstellung mächtiger als je zuvor.
Täter und Schuld
Der Täter war benannt – die Geister. Warum aber schlugen sie derart grausam zu? Die Antwort lautete: Sie waren zornig, weil die Menschen die Geister nicht gewürdigt hatten. Sie straften, weil Menschen schuldig geworden waren. Um dies zu vermeiden, reichte es nicht mehr aus, bei der „Strafe“ für Wiedergutmachung zu sorgen, sondern es galt, vorzubeugen, damit die Geister überhaupt nicht erst wütend wurden.
Priester legten „Sündenkataloge“ an, immer neue Regeln wurden zu komplexen Systemen geformt. Priester galten als Meister darin, die Gunst der Götter zu gewinnen. Religion und Medizin wurden identisch.
Die neue Moral entwarf eine Rigidität, die die Jäger und Sammler niemals auf sich genommen hätten. Der Ursprung dieses religiösen Totalitarismus lag, so die Autoren, daran, dass die Götter offensichtlich Kollektivstrafen verhängten: Epidemien, Dürren oder Fluten. Folgerichtig konnte in einer solchen Kausalität das Missverhalten einzelner zur göttlichen Strafe an einer ganzen Gesellschaft führen.
Von der Krankheit zur Sünde
Zwar wussten die Menschen nichts über die Ursache, erkannten aber, dass Krankheiten besonders im Kontext der Sexualität, Hygiene und Essen auftraten. Folgerichtig ist die Thora überfüllt mit Gesetzen, die diese Bereiche strikt regelten. Körperlichkeit und Sex gehören elementar zu unserer ersten Natur, und die lehnte sich gegen die Sexualfeindlichkeit des Alten Testaments auf. Diese Sexualfeindlichkeit wiederum, die die Lust zur Sünde erklärte, hat wiederum einen Ursprung darin, dass sich Krankheiten über Sex verbreiteten.
Dabei, so betonen die Autoren, beugten die auf der Basis einer falschen Prämisse eingeführten hygienischen Gesetze, tatsächlich Krankheiten vor. Zugleich „bewies“ jede neue Seuche die Gegenwart der mächtigen Götter, und jede neue Katastrophe führte zu religiösem Eifer. „Die Virulenz der Krankheiten sorgte für die Virulenz der Religion.“
Schutz vor Krankheiten
Medizin war, so der Anthropologe George Murdock, angewandte Religion. Gott droht im Alten Testament ununterbrochen mit Krankheiten, die er als Strafe für Sünden bringt – und „Gott“ schildert detailliert, um welche Leiden es sich handelt. Gott wird wörtlich Arzt genannt, der denjenigen von Krankheit verschont, der seine Gebote befolgt. Zu den Krankheiten, mit denen dieser „Arzt“ droht, gehören „ägyptisches Geschwür“, Pocken, Grind und Krätze, aber auch Wahnsinn, Blindheit und Verwirrung des Geistes.
Er bestraft Miriam mit Aussatz, als sie die Autorität von Moses anzweifelt, er tötet tausende von Israelitien, die seine Gesetze missachten – mit einer Seuche. Die „göttlichen Gebote“ zu befolgen war für die Juden Krankheitsprophylaxe.
Blut, Sperma und Sünde
Reinheit assoziierten die alten Juden mit der Ordnung Gottes, mit Leben und Gesundheit, Unreinheit mit Sünde, Krankheit und Tod. Dabei sind aber die Dinge, die in der Thora als unrein gelten, auch im klinischen Sinne infektiös: Fäkalien, Aas und Körperflüssigkeiten. Wer unrein war, musste sich reinigen – er musste sich waschen und stand unter Quarantäne.
Das Alte Testament befasst sich im Übermaß mit Körperflüssigkeiten, und „Gott“ erklärt Aaron konkret zum Beispiel, wie mit einem Ausfluss am Penis umzugehen ist. Der Betroffene müsse seine Kleider und sich selbst mit Wasser waschen, und wer ihn berührt, muss das gleiche tun. Wer mit dem Speichel eines Aussätzigen in Berührung kommt, muss sich ebenfalls gründlich waschen. Wen ein Aussätziger anfasst, ohne sich zuvor die Hände zu waschen, der muss sich mit Wasser abwaschen und seine Kleidung waschen. Als rein galt ein Aussätziger, wenn er sieben Tage keinen Aussatz hatte und sich danach noch einmal gründlich wusch.
Also wussten die Verfasser der Thora, dass Körperflüssigkeiten mit Krankheiten zu tun haben. Unter diese Körperflüssigkeiten, die besonderer Reinigung bedurften, gehörten auch Sperma und das Blut menstruierender Frauen. Die Autoren schließen: „Die Hygienverordnung eines Krankenhauses dürfte heute kaum detaillierter sein.“
Der Gott der Latrinen
Im Krieg schrieb die Thora vor, dass die Soldaten ihre Notdurft außerhalb des Lagers verrichten mussten, wo sie ihre Exkremente mit einer Schaufel zuscharrten.
Jared Diamond zeigte, warum in biblischen Zeiten solche Regeln notwendig waren: Jäger und Sammler hinterließen ihre Exkrementhaufen samt Mikroben und Wurmlarven, wenn sie weiterzogen. In den späteren Heerlagern waren hingegen Menschen auf engstem Raum zusammen gepfercht, und darum interessierte sich Gott für Latrinen. Seuchen rafften bis heute unverhältnismäßig mehr Soldaten dahin als die Waffen der Feinde.
Aussatz
Die von den Autoren zitierten Bibelstellen zu spezifischen Krankheiten lassen eher an ein medizinisches Handbuch denken als an eine religiöse Schrift. So soll ein Mensch zu einem Priester gehen, wenn an seiner Haut eine Erhöhung entsteht und zu einer aussätzigen Stelle wird.
Der Priester erklärt ihn für unrein und schließt ihn für sieben Tage ein. Wenn die Stelle nach drei Wochen blass geworden ist und sich nicht einfrisst, soll der Priester ihn rein sprechen. Frisst der Ausschlag sich aber weiter, dann spricht der Priester ihn unrein.
Fehlbildungen
Körperliche Fehlbildungen setzt die Bibel mit Krankheiten gleich – anderes war bei damaligen medizinischen Wissen auch kaum möglich. Da auch diese Fehlbildungen Strafen Gottes darstellten, durften die Betroffenen keine Priester werden.
Das AT belässt es nicht bei Allgemeinplätzen, sondern zählt auf, wer alles kein Priester werden darf: Menschen mit entstelltem Gesicht, Missbildungen, Buckel oder Verkümmerungen, des weiteren die mit einem weißen Fleck im Auge, Krätze oder beschädigten Hoden.
Leichen
Die Berührung von Aas war bei den alten Juden tabu. Wer menschliche Leichen berührte galt für sieben Tage als unrein und reinigte sich mit einem speziellen Wasser.
Fremde
Die Bibel berichtet, wie Gott eine Plage auf die Israeliten schickte, nachdem diese mit den Töchtern der Moabiter „gehurt“ und gegessen hatten. 24.000 Menschen starben an „Gottes Fluch“, einer Seuche. Tatsächlich können Sexualverkehr und gemeinsames Essen mit Fremden zu Infektionen führen.
Gott entschärft ein ethisches Dilemma
„Jahwes Gesundheitsfürsorge kennt bloß eine Devise: Gesetzestreue“
Krankheiten waren in der Thora eine Strafe Gottes, und der Kranke hatte Schuld auf sich geladen. Das rechtfertigte, Kranke von der Gesellschaft zu isolieren, was wissenschaftlich gesehen sinnvoll ist, um Ansteckung zu verhindern – für die Kranken bedeutet es jedoch Isolation wie Ächtung, zusätzliches Leid.
Es ging in der Thora nicht um die individuellen Bedürfnisse von Patienten, sondern darum, die Gemeinschaft zu schützen. „Gott“ half aus einem ethischen Dilemma, das die Medizin bis heute nicht lösen kann: „Um Epidemien zu verhindern, ist die Isolierung von Infektionsherden sinnvoll. Der ersten Natur aber erscheint es unmenschlich, Kranken die Solidarität aufzukündigen.“
Fazit
Der Blickwinkel des Anthropologen zeigt die Bibel auch als ein Werk der Medizingeschichte, in dem der Schutz vor Krankheiten Auslöser für das Erlassen von Gesetzen war, die im Juden- wie Christentum auch heute noch gültig sind.
Wer die Bibel mit den Augen von Van Schaik und Kai Michel liest, bekommt ungeahnte Ausblicke in Weg weisende Einschnitte der Geschichte menschlicher Kulturen. Lesen lohnt sich. (Dr. Utz Anhalt)
Quelle
Carel van Schaik & Kai Michel: Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät. Reinbek bei Hamburg. Dezember 2017.
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
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