Streit zwischen Hausärzten und AOK Bayern
Die Krankenkasse AOK Bayern kündigt Hausarztverträge fristlos. Der Bayrische Hausärzteverband bleibt dennoch bei seiner Position und will die Krankenkassen zu erneuten Verhandlungen über höhere Honorare zwingen.
16.12.2010
Eine neue Eskalationsstufe im Streit zwischen bayrischer Ärzteschaft und Krankenkassen ist erreicht: Die Allgemeine Ortskrankenkasse AOK hat die Hausärzteverträge fristlos gekündigt. Die Kündigung der Verträge mit den Hausärzten hat auch weitreichende Folgen für AOK-Krankenversicherte in Bayern.
In der nächsten Woche wollten Bayerns Hausärzte-Verbände darüber beraten, ob eine Mehrheit der Hausärzte zum Jahresbeginn 2011 aus Protest an der Gesundheitsreform ihren kassenärztliche Zulassung zurück geben und somit den Ausstieg aus dem gesetzlichen Gesundheitssystem vollziehen. Doch dieser Ankündigung seitens der Hausärzte ist nun die AOK zuvor gekommen. Die Kasse kündigte mit sofortiger Wirkung und fristlos den Hausärztevertrag mit dem Bayrischen Hausärzteverband. Die Kasse begründet diesen drastischen Schritt damit, dass der Verband der Hausärzte ihrerseits angekündigt hätte, aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung auszusteigen. Ein solches Vorhaben verstoße nach Ansicht der Kassenvertreter gegen die deutschen Sozialgesetze, wie der AOK-Kassenchef Bayerns, Helmut Platzer, betonte. Es sei für die AOK nahezu Kasse "unmöglich und unzumutbar, mit einem Verband zusammenzuarbeiten, der sich in zentralen Fragen der Sozialgesetzgebung rechtswidrig verhält." Schließlich habe die Krankenkasse bereits zu Beginn des Monats Dezember mit einer Kündigung gedroht, falls der Ärzteverband von seinem Systemausstiegsplänen keinen Abstand nehme. Die Kündigung der Verträge ist zwar fristlos, allerdings bietet die AOK dem Ärzteverband an, eine Auslauffrist bist zum 13. Dezember 2010 in Anspruch zu nehmen, damit das laufende Abrechnungsquartal noch in Anspruch genommen und verrechnet werden kann.
Weitreichende Folgen für Patienten
Für die Patienten hat die Kündigung der Hausarztverträge weitreichende Folgen. AOK-Patienten müssen nun beispielsweise auf Zusatzleistungen verzichten, die in den Verträgen festgeschrieben wurden. Darunter fallen zum Beispiel Vorsorgeleistungen wie der kostenlose Gesundheitscheck, den Versicherte einmal pro Jahr durchführen können. Weitaus dramatischer wird es für Patienten, die unter chronischen Krankheiten leiden. Hier fallen zunächst spezielle Therapien für die Betroffenen weg. Zudem wird ab sofort auch für chronisch Kranke die volle Praxisgebühr fällig. Vor der Kündigung mussten die Betroffenen laut Vertragsrichtlinien nur einmal im Jahr den regulären Praxisbeitrag von 10 Euro begleichen. Diese Deckelung der Kosten fällt nun für AOK-Versicherte weg.
Reguläre Gesundheitsversorgungen beim Hausarzt können dennoch weiterhin in Anspruch genommen werden, wie die AOK betonte. Die Versicherten können selbstverständlich weiterhin zum Hausarzt gehen und sich behandeln lassen. Die Vertragskündigung betrifft nämlich nicht die Kassenzulassung der Ärzte. Die Zulassung bleibe vorerst bestehen, es sei denn die Hausärzte machen ernst und kündigen ihrerseits die Kassenärztliche Zulassung. "Die Versorgungssicherheit der Patienten ist vollumfänglich gewährleistet", sagte der Kassen-Vorstandvorsitzende Platzer. Die AOK werde nun AOK-Mitglieder im vollen Umfang über den Stand der Dinge informieren und Fragen hierzu beantworten. Betroffen von der Eskalation des Streits sind rund 2,6 Millionen Krankenversicherte und etwa 7000 Mediziner in Bayern.
Geplanter Systemausstieg mit wirtschaftlichen Folgen für die Hausärzte
Die AOK hat zeitgleich auch den bayrischen Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) über die fristlose Kündigung informiert. Hier zeigte man sich besorgt und ermahnte die Hausärzte zur Umsicht. Wer einmal aus dem Kassensystem ausgestiegen ist, der bleibe auch draußen, wie Söder in einem Interview sagte. Die geplante Rückgabe der Kassenzulassung sei laut Gesundheitsminister eine „One-Way-Ticket“.
Die AOK Bayern sieht durch den geplanten Systemausstieg des BHÄV die ambulante Versorgung der bayerischen Bevölkerung und die wirtschaftliche Existenz tausender Arztpraxen bedroht. "Denn im Falle eines kollektiven Systemausstiegs verlieren alle Verträge mit den Krankenkassen von Gesetzes wegen ihre Gültigkeit." Für die beteiligten Ärzte ergeben sich daraus massive Konsequenzen. So erhalten sie weder von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) noch von den Krankenkassen ein Honorar. Patienten können nur noch auf Privatrechnung behandelt werden, die von den Kassen nicht erstattet werden darf. Eine neue Zulassung als Vertragsarzt ist frühestens nach sechs Jahren möglich.
Bayerischer Hausärzteverband bleibt bei seiner Position
In einem Rundschreiben an die Versicherten informiert der Bayrische Hausärzteverband die Versicherten. So ist dort zu lesen: „Hausarztverträge in der jetzigen Form wird es bald nicht mehr geben. Dafür sorgt eine Gesetzesänderung, die Gestaltungsmöglichkeiten für Hausarztverträge drastisch einschränkt. Ohne Hausarztverträge aber können Kassenärzte nur unter dem Dach der Kassenärztlichen Vereinigung arbeiten. Das bedeutet Budgetierung in Bezug auf Medikamente, die Behandlung selbst und eine Begrenzung der Zahl behandelter Patienten – all das zu einem Honorar, mit dem der hohe Standard der HZV nicht beibehalten werden kann." Aus diesem Grund fordere der Verband der Hausärzte höhere Honorare für die Hausärzte in Bayern. Mit den neuen geplanten Protestaktionen und dem Systemausstieg wollen die Ärztevertreter die Kassen dazu zwingen, neue Verträge auszuhandeln. Die AOK ermahnt ihrerseits die Ärzteschaft: „Für die AOK Bayern ist die Umsetzung der versorgungspolitischen Idee der hausarztzentrierten Versorgung unverändert eine der großen Aufgaben im Gesundheitswesen“, so Platzer. Der Patient profitiere von einer erheblich besseren Versorgungsqualität, wenn er mit Hilfe eines qualifizierten Hausarztes durch das komplizierte Gesundheitssystem gelotst werde. Die Hausärzte würden deshalb Partner der AOK Bayern bleiben. „Dies geht allerdings nur im Rahmen der geltenden Gesetze“, so der AOK-Chef. Auf dieser Grundlage biete die AOK Bayern weiterhin ihre Zusammenarbeit in der hausarztzentrierten Versorgung an.
Gleichzeitig betonte der Kassen-Chef, er habe "keinerlei Verständnis" dafür, dass ausgerechnet die Hausärzte in Bayern einen solchen Streit vom Zaun brechen. Denn der Fallwert, also der Umsatz pro Patient, sei für Bayerns Ärzte im Bundesvergleich sehr hoch. Derzeit liegt der Durschnitt bei etwa 43 Euro je Quartal. Das Kassenhonorar in Bayern liegt bei 60 Euro. Die AOK Bayern zahle mit über 80 Euro nochmals deutlich mehr, sagte der Kassenchef Platzer. (sb)
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Bild: Andreas Morlok / pixelio.de
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