Zusatzbeiträge der Krankenkassen: Rund eine halbe Million Versicherte wechselten im ersten Halbjahr die Krankenkasse.
(30.07.2010) Seit Beginn des Jahres erheben zahlreiche Krankenkassen einen Zusatzbeitrag. Rund 500.000 Menschen wechselten daraufhin ihre Krankenkasse. Profitiert haben vor allem die Kassen, die keine Zusatzbeiträge erheben. Tendenz weiter steigend.
Die Wechselbewegungen sind weiterhin sprunghaft angestiegen. Aufgrund der eingeführten Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen kehren immer mehr Versicherte ihrer Krankenversicherung den Rücken. 16 Krankenkassen erheben derzeit Zusatzbeiträge. Das ergeht aus Informationen aus Branchenkreisen, die der Nachrichtenagentur dpa vorlagen. Hier nun ein Überblick über die Krankenkassen, bei denen die meisten Versicherten wechselten.
Bis zu Beginn des Monats Juli verließen etwa 241 000 Mitglieder die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK). Rechnet man die beitragsfreien Mitversicherten dazu, so verließen sogar rund 307.000 Menschen die DAK. Wie eine Sprecherin der Krankenkasse hinweist, hätte die DAK allerdings 60.000 Versicherte durch Todesfälle oder Wechsel in die beitragsfreie Familienversicherung verloren. Der Rest machte von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch und wechselte nach Erhebung der Zusatzbeiträge in eine andere Krankenkasse.
Die BKK Gesundheit, die noch vor einigen Tagen eine Fusion mit der DAK eingehen wollte, verlor satte 20 Prozent ihrer Mitglieder. Die BKK sieht ebenfalls den Grund für die Abwanderung bei den Zusatzbeiträgen. So sagte eine Sprecherin: "Wir können das eindeutig auf den Zusatzbeitrag zurückführen, mittlerweile geht die Abwanderung zurück". Die Betriebskrankenkasse hatte den Zusammenschluss mit der DAK in der letzten Woche aufkündigt, beide Kassen würden doch nicht zusammen passen, wie es hieß.
Auch die KKH-Allianz verlor 147 000 Krankenversicherte, davon 116.000 Beitragszahler. Die KKH-Allianz machte zudem eine interessante Beobachtung. Zum ersten Mal hätten viele Rentner und Hartz-IV-Bezieher die Krankenkasse verlassen. Noch vor einiger Zeit hätten nur Besserverdiener und jüngere Leute die Kasse verlassen, um sich kostengünstiger zu versichern. Der Grund: Hartz-IV Empfängern werden die Zusatzbeiträge durch die Arbeitsagenturen nicht bezahlt. Sie werden sozusagen von Amtswegen zum Wechsel aufgefordert.
Von den Wanderbewegungen haben die Krankenkassen profitiert, die (noch) keine Zusatzbeiträge erheben. Allen voran die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). So konnten alle AOK Krankenkassen einen kräftigen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnen. Mehr als 521 000 Versicherte gewannen die 14 Krankenkassen der AOK seit Jahresbeginn hinzu. Ebenfalls stark profitiert hat die Techniker Krankenkasse (TK), in diese Kasse wechselten mehr als 238.000 Menschen. In die größte Krankenkasse "Barmer GEK" wechselten 69.000 Versicherte. Keine Zusatzbeiträge zu erheben, hat sich für die genannten Krankenkassen offenbar rentiert.
Unklar ist jedoch, ob und wann die Kassen ebenfalls Zusatzbeiträge erheben. Die KKH-Allianz äußerte sich allerdings optimistisch, perspektivisch keine Zusatzbeiträge mehr zu erheben. Allerdings sei es noch zu früh, Prognosen anzustellen, wie ein DAK-Sprecher entgegen hält. Die Politik geht davon aus, dass die "angesprungene Konjunktur" sich auch auf die gesetzlichen Krankenkasse positiv niederschlägt. So erklärte der stellvertretende Unions-Fraktionschef Johannes Singhammer (CSU), er rechne im kommenden Jahr mit einer "Entspannung für die gesetzliche Krankenversicherung".
Doch die Situation von vor allem kleineren Krankenkassen dürfte auch 2011/2012 weiterhin angespannt bleiben. Denn die Unterschiede in der Mitgliederstruktur innerhalb der Krankenkassen ist einfach zu groß, wie auch der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem gegenüber der dpa bestätigte. Denn ab 2011 können die Krankenkassen die derzeit gedeckelten Zusatzbeiträge selbst bestimmen. Müssen Versicherte höhere Beiträge zahlen, wird es wieder zu großen Wechselbewegungen kommen. Und das ist auch so gewollt von der Koalition, wie Bundesaußenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) gegenüber RTL bestätigte. Westerwelle nennt es "Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenversicherungen".
Um diesem Wettlauf um Mitglieder stand zu halten, planen viele Krankenkassen Zusammenschlüsse. Die derzeitige Anzahl der Kassen wird sich vermutlich von 163 auf maximal 100 reduzieren. Andere werden in die Insolvenz gehen müssen, denn nicht alle Kassen können entsprechende Partner finden. Drei Kassen hatten bereits dem Bundesversicherungsamt eine drohende Pleite gemeldet.
Nach der Sommerpause will der Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) einen Gesetzesentwurf zur Reform der Krankenkassen vorlegen. Die bisher auf ein Prozent des Brutto-Einkommens begrenzten Zusatzbeiträge sollen dann vermutlich unbegrenzt steigen dürfen. Ein sog. Sozialausgleich soll verhindern, dass niedrige Einkommensgruppe übermäßig viel für ihre Krankenversicherung aufbringen müssen. Doch die Ersatzkassen warnen vor einer neuen sozialen Ungerechtigkeit. Bei vermehrten Zusatzbeiträgen werden Gutverdiener weniger belastet. Zudem soll der Zugang zu den Privaten Krankenversicherungen gelockert werden. Damit würden den Kassen vor allem die hohen Beiträge der Besserverdiener abhanden kommen, was die Situation der Gesetzlichen Kassen weiter verschärfen wird.
Kritik kommt auch von den Sozialverbänden: "Die Erhebung einkommensunabhängiger Zusatzbeiträge stellt faktisch die Einführung eines Kopfpauschalensystems dar", kritisiert der Sozialverband "Volkssolidarität" in einem Papier. "Mit den Zusatzbeiträgen erhöhe sich erst einmal die Belastung für untere und mittlere Einkommensbezieher, insbesondere Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose, Geringverdiener, Auszubildende und Studierende sowie für junge Familien". Das führe zu einer realen Kürzung der Netto-Einkommen. Zudem würde Röslers Gesundheitsreform auch gegen die Verfassung verstoßen.
Sonderkündigungsrecht bei Zusatzbeiträgen
Erheben Krankenkassen einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten, können Mitglieder durch die Veränderungen von ihren Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Die Kündigungsfrist beträgt bei einer Sonderkündigung zwei Monate zum Monatsende. Der Zusatzbeitrag oder auch der erhöhte Zusatzbeitrag muss von dem Versicherten während der Kündigungsfrist nicht gezahlt werden. Allerdings besteht eine Krankenversicherungspflicht, das bedeutet, man muss sich innerhalb der Kündigungsfrist eine neue Krankenkasse suchen. Doch Vorsicht, man sollte genau schauen, welche Krankenkassen nicht schon einen Zusatzbeitrag angekündigt hat, ansonsten muss man nach nur einer kurzen Zeit erneut wechseln. Fusioniert eine Kasse, so kann man allerdings keinen Gebrauch von seinem Sonderkündigungsrecht machen. (sb,dd,gr)
Immer höhere Zusatzbeiträge?
Krankenversicherungen: Privat oder Gesetzlich?
Röslers Gesundheitsreform widerspricht Grundgesetz
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.