Drittes Geschlecht für Intersexuelle durch Deutschen Ethikrat gefordert
23.02.2012
Der Umgang mit Intersexualität, also Menschen, die Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau aufweisen, ist nicht nur für die Betroffenen sondern auch für die Gesellschaft ein schwieriges Themenfeld. Jetzt hat sich der Deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme für die Einführung eines „dritten Geschlechts“ ausgesprochen.
Den Betroffenen der Intersexualität soll bei der Eintragung ins Personenstandsregister die Möglichkeit geboten werden „neben der Eintragung als weiblich oder männlich“ auch das Geschlechts „anderes“ zu wählen, erklärte der Deutsche Ethikrat. So würden die als intersexuell bezeichneten Menschen nicht mehr dazu gezwungen, sich auf ein bestimmtes Geschlecht festzulegen. Der bisherige Umgang mit den Betroffenen ist nach Ansicht des Expertengremiums ethisch nicht vertretbar. Zumal zahlreichen Intersexuellen in der Vergangenheit erhebliche „Schmerzen“ und „persönliches Leid“ zugefügt wurde, da Mediziner versuchten, durch Operationen und Hormonbehandlungen eine eindeutige Festlegung des Geschlechts zu erreichen.
Ethikrat-Stellungnahme zum Thema Intersexualität
Der Deutsche Ethikrat hat im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Empfehlungen zum Umgang mit dem Thema Intersexualität erarbeitet. Das Expertengremium widmete sich dabei explizit den Menschen, die von Geburt an Geschlechtsorgane von Mann und Frau aufweisen. Transsexuelle, die ihr Geschlecht durch künstliche Eingriffe verändert haben oder Menschen, die trotz eindeutiger biologischer Geschlechtsmerkmale unter dem Gefühl leiden, im falschen Körper zu stecken, waren nicht Inhalt der Arbeitsgruppe. Der Ethikrat bestimmte in seiner Definition der Intersexualität, dass dies Menschen seien, die sich „aufgrund von körperlichen Besonderheiten nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen.“ Daher dürfe den Betroffenen auch die Festlegung auf ein bestimmtes Geschlecht nicht länger vorgeschrieben werden, sondern es sollte die Möglichkeit bestehen in den entsprechenden Urkunden als Geschlecht „anderes“ anzugeben.
Menschen mit Geschlechtsmerkmalen von Mann und Frau
Dieser neu einzuführende Geschlechtsstatus, soll der Tatsache gerecht werden, dass sich bei einigen Menschen Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau entwickeln. So haben manche Menschen trotz männlichem Chromosomensatz keine Hoden, sondern eher weiblich wirkende Geschlechtsorgane. Auch finden sich mitunter gleichzeitig Anzeichen auf Eierstöcke und Hoden. Die verbreitetste Form der Intersexualität ist das Adrenogenitale Syndrom (AGS), welches laut Aussage des Ethikrates bei schätzungsweise einer von 10.000 Geburten auftritt. Die Betroffenen haben einen weiblichen Chromosomensatz, weisen voll funktionsfähige weiblichen Geschlechtsorgane auf (sind somit auch fortpflanzungsfähig), zeigen jedoch gleichzeitig Geschlechtsmerkmale von Männern. Auch die Klitoris kann sich bei ihnen zur Größe eines Penis entwickeln. Die Zahl der tatsächlich Betroffenen in Deutschland ist den Experten des Ethikrats zufolge bislang unklar. Im Rahmen der aktuellen Bearbeitung der Thematik hätten bei einer Befragung 199 Intersexuelle teilgenommen und auch an früheren Studie seien jeweils einige Hundert beteiligt gewesen, so der Ethikrat in seiner Stellungnahme.
Öffentliche Diskussion um intersexuelle Goldmedaillengewinnerin
Die Öffentlichkeit hat von dem Thema Intersexualität und den Problemen der Betroffenen bislang jedoch nur am Rande Kenntnis genommen. Lediglich als die Südafrikanerin Caster Semenya bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin die Goldmedaille über 800 Meter der Frauen gewann und anschließend die Diskussion um das Geschlecht der Läuferin entbrannte, stand Intersexualität kurzfristig im Fokus des öffentlichen Interesses. Caster Semenya musste sich aufgrund der Zweifel nach ihrem Sieg einem Geschlechtstest unterziehen, die Ergebnisse wurden jedoch geheimgehalten, um die Persönlichkeitsrechte der Goldmedaillengewinnerin zu wahren. Schnell war klar, Caster Semenya, ist sowohl Frau als auch Mann. Doch nach einiger Zeit medialer Ausschlachtung geriet das Thema wieder in Vergessenheit.
Umdenken beim Umgang mit dem Thema Intersexualität erforderlich
Nun rückt die Stellungnahme des Ethikrats das Phänomen der Intersexualität jedoch erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Forderung nach einem „dritten Geschlecht“ sorgt für Furore. Dabei geht es in erster Linie darum, den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, ohne sie von Amtswegen in eine Schublade zu stecken, in die sie nicht reinpassen. Dass ein Umdenken dringend erforderlich ist, zeigen auch die schweren Schicksale, die Intersexuellen insbesondere während der 1960er und 1970er widerfahren sind. Viele von ihnen wurden laut Angaben des Ethikrates in der Kindheit durch Operationen schwer geschädigt, da Mediziner versuchten eine eindeutige geschlechtliche Festlegung fürs Erwachsenenalter zu erreichen.
Intersexuelle früher häufig Opfer von ärztlicher Körperverletzung
Zum Beleg der teilweise unglaublichen Vorgänge hat der Ethikrat seiner Stellungnahme zwei anonymisierte Berichte von intersexuellen Menschen beigefügt, in denen die Betroffenen beschreiben, welches körperliche und seelische Leid ihnen angetan wurde. So erhielt die eine Person von Kindheit an eine Hormonbehandlungen und ihr Geschlecht wurde operativ strikt auf weibliche Geschlechtsorgane festgelegt, was ein jahrzehntelanges Leiden nach sich zog. In dem anderen Bericht beschreibt die betroffene Person, dass ihr im Alter von zweieinhalb Jahren ohne medizinische Notwendigkeit die nicht eindeutig ausgeprägten Hoden entfernt wurden. Dies „Kastration wurde ohne Einwilligung meiner Eltern vorgenommen und sollte ihnen in der Folge verschwiegen werden“, so die Aussage in dem Bericht. Unfassbar das Mediziner derartige Eingriffe im Alleingang – ohne Rücksprache mit den Eltern – entscheiden. In den sechziger und siebziger Jahren war die Mentalität bei Ärzten und Psychiatern noch deutlich stärker geprägt von der Vorstellung, dass sich das Geschlecht eines Menschen durch die Gesellschaft beeinflussen lasse. Mit anderen Worten: Trifft die Natur keine eindeutige Festlegung, so übernehmen die Ärzte mit ihren chirurgischen und hormonellen Eingriffmöglichkeiten diesen Job. Dass die Betroffenen durch diesen Akt der ärztlichen Körperverletzung in ihrer Sexualität mitunter irreversibel beeinträchtigt wurden, geriet im Zuge des Machbarkeitswahns der Mediziner und Psychiater oftmals in Vergessenheit.
Recht auf Selbstbestimmung
So haben zahlreiche Intersexuelle „Schmerzen, persönliches Leid, Erschwernisse und dauerhafte Einschränkungen ihrer Lebensqualität erlitten“, erklärt der Ethikrat in seiner Stellungnahme. Das Expertengremium forderte daher einen staatliche Unterstützung für die Betroffenen. „Es sollte ein Fonds errichtet werden, um den Betroffenen Anerkennung und Hilfe zukommen zu lassen“, erläuterte der Ethikrat. Darüber hinaus sollte nach Ansicht des Ethikrats die strafrechtliche und zivilrechtliche Verjährungsfrist bei derartigen Körperverletzungen ausgeweitet werden. Generell seien „irreversible medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung“ im Kindesalter nur in wenigen Ausnahmefällen vertretbar. Denn Personen, die biologisch keinem der beiden Geschlechter angehören, haben das Recht auf Selbstbestimmung. Zu den Ausnahmen zählt nach Ansicht des Ethikrates zum Beispiel das Phänomen der AGS. Denn hier sei das Geschlecht biologisch eindeutig und lediglich nicht klar ausprägt. Eine „Angleichung der Genitalien an das Geschlecht“ könne daher durchaus sinnvoll sein, allerdings „nur nach umfassender Abwägung der medizinischen, psychologischen und psychosozialen Vor- und Nachteile.“ So sind der Ethikrat-Stellungnahme zufolge nicht alle medizinischen Interventionen bei Intersexualität im Kindesalter abzulehnen.
Ehe oder Lebenspartnerschaft für Intersexuelle?
Das Recht auf Selbstbestimmung muss nach Ansicht des Ethikrats soweit wie möglich gewahrt bleiben. Demnach sollten die Betroffene schon ab der Pubertät eine eigene Entscheidung treffen können. Die Stellungnahme des Ethikrats sieht daher ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung der Intersexuellen ab einem Alter von zwölf Jahren vor. Analog zur Religionsmündigkeit sollten die Betroffenen ab diesem Alter in Fragen ihrer Geschlechtszuordnung mitreden dürfen, forderte der Deutsche Ethikrat. Dabei sei jedoch der jeweilige geistige Entwicklungsstand der Betroffenen ebenfalls zu berücksichtigen. Die 26 Experten des Ethikrats waren sich in den meisten Punkten ihrer Stellungnahme einig, doch in der Frage nach dem Umgang mit Ehen beziehungsweise Lebenspartnerschaft, die von staatlicher Seite aus eine geschlechtlich eindeutige Festlegung vorsehen, wurden zwei Meinungen vertreten. Eigentlich kann eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden, eine Lebenspartnerschaft zwischen Frau und Frau beziehungsweise Mann und Mann. Eine Minderheit der Ethikratsmitglieder plädierte an dieser Stelle dafür, auch die Partnerschaft zwischen einer Person mit dem Geschlecht „anderes“ und einer Frau beziehungsweise einem Mann als Ehe zu gestatten. Die Mehrheit der Ethikratsmitglieder sprach sich indes dafür aus „Menschen mit dem Geschlechtseintrag anderes die eingetragene Lebenspartnerschaft zu ermöglichen“ – keine Ehe.
Mehr Toleranz der Gesellschaft erforderlich
Unabhängig davon unter welchem Status ihre späteren Partnerschaften laufen, ist für die Betroffenen jedoch bereits viel gewonnen, wenn sie nicht zwangsweise dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden und sie ihr sexuelle Identität künftig selbst festlegen können. Durch die öffentliche Diskussion wird außerdem bei den Eltern der Betroffenen und den behandelnden Ärzten die Sensibilität für das Thema Intersexualität erhöht, so dass den Intersexuellen in Zukunft schwerwiegende medizinische Eingriffe in ihrer Kindheit möglicherweise erspart bleiben. Doch der gesellschaftliche Umgang mit dem Phänomen ist weiterhin schwierig. Da den Betroffenen Häme und Spott drohen, halten die meisten ihre Intersexualität eher geheim. Eine öffentliche Positionierung zu dem Geschlecht „anderes“ käme für sie ebenfalls nicht in Frage. Hier fehlt es auch an Toleranz der Mitmenschen. Ob die öffentliche Stellungnahme des Ethikrates an dieser Stelle etwas bewirken kann, bleibt offen. (fp)
Lesen Sie auch:
Immer mehr Jungen rufen Sorgentelefon an
Bild: Thommy Weiss / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.