Verbände fordern Operationsverbot bei intersexuellen Kindern
31.10.2013
Viele werdende Eltern sind ganz aufgeregt, wenn sie in der Frauenarztpraxis zum ersten Mal mitgeteilt bekommen, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen bekommen. Nicht immer kann das aber mit Gewissheit beantwortet werden. Ungefähr eines von 4500 Babys wird mit uneindeutigem Geschlecht geboren. Diese Kinder werden als intersexuelle Kindern bezeichnet. Bei ihnen gibt es einen Unterschied zwischen den inneren Geschlechtsorganen und den Äußeren.
Ein Mensch, der mit männlichen XY Chromosomen geboren wurde kann rein äußerlich eine Frau sein, und einer mit dem weiblichen Chromosomensatz XX kann eher wie ein Mann aussehen. Dabei kann es auch zu einer Art Misch- oder Zwischenform von Hoden und Eierstöcken oder Klitoris und Penis kommen.
Intersexualität
Der Deutsche Ethikrat definiert den Begriff folgendermaßen: Intersexuelle sind Menschen, die sich aufgrund von körperlichen Besonderheiten des Geschlechts nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen".
Ab November haben Eltern die Möglichkeit, den Eintrag im Geburtenregister offen zu lassen, wenn ihr Kind intersexuell geboren wurde. Bisher musste ein männliche oder weibliche Zuordnung stattfinden. "Ein Schritt in die richtige Richtung" sagt Lucie Veith, Vorsitzende des Bundesverband Intersexuelle Menschen. Dies kann aber auch zum Nachteil werden, wenn die Kinder dadurch in der Schule diskriminiert werden.Die Intersexuellen-Vereine gehen sogar noch eine Schritt weiter und fordern ein Verbot für Operationen, die betroffenen Kindern ein Geschlecht entfernen. Denn dies bestimmen in der Regel die Eltern oder Ärzte. Vom medizinischen Standpunkt aus sind die Operationen so gut wie nie nötig, sagt Veith. "Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird damit verletzt“. Aktivisten von Zwischengeschlecht.org sprechen sogar von "verstümmelnden kosmetische Genitaloperationen an Kindern", die es dringend zu verhindern gilt.
Unnötige Eingriffe stoppen
Viele der heute erwachsenen Intersexuellen haben im Kindesalter schmerzhafte und traumatische Behandlungen über sich ergehen lassen müssen und dennoch sind die umstrittenen Eingriffe übliches Prozedere. Kindern, die zu einem Mädchen gemacht werden sollen wird eine Vaginalplastik angelegt. Dies ist eine chirurgisch erzeugte Scheide. Um eine Zuwachsen zu verhindern, muss regelmäßig ein Fremdkörper eingeführt werden. Im Fachjargon heißt das „bougieren“
"Ich habe von vielen gehört, die das wie einen regelmäßigen sexuellen Übergriff erlebten", sagt Veith. Ziel ist es, dass die Operierten vaginalen Geschlechtsverkehr mit einem Mann haben können. Fraglich ist auch, aus welchem Grund sie überhaupt einem Geschlecht angepasst werden sollten und warum die Betroffenen das dann letztendlich nicht auch selbst bestimmen dürfen, wenn sie die sexuelle Reife erlangt haben. "Medizinisch nicht notwendige Eingriffe gehören vor dem 16. Lebensjahr verboten“, sagt Veith
"Mit dem Bestreben eindeutige Körper zu produzieren, wird dem Kind unter Umständen etwas übergestülpt, was es nicht möchte", sagt auch Sexualwissenschaftlerin Hertha Richter-Appelt vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Fairerweise muss man sagen, dass nicht alle Menschen, die als Kind operiert wurden, später unglücklich sind . Aber ein operiertes Kind kann den Eltern später vorwerfen "Warum habt ihr mich bloß operiert?“ und ein nicht operiertes "Warum habt ihr bloß nicht…?". "Wenn es darum geht, eindeutig festzustellen, was wirklich besser für die Kinder ist, müssen wir ehrlich sein und sagen: Wir wissen es oft nicht genau", sagt Richter-Appelt. Sie empfiehlt, bis zur Pubertät mit geschlechtszuweisenden Eingriffen abzuwarten.
Es muss neue Richtlinien geben
Häufig haben Mädchen auch das sogenannte Adrenogenitalen Syndrom (AGS). Bei ihnen entstehen durch eine Stoffwechselstörung schon während der embryonalen Entwicklung mehr männliche Geschlechtshormone. Dies führt dann dazu, dass viele Mädchen mit einer vergrößerten Klitoris geboren werden, die einem kleinen Penis ähnlich sieht. Bei der operativen Verkleinerung kann es dazu kommen, dass die sexuelle Empfindsamkeit reduziert wird.Bei den modernen Operationsmethoden sei das aber selten, sagt Krege, Ärztin im Maria-Hilf Krankenhaus in Krefeld. Sie führt Eingriffe nur dann noch bei Babys durch, wenn Eltern sich partout nicht davon abbringen lassen wollen. Sie rät allen Betroffenen Eltern abzuwarten, wie sich das Kind entwickelt. Die Vaginalplastik bietet sie Mädchen nur dann an, wenn sie reif genug erscheinen, um das „bougieren“ selbst durchzuführen. Bei vielen intersexuellen Kindern war es früher üblich, in der Körperhöhle liegende Hoden zu entfernen. Die Kinder müssen dann aber eine lebenslange Hormonersatztherapie machen. Auch damit warte man nun eher ab, sagt Krege, es sei denn, die Krebsgefahr sei dadurch sehr stark erhöht. Den Intersexuellen-Verbänden wird noch immer zu viel und zu früh operiert. Für Lucie Veith geht es nicht nur darum wann, sondern auch ob die Operationen tatsächlich notwendig sind. "Auch als Intersexueller kann man nämlich ein glücklicher Mensch sein“. (fr)
Bild: Lothar Wandtner / pixelio.de
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