Konzerne als Verbraucherschützer? Das Amt für europäische Lebensmittelsicherheit EFSA senkt nicht den Bisphenol-A Grenzwert. Schuld daran ist die starke Einflussnahme von Wirtschafts-Lobbyisten auf die eigentlich unabhängige Verbraucherbehörde.
(18.11.2010) Nach Recherchen des MDR steht das europäische Amt für Lebensmittelsicherheit EFSA unter einem starken Einfluss von Lobbyisten der globalen Großkonzerne. Bei der ESFA gehen die von den Konzernen eingesetzten Lobbyisten ein und aus oder besetzten sogar wichtige Führungspositionen. So wurde anscheinend auf Druck der Wirtschaft der gefährliche chemische Stoff „Bisphenol-A“ in einem Zulassungsverfahren erneut zugelassen.
Bisphenol-A in Kurzform BPA steht unter dem Verdacht, Hormon-wirksam im menschlichen Organismus zu wirken. Mehrere Studien haben bereits nachgewiesen, dass BPA sich negativ auf das Erbgut auswirken kann. Die Chemikalie Bisphenol-A steckt in vielen Alltagsgegenständen. So wird BPA vor allem zur Herstellung von Babyflaschen, Schnullern, Lebensmittel-Verpackungen, Thermopapier, Plastikflaschen und vielen weiteren weiteren Gebrauchsgegenständen verwendet. Immer wieder warnen Wissenschaftler und Umweltverbände vor der Verwendung der schädlichen Chemikalie. In zahlreichen Ländern wie Frankreich, Kanada oder Dänemark wurde der Stoff zu mindestens für Kinderprodukte verboten. In Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es eine solche Beschränkung nicht. Trotz der negativen Wirkungen auf die Gesundheit hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA am 30 September nicht BPA Grenzwert nicht gesenkt. Im Gegenteil, der chemische Stoff kann in hoher Konzentration weiterhin in Alltagsprodukten verwendet werden.
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Hier stellt sich natürlich die Frage, warum der EU-Grenzwert trotz aller Warnungen von Medizinern, Wissenschaftler und Umweltbehörden nicht gesenkt wird. Und das, obwohl selbst das deutsche Bundesumweltamt mittlerweile vor der Verwendung des Chemiegrundstoffs warnt.
Der öffentlich-rechtliche TV Sender MDR hat bei Recherchen eine erstaunliche Entdeckung hierzu gemacht. Bei einer Durchsicht der Personalien innerhalb des Europäischen Amts für Lebensmittelsicherheit fiel auf, dass die Ungarin Diana Banati Präsidentin des EFSA-Verwaltungsrats ist. Gleichzeitig saß Banati lange Zeit in dem Lobbyisten-Verband "International Life Sciences Institute ILSI " im Aufsichtsrat. Das ILSI gibt sich in der Öffentlichkeit als ein gemeinnützigen Verband aus. Doch finanziert wird das Institut vor allem von Weltkonzernen wie Coca-Cola, Danone, Bayer und Nestlé. Neben diesen Konzernen wird die ILSI auch von den größten Bisphenol-A Produzenten finanziert. Die WHO führt diesen Verband auf einer sogenannten „schwarzen Liste“, weil das Institut vor allem Lobbyarbeit im Sinne der Großkonzerne betreibt.
Frau Banati war also lange Zeit in einer Spitzenposition eines Lobbyisten-Verbandes und gleichzeitig Präsidentin des EFSA-Verwaltungsrats. Nach einigen öffentlichen Hinweisen und Protesten gab Frau Banati zunächst zu, dass sie eine „wissenschaftliche Beratung“ für das ILSI durchführt. Später gab die EFSA-Präsidentin zu, auch eine Spitzenposition in ILSI inne zu haben. Um diesen offensichtlichen Interessenkonflikt nicht weiter aufrecht zu erhalten, gab Banati den Posten in der EU ab. Aktuell ist EU-Kommissarin Androulla Vassiliou für die europäische Lebensmittelsicherheit zuständig. Doch dieses zweigleisige Spiel ist kein Einzelfall. Laut Recherchen der MDR Reporter ist Frau Banati nicht die einzige Person, die „auf zwei Hochzeiten tanzt“. Nach MDR-Recherchen sitzt ihr EFSA-Vorstandskollege Milan Kovac immer noch im europäischen ILSI-Aufsichtsrat. Wenigstens drei weitere wichtige EFSA-Mitarbeiter waren oder sind zeitgleich als Lobbyisten tätig, wie der MDR berichtet.
Umweltbehörde und Umweltschutz-Organisationen kritisieren Einfluss der Lobbyisten
Nach diesen weitreichenden Erkenntnissen wird der Einfluss der Konzerne heftig kritisiert. Der Direktor der Abteilung für Umwelthygiene, Andreas Gies, sagte gegenüber dem MDR, "die Unabhängigkeit der EFSA ist ein Problem, das dringend zu lösen ist." Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierte ebenfalls diese unfassbaren diese Vorgänge. Nach Ansicht der Umweltschützer sei die europäische Behörde nicht mehr Unabhängig, sondern durchsetzt mit Leuten, die im Sinne der Wirtschaft agieren.
Nicht-Wissenschaftliche Studie als „Beweis“ für die „Ungefährlichkeit“ von BPA
Allein das sind alles Fakten, die belegen, dass in den europäischen Behörden offensichtlich äußerst unsauber nicht unabhängig gearbeitet wird. Noch erstaunlicher ist, mit welcher Begründung der Grenzwert von Bisphenol-A nicht gesenkt wurde. Eigens hierfür wurde eine Studie in Auftrag gegeben. Diese Studie wurde keineswegs an einem unabhängigen Institut durchführt, sondern von der Industrie in Auftrag gegeben. Selbst die Forscher waren von der Industrie bezahlt. Für die Studie wurden Versuchstiere eingesetzt, die weniger stark auf Hormone reagieren. Zudem wurde die Studie ohne Kontrollgruppe durchführt, obwohl eine solche Herangehensweise unter Wissenschaftlern als Standard gilt. Aus diesem Grund widerspricht der Wissenschaftler und Toxikologe Gilbert Schönfelder von der Charité Berlin den fragwürdigen Studienergebnissen: Bei experimentellen Studien wurde nachgewiesen, dass Bisphenol A die männliche als auch die weibliche Fortpflanzung stören kann. Und zum Beispiel Einfluss nimmt auf das Gebärmutterwachstum, die Prostatagröße, die Größe der Brustdrüse und eben sehr deutlich auf das Erbgut."
Bundesregierung sieht keine Veranlassung zum schnellen Handeln
In Deutschland scheint man keine größeren Einwände gegen die EU-Verordnung zu haben. Schließlich akzeptiert man die fragwürdigem Ergebnissen zu Ungunsten der Verbraucher. Erst im Frühjahr sollen die Ergebnisse noch einmal nach geprüft werden. Bis dahin hat die Industrie genügend Zeit, um sich weitere Strategien einfallen zu lassen. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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