Traumatische Erlebnisse wirken sich auf Gen-Aktivität aus
03.12.2013
Die Gründe für psychische Erkrankungen sind schon seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Meist vermuten Psychiater und Psychologen den Ursprung für Depressionen, Phobien und andere seelische Störungen in der Kindheit des Patienten. Hier wird davon ausgegangen, dass seelische Verletzungen (Traumata), die nicht ausreichend verarbeitet wurden, auch im späteren Leben den Menschen nicht „loslassen“ und in der Folge zu psychischen Problemen führen können. Doch nicht nur das eigene Leben scheint ausschlaggebend dafür zu sein, ob ein Mensch ein erhöhtes Risiko für eine psychische Erkrankung hat oder nicht. Stattdessen haben Wissenschaftler nun Hinweise darauf gefunden, dass auch die Biografie von Familienmitgliedern einen Einfluss auf die Gesundheit unserer Seele hat.
Kindheits-Traumata als Ursache für psychische Störungen
Wodurch wird eine psychische Erkrankung ausgelöst? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Wissenschaft bereits seit Jahrzehnten. Dabei wurde bislang in erster Linie davon ausgegangen, dass vor allem einschneidende, seelische Verletzungen in der Kindheit (so genannte „Traumata“) dazu führen, dass Menschen psychische Störungen entwickeln – die sich zum Teil erst im Erwachsenenalter erstmals richtig bemerkbar machen. Im Zentrum der Betrachtung stand dabei also die Biografie des Einzelnen, dessen eigene Erfahrungen und die individuelle Verarbeitung dieser Erlebnisse.
Erlebnisse der Vorfahren hinterlassen Spuren im Erbgut
Nun scheint es jedoch Hinweise darauf zu geben, dass auch das Leben unserer direkten Vorfahren einen Einfluss auf unser Seelen-Leben hat. Wie die US-amerikanischen Wissenschaftler Brian Dias und Kerry Ressler von der Emory University School of Medicine in Atlanta herausgefunden haben, können Dinge, die beispielsweise unsere Großeltern erlebt haben, auch noch im Erbgut ihrer Nachfahren eine Spur hinterlassen. Im Rahmen einer tierexperimentellen Studie hatten die Forscher Mäusen Elektroschocks verabreicht, um sie von dem gesundheitsschädlichen Stoff Acetophenon fernzuhalten. In der Folge kam es schnell zu dem Effekt, dass die Tiere bereits ängstlich zusammenzuckten, sobald nur der Geruch der organisch-chemischen Verbindung aufkam – auch ohne Elektroschock.
Mäuse „vererben“ gelernte Abneigung gegenüber einem chemischen Stoff
Doch die eigentliche Überraschung kam erst, als die Wissenschaftler im nächsten Schritt auch die nächste Mäuse-Generation untersuchten: Auch die Nachfahren der Mäuse des ersten Versuchs reagierten beim Geruch von Acetophenon deutlich stärker als eine Kontrollgruppe – obwohl sie selbst nie mit Elektroschocks oder dem Stoff in Berührung gekommen waren. Doch nicht nur die nächste Generation, sondern sogar die Enkel der ersten Versuchstiere zeigten noch sichtbare „Nachwirkungen“ der Erfahrungen ihrer Großeltern, indem sie auf den Geruch des Acetophenons reagierten. Das gelernte Zusammenzucken beim Geruch von Acetophenon hatte sich demnach also auf irgendeine Weise in der DNA der Tiere verankert und war so an die nächsten Generationen weitergegeben worden.
Traumatische Erlebnisse werden auf „Feinstrukturen“ abgespeichert
Für die Forscher ein klarer Hinweis auf den Einfluss der Genetik, denn eine Weitergabe der Erfahrung „ Acetophenon = Schmerzen“ beispielsweise durch ähnliche äußere Einflüsse ergab in weiteren Untersuchungen keine schlüssige Erklärung: „Die Tatsache, dass diese Veränderungen auch bei künstlicher Befruchtung, Aufzucht der Jungen durch Zieheltern und über zwei Generationen bestehen bleiben, deutet auf eine biologische Herkunft hin", so die US-Wissenschaftler im Fachmagazins "Nature Neuroscience". Dabei seien den Forschern nach jedoch vermutlich nicht die Gene selbst von Veränderungen betroffen, sondern stattdessen die so genannten „Feinstrukturen“, welche die Aktivität der Gene steuern. Hier würden den Experten nach offenbar traumatische Erlebnisse abgespeichert und zum Teil zu lebenslangen Beeinträchtigungen führen.
Ergebnisse liefern Rahmen für weitere Forschungsarbeit
Für die Forscher ist dies ein wichtiger Schritt im Bereich der Epigenetik, in welcher die Frage im Zentrum steht, welche Faktoren für die Gen-Aktivität und damit die Entwicklung der Zelle verantwortlich sind bzw. ob bestimmte Veränderungen wie im aktuellen Versuch an die Folgegeneration weitervererbt werden: „Unsere Ergebnisse liefern einen Rahmen dafür, sich weiter mit der Frage zu befassen, wie Umweltinformationen über Generationen hinweg auf der Verhaltens-, neuroanatomischen und epigenetischen Ebene vererbt werden“, so die Forscher im Abstract ihrer Studie.
Veränderte Aktivität der Gene auch bei Posttraumatischer Belastungsstörung
Auch die Entstehung einer so genannten „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) scheint in direktem Zusammenhang mit einer veränderten Aktivität der Gene zusammenzuhängen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München in Zusammenarbeit mit der Mount Sinai School of Medicine in New York, in welcher derzeit die seelischen Spätfolgen der Terroranschläge vom 11. September 2001 untersucht werden.
Hier zeigte sich, dass bei denjenigen, die in Folge der traumatischen Erlebnisses unter einer PTBS leiden, „Anpassungsgene“ und „Stressgene“ eine andere Form der Aktivität aufweisen als bei gesund gebliebenen Personen. Dementsprechend hatte also offenbar schon diese einmaliges Erlebnis dazu geführt, dass sich die negative Erfahrung bei einigen Betroffenen in das Erbgut „eingebrannt“ hatte und dadurch weitreichende Folgen für das weitere Leben mit sich brachte.
Nachwirkungen des „Hunger-Winters“ 1944 noch über Generationen hinweg erkennbar
Eine veränderte Aktivität der Gene kann sich jedoch nicht nur auf die Seele auswirken, stattdessen kann es unter Umständen auch zu physischen Beeinträchtigungen bei den Nachfahren kommen. Dies könne laut dem niederländischen Depressionsforscher Florian Holsboer beispielsweise aus generationsübergreifenden, epidemiologischen Untersuchungen abgeleitet werden, in denen unter anderem die Gesundheit der während des „Hunger-Winters“ 1944 geborenen Niederländer beobachtet wurde. So hatten sich Kinder und Mütter, die damals unter extremer Mangel- und Unterernährung gelitten hatten, im Laufe der Jahre zwar gesundheitlich erholt – doch die schlechte Erfahrung hatte sich offenbar an die nächste Generation „weitervererbt“, denn auch diese brachten weiterhin untergewichtige Kinder mit einem erhöhten Krankheitsrisiko zur Welt, obwohl sie selbst keine Not erlitten hatten. „Offenbar enthielt die Erbsubstanz der Enkel epigenetische Markierungen, die auf Lebenserfahrungen der Großeltern zurückzuführen sind“, so die Erklärung von Professor Holsboer in einem Vortrag zum Thema „Entstehung von Depression und ihre Heilung“.
Epigenetik soll für mehr Klarheit sorgen
Doch wie die „Übertragung“ von erlebten Traumata in das Erbgut der Nachfahren genau funktioniert, darüber herrscht noch keine Klarheit. Aufschluss soll daher in den nächsten Jahren mehr und mehr die Epigenetik geben, um immer besser verstehen zu können, wodurch die Posttraumatische Belastungsstörung oder andere psychische Störungen verursacht werden. (nr)
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