Untersuchung: Industriefinanzierte Studien verursachen verzerrte Ergebnisse
12.12.2012
Die Pharmaindustrie entwickelt ständig neue Arzneimittel, diagnostische Methoden und Therapien. Um den Absatz zu garantieren muss das Medikament auch das halten, was es verspricht. Es gibt eindeutige Regularien, die bestimmen, ob ein Mittel von staatlichen Behörden zugelassen wird, oder nicht. Eines davon ist der wissenschaftliche Nachweis und medizinische Nutzen. Um diesen Nachweis zu erbringen, müssen evidenzbasierte Studien vorgelegt werden. Diese werden wiederum zu großen Teilen von den Pharmaunternehmen selbst finanziert. Eine wissenschaftliche Auswertung der „Cochrance Collaboration“ zeigte nun, dass die Industriefinanzierung der Studien zu einer sichtbaren Verzerrung der Studienergebnisse führt. Denn die Resultate dieser Studien sind deutlich positiver, als nicht-finanzierte Forschungsarbeiten.
Beinahe jede Woche werden neue klinische Studien publiziert. In der Mehrheit geht es bei den Studien darum, bestimmte Arzneistoffe in ihren Wirkungsweisen zu bestätigen. Die Studien nehmen dabei eine große Bedeutung ein. Die Resultate bestimmen, welche Medikamente Ärzte verschreiben, welche Mittel von den Krankenkassen finanziert werden und ob überhaupt ein Arzneimittel auf dem Medikamentenmarkt durch die Aufsichtsbehörden zugelassen wird. Nicht zuletzt müssen sich auch Patienten auf die Wirksamkeit der verabreichten Therapie verlassen können. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Studien nach engmaschigen wissenschaftlichen Vorgaben durch Forscherteams durchgeführt und die Ergebnisse objektiv ohne vorige Vorgaben durch die Auftraggeber publiziert werden. Doch wie nun ein Wissenschaftsteam der „Cochrane Collaboration“ ermittelte, scheinen eine Reihe von Studien geradezu unglaubwürdig, da im direkten Vergleich auffällt, dass finanzierte Studien durch die Industrie wesentlich besser abscheiden, als andere nicht-finanzierte. Das wirft zahlreiche Fragen zum tatsächlichen Nutzen auf.
Schlussfolgerungen und Ergebnisse werden im Vergleich positiver dargestellt
Die Untersuchung ergab, dass Studien zu Arzneimitteln und anderweitigen medizinischen Produkten, die von der Pharmaindustrie oder Herstellern von Medizinprodukten finanziert werden, eine deutlich positiveres Ergebnisbild vermitteln, als andere universitäre Studien ohne Einfluss der Pharmakonzerne. „Es fiel auf, dass darüber hinaus die Schlussfolgerungen seltener mit den tatsächlichen Befunden übereinstimmten“, wie die Forscher der gemeinnützigen Initiative in dem Wissenschaftsmagazin “Cochrane Library” schrieben.
Studien-Sponsoring durch Pharmafirmen
Klinische Forschungsarbeiten werden zunehmend von Unternehmen gesponsert. Entweder werden die Studienarbeiten ganz oder auch nur teilweise von den Konzernen finanziert. Vielfach werden die Studien durch den Hersteller selbst durchgeführt oder es wird ein externes Institut mit der Forschungsarbeit beauftragt. Das führt nicht selten dazu, dass die Unternehmen ihre Produkte in einem besseren Licht darstellen können, indem zum Beispiel Negativberichte zurückgehalten und nur vermeintlich positive Resultate in Fachmagazinen publiziert werden. Eben das sei eine vielfach angewandte Realität. „Das zeigten mehrfach Studien über Medikamente der Cochrane Collaboration“, betonen die Wissenschaftler. Nunmehr konnten die unabhängigen Wissenschaftler der Organisation diesen Effekt auch für medizinische Produkte und Medikamente nachweisen.
„Das primäre Ziel der Überprüfung war, herauszufinden, ob die veröffentlichten Ergebnisse und die allgemeinen Schlussfolgerungen der Industrie-gesponserten Arzneimittel und Geräte eher die Sichtweise der Sponsoren begünstigt“. Dabei verglichen die Experten die Quellen der Konzerne und die Erkenntnisse anderer Studien zu den gleichen Themen. „Das zweite Ziel war, herauszufinden, ob die Methoden solcher Industrie-finanzierten Studien das Risiko von statistischen Verzerrungen erhöht.“ Auch dabei wurden die unterschiedlichen Quellen miteinander verglichen. „Wir haben eine umfassende Suche in allen relevanten Unterlagen vor September 2010 veröffentlicht. Diese enthalten 48 Fachberichte“, schreiben die Forscher in ihrem frei zugänglichen Bericht.
48 Medikamente und Medizinische Produkte verglichen
Für die Analyse untersuchten die Wissenschaftler und Mediziner um den Studienleiter Andreas Lundh vom Cochrane Center in Kopenhagen 48 Medizinprodukte und Medikamente. Darunter waren beispielsweise Herzmittel oder Arzneien zur Linderung von psychotischen Erkrankungen. Es zeigte sich bei allen Medizinprodukten, dass die von den Herstellern finanzierten Studien über „weniger Nebenwirkungen und positivere Wirkungen“ berichteten, als andere Pharmaindustrie-unabhängige Forschungsarbeiten. Zudem stimmten die Erkenntnisse und die danach publizierten Resultate von Pharmaindustrie-finanzierten Studien seltener miteinander überein. “Unsere Untersuchungsergebnisse lassen den Verdacht aufkommen, dass industrie- finanzierte Studien zu Medikamenten oder Medizinprodukten häufiger die Produkte des Sponsors favorisieren als bei nicht von der Industrie finanzierten Studien”, erklärte Lundh. Die Befunde würden deutlich zeigen, dass die Forderungen nach einem besseren Zugang zu Wissenschaftsergebnisse, Methodiken und Rohdaten von hoher Wertigkeit sind. Das wird jedoch von den Pharmakonzernen bislang ganz oder teilweise blockiert.
Staatliche Richtlinien beachten nicht Sponsoring der Industrie
„Die medizinischen Richtlinien und Bewertungen beachten nicht immer die mögliche Einflussnahme der Industrie“, kritisieren die Autoren. Eine Lösung könnte sein, dass die Finanzierung der Studien in den Originalveröffentlichungen vermerkt wird. Das müsse auch für spätere Berichte berücksichtigt werden. “Wenn wir übereinstimmen, dass die Industriefinanzierung eine wichtiger Fakor für Verzerrungen ist, dann müssen wir über neue Methoden nachdenken”, mahnt die Senior-Autorin Lisa Bero von der University of California in San Francisco. “Wie berichten wir über die Industrieverzerrung, wie bewerten wir sie und wie gehen mit ihr um, wenn wir die Wirkung von Medikamenten und Hilfsmitteln beurteilen?” Diese Frage stelle sich nach den Ergebnissen um so mehr.
Die gemeinnützige Organisation steht grundsätzlich nicht kritisch der Schulmedizin gegenüber. Vielmehr trägt die Forscherinitiative den Namen des englischen Epidemiologischen Forschers Sir Achibald Leman Cochrane, der als einer der Begründer der evidenzbasierten Medizin gilt. Die Arbeiten der Cochrane Collaboration gelten in der Forscherwelt als sehr detailliert und hoch anerkannt. Die Wissenschaftler haben es sich zur Aufgabe gemacht, Nutzen und mögliche Schäden von Therapien und Arzneimitteln unabhängig zu erforschen. Mittlerweile agieren sie dabei an 13 Forschungseinrichtungen weltweit und werten dort unterschiedliche Studienarbeiten und Ergebnisse aus. Als wichtigstes Ziel ist dabei definiert, ein möglichst objektives Bild ohne Verzerrungen in medizinischen Fragen zu erstellen. Eine äußere Einflussnahme durch Pharmafirmen wird strikt abgelehnt. (sb)
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