Respekt vor anderen Tieren ist eine Urerfahrung des Säugetiers mit abspreizbarem Daumen, aufrechtem Gang und großem Gehirn. Der Mensch entwickelte sich mit seiner Kultur aus den anderen Tieren heraus. Ängste vor Tieren, die im Traum auftreten, zeigen uns aber noch heute unsere stammesgeschichtlichen Wurzeln.
Inhaltsverzeichnis
Tierische Menschenfresser
Keine Angst des Menschen ist elementarer, als die, von einem Tier gefressen zu werden. Aliens von fernen Planeten, Drachen, weiße Haie oder Werwölfe – das Menschen fressende Tier ist das zentrale Motiv des Schauerromans.
Zugleich strahlt der “Menschenfresser” Macht aus, die Menschen zu allen Zeiten bewunderten: Herrscher schmückten sich mit den Fellen von Löwen, Leoparden und Tigern; die Wappen der Ritter zierten Bären, Wölfe und Adler. Heinrich, der Löwe; Richard Löwenherz oder der Wolf von Badenoch, das waren nur einige der unzähligen Namen, die sich Herrscher gaben, um zu zeigen, dass sie in den Kampf zogen wie Raubtiere.
Einerseits ist das nichtmenschliche Tier dem menschlichen Tier verwandt (Geschwister), andererseits stehen sie sich fremd und feindlich gegenüber (Gegner).
Die Evolution der Angst
Von der Beute zum Jäger zu werden, (oder vom Jäger zur Beute), ist heute die Quintessenz des Horrorfilms. Mal handelt es sich um reale und heute lebende Tiere wie ein Leistenkrokodil im Mangrovenwald Australiens in Blackwater, Komodowarane oder den weißen Hai von Spielberg; mal befriedigen Mutationen unsere Sehnsucht, gejagt zu werden: Genmutierte Haie in Deepwater, oder genmutierte Hunde in Wilderness, bizarre Genhybriden in Frankenfish. Ausgestorbene Beutegreifer, die wieder erwachen, versorgen uns ebenfalls mit Nervenkitzel: Dinosaurier in Jurassic Park oder Riesenhaie in Megalodon.
Unsere Vorfahren trafen vor zehntausenden Jahren auf Beutegreifer, denen gegenüber die heutige Serengeti wie ein Freizeitpark wirkt. Löwen, Tiger und Leoparden, Krokodile, Riesenschlangen und Haie gab es ebenso wie heute – dazu kamen aber Megapredatoren, denen die frühen Menschen wenig entgegen setzen konnten: Ein gigantischer Verwandter des Komodowarans in Australien, der Kurschanuzenbär in der Größe eines Pferdes in Amerika oder Säbelzahntiger. Die überlegene Technik, nicht Geschick oder Stärke machte uns den Tieren überlegen.
Doch auch die Pflanzenfresser, die unsere Vorfahren jagten, waren äußerst wehrhaft: Mammuts, Wollnashörner oder Auerochsen forderten ihren Tribut. Das belegen regelhafte Knochenbrüche bei Neanderthalern im Schulter- und Beckenbereich, wie wir sie heute von Rodeoreitern oder Stuntmen kennen.
Unsere Angst, und nicht etwa Moral, macht Beutegreifer zu Monstern. Die Evolution kennt keine Moral, und der blauwalgroße Meeressaurier Lipleurodon unterschied sich von einer Amsel, die einen Wurm frisst, nur insofern, dass er an der Spitze der Nahrungskette stand.
Von der Beute zum Herrscher
Warum fasziniert uns das Menschen fressende Tier? Der Politikwissenschaftler Ingolf Ahlers führt aus: „Am Anfang steht die archaische Urerfahrung, in der das menschliche Tier ein Beutetier für nichtmenschliche Raubtiere ist. Und das hat gesessen, denn diese Urangst der Schutz-, Wehr- und Hilflosigkeit ist so schreckenerregend, so tiefenwirksam und so unverdrängbar gewesen, dass wir Menschen sie in Blutopferritualen bis heute dramatisch aufführen und nachspielen, um den Sieg über die nichtmenschlichen Tiere zu feiern.“
Barbara Ehrenreich zufolge verhalten sich Menschen gegenüber der Eigengruppe in Kriegszeiten in einem Ausmaß solidarisch, wie es im Frieden kaum vorstellbar ist. Sie vermutet in den positiven Gefühlen, die der Krieg auslöst die Verteidigung früher Menschengruppen gegen überlegene und Menschen fressende Tiere.
Der „Sieg“ des menschlichen Tieres forderte jedoch einen hohen Preis, nämlich die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Im Christentum und Abendland wurde das Tier Sinnbild der Unvernunft, des Triebes, des Sinnlichen und Schmutzigen. Die tierischen Impulse galt es abzutöten. Doch das Verdrängte bricht sich Bahn. Heute finden wir das Opfer an die Gottheit in angeblich notwendigen Tiermassakern für die Kosmetikindustrie ebenso wie in Schlachthöfen.
Tierphobien
Wenn die Angst vor Tieren übermächtig wird, sprechen wir von Tierphobien. Fast alle Menschen mögen bestimmte Tierarten- und individuen nicht. Abscheu, Verachtung oder Hass sind aber noch keine Phobien.
Angst ist lebenswichtig, und wenn unsere Vorfahren keine Angst vor wilden Tieren gehabt hätten, wären sie vermutlich früh gestorben. Eine Angststörung liegt jedoch vor, wenn diese Angst erstens übersteigert ist und zweitens fast ausschließlich in der Fantasie des Angsthabers existiert.
Der Betroffene zittert, ihm rast das Herz, und er leidet an Atemnot, wenn er an das entsprechende Tier nur denkt. Dann quälen ihn Magenbeschwerden, und der kalte Schweiß bricht ihm aus. Er hat solche Angst vor der Angst, Angst zu haben, dass er systematisch vermeidet, dem Auslöser der Angst begegnen zu können, vom Schlangenphobiker, der sich weigert, in der Lüneburger Heide zu spazieren, weil er auf eine Kreuzotter treten könnte bis zur Haiphobikerin, die keinen Fuß in irgend ein Meer setzt.
Dieses Vermeidungsverhalten kann den Alltag massiv beeinträchtigen. Manche der Verängstigten trauen sich nicht mehr aus ihrer Wohnung.
Die Angst ist nicht nur übersteigert, eine Phobie ist vor allem unangemessen; sie bricht sich Bahn, ohne dass der Auslöser die Reaktion beeinflusst.
Eine Phobie zeigt sich als Erwartungsangst: Der Phobiker erwartet Unheil, das von seinem Objekt ausgeht. Wenn dieses Unheil aber ausbleibt, ihn also weder ein Hund beißt noch ein Pferd zertrampelt, lindert dies die Angst nicht, sondern seine Angst sagt dem Phobiker, dass er Glück hatte.
Die Umwelt empfindet er wie der Zuschauer einen Horrorfilm. Er ahnt, ja, er weiß, dass sich hinter jeder Ecke das Grauen verbirgt. Leider ziehen Phobiker aus dieser Angst oft ebenfalls einen Lustgewinn. Die Angst lähmt sie zwar und lässt ihnen den Schweiß ausbrechen, sie löst aber genau deswegen auch starke Gefühle aus, und, wie in einer Gruselgeschichte, fühlt er sich erleichtert, wenn er “es” wieder einmal überlebt hat.
Jede Phobie birgt also zusätzlich die Gefahr, dass als elementarer Teil des emotionalen Erlebens wirkt, und dies möchte zumindest das Unbewusste nicht missen.
Nicht nur Tierphobiker suchen ständig nach Bestätigungen ihrer Ängste. Bei einer allgemeinen Angststörung findet der Angsthaber immer wieder neue Monster, die hinter dem Entsetzen stehen: “Feinstaub”, unsichtbare Strahlen, Aliens oder Dämonen.
Solche Angststörungen sind eine Basis für Verschwörungswahn. Wer die unbegründeten Ängste nicht teilt, gehört dann selbst zu den Verschwörern.
Ursachen
Jede Tierphobie ist unterschiedlich. Einen entscheidenden Einfluss haben die Eltern. Insbesondere bei Spinnenphobien litt vermutlich bei jeder zweiten Betroffenen bereits die Mutter an dieser Angst und übertrug sie auf die Kinder.
Das prägt nachhaltig. Kleininder lernen vor allem unbewusst von ihren Eltern, und Angst ist ein extrem wichtiges Signal. Es signalisiert dem Kind Gefahr, und die Mutter ist die wesentliche Bezugsperson, um Sicherheit zu geben und vor Gefahren zu warnen.
Tierphobien können auch entstehen, weil ein Tier während einer mit Angst erlebten Situation zugegen war, zum Beispiel, wenn ein Kleinkind sich verläuft und panisch nach seiner Mutter sucht und dabei eine Krähe seinen Weg kreuzt. Später asoziiert es die Angst unbewusst mit der Krähe und vergisst dabei sogar das Geschehnis selbst.
Oder ein Kriegstraumatisierter sieht Hunde zwischen den Trümmern eines Bombenkraters an Leichen schnuppern und ihm prägen sich die Bilder Hund, Krieg und Tod ein.
Zum Beispiel fixierte sich das Bild vom Wolf als Menschenfresser im Dreißigjährigen Krieg. Mitteleuropa war zerstört, in Norddeutschland starb jeder zweite an Hunger, Gewalt oder Seuchen. Die Wölfe kehrten in Gebiete zurück, die sie längst verlassen hatten, und die traumatisierten Überlebenden sahen sie Leichen wie Tierkadaver fressen. Der Fleischfresser profitierte lediglich von der Katastrophe, die Menschen anrichteten, doch er wurde zum Sinnbild für Krieg und Tod.
Der Auslöser des Angstsymbols muss nicht einmal ein lebendes Tier sein. Vielleicht fürchtete sich ein Mann als kleiner Junge bei seinen Großeltern auf dem Dachboden und sah dort eine ausgestopfte Eule in einer dunklen Ecke oder eine ältere Dame, die einem Mädchen Furcht einflößte, trug ein Fuchsfell als Schal.
Menschen mit spezifischen Angststörungen sind in der Regel generell stressanfällig; ihr Organismus steht ständig auf Alarm, und außer der Tierphobie leiden sie meist auch an anderen Ängsten und Wahnvorstellungen.
Tierphobiker, die ihre Störung nicht eingestehen, finden bei dem Objekt ihrer Angst immer wieder “Bestätigung”. Ein unreflektierter Haiphobiker zum Beispiel wird sich unter hundertT Dokumentationen über weiße Haie genau die eine heraus suchen, die vom tödlichen Angriff auf einen Surfer handelt.
Manche Tierphobien gehen dabei direkt in Verschwörungswahn über. Dies zeigt sich derzeit besonders bei den Angstfantasien über die nach Deutschland zurück gekehrten Wölfe, die sich mit den Projektionen von Rassisten überschneiden.
Dies leitet über zu Tierphobien, die einen rein symbolischen Ursprung haben, der dem Betroffenen aber nicht bewusst ist. Hinter einer Katzenphobie kann zum Beispiel die Angst vor der als gefährlich empfundenen Sexualität der Frau stehen, die ein sexuell verklemmter Mann abspaltet und als Angst vor Katzen wahrnimmt.Er träumt dann zum Beispiel von Katzen, die ihn anspringen, während er im Bett liegt.
Wofür bei solchen Phobien die jeweiligen Tiere stehen, lässt sich fast immer nur individuell in einer Therapie heraus finden. Manche Übertragungen sind aber offen sichtlich: Da ist der junge Mann, der Hass und Wut in sich aufstaut, sich diese Gefühle nicht eingesteht und überall bestialische Hunde toben sieht. Oder die gutmütige Angestellte, die sich vor Schlangen fürchtet, die ihr auflauern und sie vergiften, während ihre Kollegen sie ausbeuten und das Betriebsklima durch üble Nachrede “vergiften”.
Manche Phobiker fürchten auch nur spezielle Tiere einer Art: Weiße Tauben, dunkle Katzen oder schwarze Labradore.
Wie meist bei psychischen Störungen ist eine Phobie ein Trick der Psyche, um eine Lebensstrategie zu entwerfen. Die übersteigerte Angst eines Phobikers ist in ihm und keine berechtigte Reaktion auf das Objekt der Angst. Aber wenn sich die Angst mit einem äußeren Objekt verknüpft, lässt sie sich vermeintlich handhaben, indem der Angsthaber das Objekt meidet.
Doch beim Phobiker blockiert diese Krücke der Psyche den Betroffenen, denn die Angst hält ihn gefangen. Seine Furcht bleibt bestehen, egal, ob das Objekt in der Nähe ist oder nicht.
Tierphobiker “bestätigen” ihre Angst, indem sie sich davon überzeugen, wie “gefährlich” das jeweilige Tier ist. Tragischerweise lösen sie damit oft ein Verhalten erst aus, dass sie bestätigt, insbesondere bei Hunden, Katzen und Pferden.
Hunde sind für ungewöhnliches Verhalten äußerst sensibel, sie riechen Angst im Wortsinne, genauer gesagt, riechen sie nicht Angst, sondern die Duftstoffe, die der Körper bei extremen Gemütszuständen aussendet. In der Wahrnehmung des Hundes “stimmt etwas nicht”. Wenn der Betroffene dann noch schreckhaft reagiert, das heißt, sich hektisch bewegt, schreit oder zittert, heißt das für den Hund: Alarm.
Das Fluchttier Pferd scheut, wenn ein Mensch scheut. Es scharrt mit den Hufen, es wiehert, und es springt zurück.
Bei Katzen sind Phobiker in einer besonders schweren Situation. Wenn der Phobiker zurück schreckt, erschreckt sich auch die Katze und springt weg, oder macht einen Buckel und faucht, weil sie Angst hat, was den Phobiker bestätigt. Verhält sich der Phobiker jedoch extrem zurück haltend, steuert die Katze ihn zielgenau an, egal, ob andere Anwesende sie rufen oder mit Gesten ablenken. Das Pech für den Phobiker: Je mehr ein Mensch sich zurück hält, umso mehr fühlt sich die Katze in Sicherheit und fühlt sich von ihm angezogen.
Spinnen, Hunde und Katzen – Die häufigsten Tierphobien
Die zehn häufigsten Phobien vor bestimmten Tieren sind Arachnophobie, die Angst vor Spinnen; Apiophobie, die Angst vor Bienen; Ophidiophobie, die Angst vor Schlangen; Elasmophobie, die Angst vor Haien; Kynophobie, die Angst vor Hunden; Herpetophobie, die Angst vor Echsen und anderen Reptilien außer Schlangen; Ailurophobie, die Angst vor Katzen; Equinophobie, die Angst vor Pferden; Murophobie, die Angst vor Mäusen und Bufonophobie, die Angst vor Fröschen und Kröten.
Die Angst vor Spinnen ist weltweit verbreitet. Das liegt zum einen an ihrer Anatomie mit acht Beinen um einen runden Körper, die sich von der vertrauten Säugetieranatomie sehr unterscheidet, zum anderen bewegen sich Spinnen schnell und außerdem sind viele Spinnenarten giftig, einige für den Menschen sogar tödlich.
Eltern übertragen ihre Angst vor Spinnen oft auf ihre Kinder. Eine Lehrerin zum Beispiel rief ihren Nachbarn an, weil in der Küche eine Spinne saß. Der Nachbar kam, sie stand mit ihrem Sohn und ihrer Tochter in eine Ecke des Wohnzimmers gedrängt und zeigte mit bleichem Gesicht auf den Schrank und sagte zitternd: “Da.” Der Nachbar fand auf dem Schrank schließlich eine kleine und harmlose Spinne.
Spinnenangst verweist oft auf tiefer liegende psychische Konflikte. So stehen Spinnen im Unbewussten dafür, “in ein Netz eingesponnen zu werden”, also ein fremd bestimmtes Leben zu führen. Ein Student träumte zum Beispiel über Jahre hinweg vor einer riesigen Spinne, die ihn verfolgte. Er kam aus einem sehr konservativen Elternhaus und versuchte, sich durch trotzig-pubertäres Verhalten daraus zu befreien. Die Angstbilder seiner Träume führten auch zur Angst vor realen Spinnen; in jeder fremden Wohnung guckte er sorgfältig, ob sich nicht irgendwo eine Spinne verbarg.
Bienen
Eine Bienenphobie ist vor allem die Angst davor, von einer Biene gestochen zu werden. Vorsicht vor Bienen ist durchaus angebracht, denn ein Bienenstich verursacht Schmerzen, und einige Arten außerhalb von Europas lösen sogar schwerere Vergiftungen aus.
Wer unter einer Bienenphobie leidet, reagiert mit Furcht auf alles, was er mit Bienen assoziiert. Er zuckt zum Beispiel zusammen, wenn ein technisches Gerät summt, weil ihn das an eine Biene erinnert oder er meidet blühende Blumen, weil sich dort Bienen aufhalten könnten.
Eine solche Phobie dürfen wir nicht verwechseln mit einer Allergie gegenüber Bienenstichen. Allergier haben gute Gründe, gegenüber Bienen besondere Vorsicht walten zu lassen, denn ein Stich an der falschen Stelle, zum Beispiel im Rachenraum, kann für sie tödlich enden.
Schlangen
Die Angst vor Schlangen ist Teil unseres genetischen Erbes. Auch andere Primaten wie Schimpansen oder grüne Meerkatzen fürchten Schlangen und meiden sogar Objekte wie lange Stöcke, die an Schlangen erinnern. Pferde scheuen vor dem Geräusch von Spraydosen, das sie an Schlangen erinnert und vor Gartenschläuchen.
In Ländern mit vielen giftigen Schlangen, in Afrika oder Südamerika, töten die Einheimischen jede Schlange, die sie sehen. Sogar die harmlosen Blindschleichen, beinlose Echsen, fielen hierzulande über Jahrhunderte der Schlangenangst zum Opfer.
Evolutionär ist die Angst vor Schlangen verständlich. Nur eine Minderheit der Schlangen ist giftig, aber Bisse von Kobras, Kraits, Mambas, Klapperschlangen oder vielen Vipern führen ohne Behandlung zum Tod.
Unser Unbewusstes differenziert verständlicherweise nicht zwischen giftigen und ungiftigen Schlangen, denn derart zu unterscheiden, würde wichtige Momente kosten, in denen die Schlange vielleicht zubeißt.
In der Mythologie Europas ist die Schlange zudem negativ besetzt. Die “teuflische Schlange”, die Eva verführt, ist ein Synonym für den Satan, und der Drache als Widersacher des christlichen Ritters, leiht seine Attribute von ihr.
In anderen Kulturen sind Schlangen hingegen nicht nur negativ besetzt: Die Kobra, die sich aufrichtet und so an den Penis erinnert, gilt sogar als Tier des Hindugottes Schiwa, und wer an einem Kobrabiss stirbt, der geht automatisch in den Kreislauf der Wiedergeburt ein.
In Deutschland hat Angst vor Schlangen keinen realen Gegenstand. Die einzige Giftschlange hierzulande ist die hoch bedrohte Kreuzotter, und ihr Biss endet höchst selten tödlich.
Schlangen sind Räuber, manche sind giftig, sie bewegen sich lautlos, tarnen sich und sind schnell. Das macht sie unheimlich. Dazu kommt, wie bei Spinnen, ihre fremde Physiognomie. Sie bewegen sich ohne Beine, sie geben außer ihrem Zischen keine Laute von sich, und ihre Augen wirken emotionslos.
Eine Schlangenphobie steht oft für die Angst, einer Bedrohung hilflos ausgesetzt zu sein: Ihr Gift lähmt, Würgeschlangen ersticken ihre Beute, und Schlangen erscheinen scheinbar aus dem Nichts, wenn sie nach dem Winter aus ihren Höhlen kommen.
Wer also symbolisch Angst hat, “vergiftet” zu werden, wer sich “wie gelähmt fühlt”, weil er nicht weiß, wie er aus einer fremd bestimmten Lebenssituation heraus ommt, die ihn “erdrückt”, der entwickelt unter Umständen eine Schlangenphobie.
Haie
Die Angst vor Haien gehört ebenfalls zu unserem genetischen Erbe. Nur vier Haiarten werden dem Menschen gefährlich, vor allem der Weiße Hai, der Tigerhai und der Stierhai. Der Tigerhai ist der “Müllschlucker der Meere”, er frisst mit seinem breiten Maul fast alles, was hinein passt, ob Meeresschildröten, Seekühe oder Schiffstaue.
Der Weiße Hai ist entgegen seinem Ruf, kein systematischer Menschenfresser, und die meisten seiner Angriffe auf Taucher oder Surfer sind vermutlich Tests, mit denen er guckt “was ist das?” Er beißt also probeweise in etwas, so wie wir es mit den Fingern bestasten. Ansonsten würden Angriffe des Weißen Hais nicht mit Verletzungen enden, sondern tödlich.
Der Stierhai letztlich ist am gefährlichsten, weil er seine Beute im Sand in Ufernähe sucht, also da, wo Menschen baden. Viele Opfer durch vermeintlich Weiße Haie gingen auf seine Kappe.
Peter Benchley schrieb den Roman “Der weiße Hai”, und die Verfilmung durch Stephen Spielberg wurde seinerzeit zum erfolgreichsten Film aller Zeiten. Leider schürte er weltweit die Angst vor den Fischen, was Peter Benchley später bitter bereute, während er sich für den Rest seines Lebens dem Schutz der bedrohten Haie widmete.
Benchley war zuerst über den Erfolg seines Romans verblüfft, erkannte dann aber, woran dieser Erfolg lag. Ihm zu´folge ist der Weiße Hai das ultimative Monster im Unbewussten des Menschen. In seinem Reich, dem Ozean, ist er der unangefochtene Herrscher, und sein Element ist dem Menschen fremd. Er kommt aus der Tiefe (auch unseres Unbewussten) an die Oberfläche (des Bewusstseins?), hat ein riesiges Maul voller dreieckiger Zähne und ist seit vielen Jahrmillionen ein “Erfolgstyp”.
Nach dem “Weißen Hai” trauten sich viele Menschen weltweit kaum noch in das Meer, und der Film zeigt, wie auch Medien eine Phobie aktivieren können, die indessen als biologisch verankerte Vorsicht bereits vorhanden ist.
Die Angst vor Haien ist zudem ein Beispiel dafür, wie wenig evolutionär entstandene Tierängste mit realen Gefahren zu tun haben müssen: Weltweit sterben jährlich kaum mehr als ein dutzend Menschen durch Haiangriffe, jede Autofahrt ist also gefährlicher, als in einem Meer zu baden, in dem Haie schwimmen.
Hunde
Die Hundephobie ist vermutlich die häufigste übersteigerte Angst vor Tieren, was daran liegt, dass wir Hunden ständig begegnen. Der Hund ist unser ältestes Haustier, und das einzige Tier, das sich biokulturell mit dem Menschen entwickelte.
Zwar werden Hunde heute immer mehr Teil des Patchwork-Lebens in der Großstadt, von der “handlichen” französischen Bulldogge bis zum Rhodesian-Ridgeback des Aktivsportlers, doch zugleich schwindet die nicht entfremdete Erfahrung mit Gebrauchshunden, wie sie noch vor wenigen Generationen selbst verständlich war.
Einer fahrlässigen Distanzlosigkeit gegenüber fremden Hunden steht zunehmend eine übersteigerte Angst gegenüber. Nachdem Pitbullterrier Kinder angegriffen hatten, schürten Boulevard-Medien die Hysterie gegenüber angeblichen Kampfhunden. Das Bild von der Bestie mit den gefletschten Zähnen setzte sich als Angstbild in vielen Köpfen fest.
Ein Jogger, der einen Hundehalter bittet, einen Kangal an die Leine zu nehmen, der bellend auf ihn zuläuft, leidet nicht unter einer Phobie, sondern zeigt berechtigte Angst, und Eltern, die ihre Kinder ermahnen, fremde Hunde nicht anzufassen, verhalten sich sogar vorbildlich.
Eine Phobie liegt hingegen vor, wenn jemand vor Furcht erstarrt oder ihm der Schweiß ausbricht, weil im Cafe ein Hund unter dem Nachbartisch liegt, oder wenn jemand die Straßenseite wechselt, weil ihm ein Golden Retriever an der Leine entgegen kommt.
Eine extreme Phobie führt dazu, dass der Betroffene sogar Plätze meidet, an denen er Hunde treffen könnte, einen Bogen um den Jägerzaun macht, hinter dem ein Schäferhund lebt, oder keine Bekannten besucht, die Hunde haben, obwohl er weiß, dass sie die Tiere von ihm fern halten.
Hunde im Fernsehen, sogar Werbung für Hundefutter oder Gespräche über Hunde können die Angstreaktion auslösen. Im schlimmsten Fall traut sich jemand nicht mehr aus dem Haus, weil draußen ein Hund warten könnte.
Sein Alltag leidet, weil er Umwege macht, um keinem Hund zu begegnen. Seine Angst überträgt sich auf seine Kinder, oder die Kinder leiden unter der Angst, weil sie sich mit ihrem Vater / ihrer Mutter nicht mehr frei bewegen können.
Eine Hundephobie kann aus archaischen Ängsten vor dem Wolf rühren, deshalb sprechen Psychologen auch von Canophobie, der Furcht vor Hundeartigen. Allerdings war das Verhältnis der frühen Menschen, als sich diese Archetypen abspeicherten, ambivalent, und die meisten Menschen in Europa trennten diese Ambivalenz in den “guten”, weil unterworfenen Hund und den “bösen”, weil unkontrollierten Wolf.
Der Hund versteht Menschen besser als alle anderen Tiere, und viel besser als Menschen Hunde. Kein Tier eignet sich also mehr zum Objekt menschlicher Projektionen, und bei Hundephobien zeigt sich oftmals, dass es sich um soziale Ängste handelt.
In einer Therapie geht es darum, heraus zu finden, was der Phobiker an Hunden fürchtet. Fürchtet er, dass die Hunde beißen? Unterdrückt er seine Sexualität? Auch das ist möglich, denn die “läufige Hündin” war in verschiedenen Kultur ein Bild für die ungezügelte Sexualität.
Angst vor Hunden ist im Kern berechtigt, denn der Hund ist ein größerer Fleischfresser, und Individuen vieler Rassen sind ohne weiteres körperlich in der Lage, einen Menschen zu töten, und es gibt in jeder Gesellschaft immer wieder tödliche Vorfälle mit Hunden.
Therapie
Wenn der Hundephobie eine traumatische Erfahrung mit einem Hund zugrunde liegt, handelt es sich im wissenschaftlichen Sinne nicht um eine Phobie, sondern um ein Trauma. Hilfreich ist, wie bei allen Ängsten vor einem Tier, das Lernen durch Konfrontation.
Der Verängstigte lernt mit einem geschulten Hund, Schritt für Schritt seine Angst zu überwinden. Je stärker die Angst ist, umso mehr wird sich das Unbeuwsste gegen die Begegnung mit der Wirklichkeit sträuben, aber zumindest lernt der Betroffene, sich vor bestimmten Hunden nicht mehr zu fürchten. Eine solche Therapie beginnt damit, dem Betroffenen Bilder von Hunden zu zeigen oder mit ihm Filme über Hunde zu sehen. Dann bringt der Therapeut ihn in distanzierten Kontakt zu Hunden, zum Beispiel, indem er in einem Sicherheitsabstand mit einem Hund an der Leine geht. Geht die Therapie günstig aus, traut sich der Betroffene am Ende vielleicht, einen Hund zu streicheln.
Eine solche Therapie mit Hunden ist besonders erfolgreich bei Phobikern, die ihre Angst von den Eltern lernten. Hier hilft allein schon die Situation in der Therapie, in der die Angst schürenden Bezugspersonen nicht anwesend sind.
Bei Hundephobien, die ein anderes Trauma ausdrücken, ist die Therapie am Modell jedoch wenig erfolgreich: Hunde suchen Körperkontakt und sind sehr gruppenbezogen. Hat der Betroffene zum Beispiel eine Soziophobie, scheut er also Gruppensituationen und kapselt sich von anderen Menschen ab, wird er diese Phobie auch behalten, wenn er seine Angst vor Hunden in den Griff bekommt. Die Phobie bleibt bestehen.
Bei einer Traumanalyse von Hundephobikern gilt es, den kulturellen Hintergrund und die individuellen Erfahrungen zu berücksichtigen. Der Hund ist wie alle Tiere, auch ein Archetyp, der sich im REM-Schlaf zeigt. Solche Archetypen fügt das menschliche Gehirn aber in die Erlebnisse des Individuums ein und sie werden außerdem durch einen kulturellen Überbau geformt. Ein Muslim, der unter einer Hundephobie leidet, und damit aufwuchs, dass Hunde unrein sind, entwickelt eine andere Symbolwelt als ein Hundephobiker in einer deutschen Großstadt, wo Hunde als Familienmitglieder gelten.
Hundephobiker träumen zum Beispiel davon, dass Hunde sie angreifen. Der Hund ist das Tier, das uns am nähesten steht, er steht symbolisch also für den gebändigten Trieb, der aber zugleich stark ist. Hat der Verängstigte vielleicht Angst, seine Triebe nicht zu kontrollieren?
Hundephobien können aber auch spezifisch sein und selbst bei Menschen auftreten, die mit Hunden aufwuchsen. So entwickelte zum Beispiel der Sohn eines Dorflehrers, dessen Vater selbst einen Weimaraner hatte, Angst vor Schäferhunden, die so groß wurde, dass er sich an den Grundstücken im Dorf, auf denen Schäferhunde lebten, nicht vorbei traute. Er hatte eine Dokumentation über deutsche Schäferhunde gesehen, die in den Kzs der Nazis die Häftlinge zerfleischten, zugleich machte ihm die Mentalität der reaktionären Bauern im Dorf Angst.
Wolfsphobie
„Die gehören nicht in das dicht besiedelte Deutschland“; „die Zahl muss drastisch verringert werden“; „unsere Kinder können nicht mehr aus dem Haus gehen“; „Kuschler schleusen die im Kofferraum über die Grenze“; „ich habe nichts gegen sie, aber…“; „es sind unzivilisierbare Räuber“; „weltfremde Stadtmenschen machen einen Feldversuch, die Menschen vom Land zahlen die Rechnung“; „die Regierung vertuscht den Schaden“; „die fressen alles weg;“ „jetzt müssen wir uns selbst schützen“. Solche Sätze nutzen Rassisten, wenn sie zum Pogrom schüren.
Das Objekt des Hasses sind diesmal jedoch nicht (nur) um Einwanderer auf zwei, sondern auf vier Beinen: Von der Rechtsextremismus-Forschung unbemerkt finden braune Populisten ein neues Feindbild: Den Wolf. Zielgruppe der Hasspropaganda sind Schäfer, Pferdehalter und das Landvolk.
Die FB-Profile der Lautstärksten auf Seiten wie „Wolf-Nein Danke“ ergeben ein klares Bild: Holocaust-Leugnung, die NPD-Forderung „Todesstrafe für Kinderschänder“, Werbung für Pegida, Hetze gegen Migranten; alles ist dabei, was den braunen Sumpf zum Stinken bringt.
Der Wolf ist das Musterbeispiel für eine kulturell überlieferte Angst. Seit 2002 leben wieder Wölfe in Deutschland, nachdem sie 150 Jahre verschwunden waren, und die alten Ängste füllten von Anfang an die Schlagzeilen der Boulevardpresse.
In einigen Wolfsgebieten trauen sich Anwohner nicht mehr in den Wald, und wenn, dann nur mit Pfefferspray. Wolfshasser stellen sachliche Aufklärung über den real für Menschen ungefährlichen Wolf als Beschönigung dar, und diese Propaganda knüpft an abrufbare Ängste an.
Vernichtungsfantasien, die die Wolfshetzer entwickeln, zeigen überdeutlich die Projektion: Der Wolf ist ein großer Beutegreifer – wie der Mensch auch. Seit jeher definierten sich deshalb menschliche Krieger über ihn.
Der Wolf zeigt zudem, wie Phobien geschürt werden können über Mythen, reißerische Berichte in der Yello Press und unreflektierte Archetypen des Unbewussten. Wolfsphobiker verhalten sich wie andere Angsthaber auch. Sie sind weit gehend resistent gegen Aufklärung. Sachliche Information wischen sie als Verschwörung von Naturschützern beseite, die mit dem Wolf ihr Geld verdienen würden und überbieten sich im Zitieren von Wolfsangriffen auf Menschen, die bestenfalls aus einer Mücke einen Elefanten, aus einem Tier ein Ungeheuer machen.
Offen rassistische Pamphlete so genannter Wolfsskeptiker und klassische Verschwörungsfantasien zeigen, dass es sich bei der übersteigerten Wolfsangst um eine allgemeine Angststörung handelt.
Die erfolgreiche Aufklärung gerade bei Jugendlichen zeigt jedoch, dass überlieferte Ängste keinesfalls automatisch in Phobien enden.
Katzenphobie
Millionen Katzen leben in Deutschland, und Millionen Menschen auf der Welt fürchten sich vor ihnen. Feldherrn, die furchtlos fremde Länder eroberten, fürchteten sich vor einem harmlosen Beutegreifer – darunter Julius Cäsar und Alexander, der Große.
Die meisten Katzenphobiker sind Männer. Der Zoologe Desmond Morris interpretierte die Angst vor Katzen folgerichtig als Angst vor der weiblichen Sexualität; weltweit ist die Katze ein Symbol für die Lust der Frau.
Dier germanische Fruchtbarkeitsgöttin Freya ritt auf einem Wagen, den Wildkatzen zogen, und die europäische Wildkatze, deren rollige Schreie unüberhörbar waren, war den Germanen das Symbol der körperlichen Liebe. Die christlichen Kirchen behielten diese Symbolik und verteufelten sie im Wortsinne. Die Wollust war ein Werk des Teufel, und die Hexe, die sich in Geschlechtsverkehr mit dem Leibhaftigen verband, verwandelte sich in eine Katze, um ihren Missetaten nachzugehen.
Um den Teufel zu besiegen, verbrannten die Hexenjäger lebende Katzen auf Scheiterhäufen, ertränkten sie in Flüssen oder warfen sie den Kirchturm hinunter.
Katzenängste sind in Ländern, in denen Katzen einen schlechten Ruf haben, vermutlich weiter verbreitet. Im Iran zum Beispiel leben Katzen selten in der Familie, sie schlagen sich auf den Straßen durch, sie werden gequält, mit Steinen erschlagen oder ihre Jungen in die Wüste geworfen.
Eine solche Verachtung ist mit einer Phobie aber nicht identisch. Manche Katzenphobiker mögen Katzen, fühlen es mit, wenn die Tiere gequält werden und stellen für streunende Katzen Futter hin. Doch wenn sie mit einer Katze in einer Wohnung sind, rast ihr Herz, der Schweiß bricht aus und nachts träumen sie von Katzen, die sie anspringen.
Katzenangst lässt sich ebenso behandeln wie Hundeangst, durch Desensibilisierung. Zuerst sieht der Therapeut mit dem Betroffenen Bilder und Filme über Katzen an, erklärt ihnen sachlich deren Verhalten, dann beobachten beide zusammen Katzen aus sicherem Abstand und tasten sich Schritt für Schritt an Katzen heran, sitzen, wenn es gut läuft, irgendwann gemeinsam mit einer Katze im Zimmer, und im besten Fall, streichelt der Angshthaber am Ende die Katze.
Reptilien
Die Angst vor Reptilien bezieht sich selten auf einen bestimmte Art von Echsen, sondern auf alles, was echsenartig aussieht. Häufig ist dies auch mit einer Phobie gegenüber Fröschen und Kröten verbunden.
Eine Grundangst kann kulturell überliefert sein. In Ostafrika zum Beispiel fürchten Einheimische die harmlosen Chamäleons: Die Tiere bewegen die Augen unabhängig voneinander, wechseln die Farbe und gelten deswegen als gefährliche Zauberer.
In Europa ordneten die Christen Echsen, Schlangen und Kröten dem Teufel zu. Unser älterer Teil des Gehirns heißt treffend auch Reptiliengehirn. Hier sitzen die archetypischen Impulse wie Angst, Kampf, Flucht oder Fortpflanzung. Reptilien stehen für unsere “niederen” animalischen Triebe in ihrer archaischen Form, und wer sich vor Reptilien fürchtet, diese als glitischig ansieht und zudem Probleme mit seinen eigenen Körpersäften hat, auf extreme Reinlichkeit Wert legt und in der Natur Angst hat, sich schmutzig zu machen, spaltet vermutlich seine Körperlichkeit ab.
Das zeigt exemplarisch die christliche Kultur, die nicht nur Reptilien, sondern alles Körperliche im Wortsinn verteufelte und die körperlose Geistigkeit als Ideal erhob.
Angst vor Ungeziefer
Läuse, Flöhe, Wanzen, Ratten und Mäuse sind Tiere. Die Angst vor solchem “Ungeziefer” lässt sich zwar ebenfalls als Tierangst bezeichnen, hat aber mit einer spezifischen Angst vor bestimmten Tieren wenig zu tun.
Die Vorsicht gegenüber Lebewesen, die stechen, Blut saugen, kratzen und Krankheiten verursachen, ist berechtigt. Phobikern reicht es aber nicht, die Wohnung zu saugen und sich die Plagegeister vom Leib zu halten.
Sie können nachts nicht schlafen, weil sie Angst haben, dass Mäuse unter dem Bett sind; wenn es kratzt, vermuten sie wie ein Hypochonder einen Floh am Werk. Ein unbekannter Geruch im Kleiderschrank deutet auf Wanzen oder schlimmeres.
In harten Fällen lassen sie keine Fremden ins Haus, weil die “Ungeziefer” mit schleppen könnten. Sie lassen ihre Kinder nicht zu Freunden, weil die mit Läusen zurück kehren könnten. Sie nötigen Gäste, sich intensiv zu waschen, wenn sie die Wohnung betreten, sie waschen panisch ihre Kleidung und duschen mehrmals täglich; sie gehen nicht in den Wald aus Angst vor Zecken.
Solche Menschen haben ein extrem entfremdetes Verhältnis zur nichtmenschlichen Natur.
Therapien
Manche Tierphobiker wissen, dass sie ein Problem haben, und dass sie, und nicht die Tiere, die Quelle ihrer Angst sind. Bei dieser Einsicht ist eine Therapie möglich.
Andere Angsthaber verstehen überhaupt nicht, dass sie an einer Angststörung leiden. Sie finden ständig Bestätigung dafür, wie fürchterlich die entsprechenden Tiere sind. Sie misstrauen jeden, der ihre Angst vom Kopf auf die Füße stellt, Aufklärung betrachten sie als Angriff auf ihre Identität.
Derlei Gestörte haben nicht nur ein Problem, sie sind oft auch ein Problem für andere Menschen, insbesondere, wenn sich ihre Phobie auf Tiere richtet, die den Alltag mit Menschen teilen.
Ruft die Angst nämlich zur Tat, terrorisieren diese Hunde- und Katzenphobiker ihre Nachbarn, die Hunde oder Katzen halten. Sie rufen die Polizei, weil ein Hund sie im Park angeblich angreifen würde; sie beschweren sich beim Vermieter, damit der Nachbar seine Katze weg gibt. Sie unterstellen freundlichen Hunden, bissig zu sein und reden den Besitzern ein schlechtes Gewissen ein, stellen sie als rücksichtslos dar oder unterstellen ihnen finstere Absichten.
Bei einer spezifischen Angst vor Tieren des Alltags wie Pferden, Hunden, Katzen oder Spinnen bietet die Konfrontation den besten Erfolg. Sie erfolgt behutsam, eine “Schocktherapie”, in der ein Phobiker unvermittelt auf eine Spinne trifft zum Beispiel, zementiert die Furcht wahrscheinlich statt sie zu besänftigen.
Neben der direkten Konfrontation sollte eine Psychotherapie stattfinden. Zum einen geht der Analytiker mit dem Betroffenen dessen Bilder über das betroffene Tier durch und vergleicht sie mit der Wirklichkeit, klärt über das Verhalten der Tiere auf. Zum anderen untersucht, ob, und wenn dann welche symbolischen Ausdrücke sich hinter dem Tierbild verbergen. Dann gehen Betroffener und Analytiker diese Bilder systematisch durch. Es empfiehlt sich ein Traumtagebuch anzulegen.
Tierphobien bei Kindern
Die Behandlung von Tierphobien bei Kindern sind besonders wichtig, denn die meisten Tierphobien formen sich in den ersten Lebensjahren.
Ängste vor Tieren sind bei Kindern nicht nur normal, sondern gehören zu unserem stammesgeschichtlichem Erbe. Wie alle anderen Tiere war das menschliche Kleinkind in ständiger Gefahr gefressen zu werden. Archetypische Träume trainieren lebenswichtiges Verhalten, und deshalb ist es kein Zufall, dass Kinder, bevor sie kulturell erzogen werden, von Tiermonstern träumen, vor denen sie sich verstecken, die ihnen auflauern, und die sie fressen.
Viele Kinder entwickeln in den ersten Jahren zudem eine gesteigerte Angst vor bestimmten Tieren – sei es der schwarze Hund vom Nachbarn oder Papas Reithengst. Auch eine solche Angst, die sich sogar als Phobie bezeichnen lässt, ist völlig normal: Aus der Perspektive eines Dreijährigen erscheint ein Pferd riesig und ein großer Hund wie ein Löwe, eine Katze, die abends zum Fenster herein guckt wirkt wie der böse Troll aus dem Märchen.
Zudem trennen Kinder unter vier Jahren noch nicht zwischen dem magischen Erleben ihrer Träume und der äußeren Wirklichkeit. Wenn Kinder mit vielen Tieren aufwachsen und mit ihnen positive Erfahrungen machen, gibt es wenig Probleme; Angst entsteht aus Fremdheit.
Problematisch wird es, wenn Kinder erstens keinen engen Kontakt zu Haustieren haben und ihre Eltern Phobien auf die Kinder übertragen; dann wird eine beginnende Phobie schnell chronisch.
Therapeuten sollten Kinder langsam auf die Angsteinflössenden Tiere zuführen. Golden Retriever, Labradore oder Neufundländer eignen sich hervorragend, um die frühe Furcht in Begeisterung zu ändern.
Eltern, die selbst unter einer Tierphobie leiden, tragen eine besondere Verantwortung, reflektiert mit ihrer Angst umzugehen und zu vermeiden, dass die Kinder später ebenfalls darunter leiden. Mit Haustieren aufzuwachsen, wirkt sich nämlich ausgesprochen positiv aus. Die Kinder lernen nicht nur Verantwortung zu übernehmen, sie finden auch Partner, deren Wert gerade darin liegt, dass sie keine Menschen sind, sie lernen von Hunden bedingungslose Liebe und von Katzen Autonomie. Eine Phobie aber raubt ihnen einen fruchtbaren Teil ihrer Lebenswelt. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Michael Depner, Seele und Gesundheit: Band 1 Diagnosen, Books on Demand, 2019
- Mike Rinck et al.: "Reliabilität und Validität dreier Instrumente zur Messung von Angst vor Spinnen", in: Diagnostica, Volume 48 Heft 3, 2002, Hogrefe
- Anne Langer: Tiergestützte pädagogische Interventionen: Entstehung und Probleme im Spannungsfeld von Therapie und Pädagogik, Bachelor + Master Publishing, 2014
- Franz Petermann, Fallbuch der Klinischen Kinderpsychologie und -psychotherapie, Hogrefe Verlag, 2009
- Rainar Nitzsche, Spinnen: Biologie - Mensch und Spinne - Angst und Giftigkeit, Books on Demand, 2018
- Bernhard R. Lubberger, Die Behandlung einer Hundephobie auf der Grundlage der Verhaltenstherapie unter Berücksichtigung allgemeiner Angststörungen: Sowie einer ... Interpretation des Fallbeispiels, Grin, 2010
- Peter Neudeck; Hans U. Wittchen; Konfrontationstherapie bei psychischen Störungen: Theorie und Praxis, Hogrefe Verlag, 2004
- Sigrid von Aster: Kinder- und Jugendpsychiatrie: eine praktische Einführung ; 177 Tabellen, Georg Thieme Verlag, 2008
Wichtiger Hinweis:
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