Die Hyposensibilisierung ist ein Therapieverfahren zur Behandlung von Allergien. Weitere Bezeichnungen sind Desensibilisierung, spezifische Immuntherapie (SIT) und Allergen-Immuntherapie (AIT).
Inhaltsverzeichnis
Definition
Die Hyposensibilisierung wird angewandt, um Allergien ursächlich zu behandeln. Das Verfahren soll das Immunsystem durch kleinste Gaben von Allergenen ganz langsam an die „fremde“ Substanz gewöhnen. Der Körper bekommt in regelmäßigen Abständen und Dosen das Allergen entweder injiziert oder als Tropfen oder Tablette verabreicht. Eine Hyposensibilisierung kann bis zu fünf Jahre dauern.
Der Körper wird dabei regelmäßig mit dem Allergie auslösenden Allergen konfrontiert und kann dann ganz langsam eine sogenannte Toleranz entwickeln. Die dabei verwendeten Allergenextrakte, sowohl zur subkutanen als auch zur sublingualen Applikation, stehen in unterschiedlicher Konzentration und Zusammensetzung zur Verfügung.
Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (DGAKI) hält eine Liste über alle in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich erhältlichen und verfügbaren Präparate, die zur Hyposensibilisierung verwendet werden können, parat.
Ziele
Ziele der Hyposensibilisierung sind eine Verminderung der Symptome, ein geringerer Bedarf an Medikamenten, eine anhaltende immunologische Toleranzentwicklung und die Vermeidung von allergischem Asthma.
Rückblick
Die Hyposensibilisierung ist kein neues Verfahren, sondern bereits mehr als 100 Jahre alt. Im Jahre 1911 wurde zum ersten Mal ein erfolgreicher Versuch an Pollenallergikern von dem Engländer Leonard Noon in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht. Natürlich wurde das Verfahren immer mehr erforscht und verbessert. So werden heute Allergenextrakte verwendet, die sicherer und auch verträglicher sind.
Voraussetzungen
Für die Durchführung der Hyposensibilisierung sind verschiedene Voraussetzungen nötig. An erster Stelle steht eine eingehende Diagnostik. Dazu gehören eine ausführliche Anamnese, ein Hauttest, ein Bluttest und eventuell noch ein Provokationstest. Die zu behandelnden Beschwerden sollten eindeutig einer IgE-vermittelten Typ-1-Allergie zugeordnet werden können.
Die beste Voraussetzung für den Beginn der Hyposensibilisierung ist die Zeit, in der die Betroffenen wenig oder gar nicht den Allergenen ausgesetzt sind. Dies ist jedoch nicht immer praktikabel. Eine Hyposensibilisierung wird auch dann in Betracht gezogen, wenn das Allergen nicht gemieden werden kann, wie zum Beispiel bei einer Insektenstichallergie, bei Allergien auf Blütenstaub und Hausstaubmilben.
IgE-vermittelte Typ-1-Allergie
Die IgE-vermittelte Typ-1-Allergie wird auch Soforttyp-Reaktion vom Typ 1 genannt. Bei dieser Allergieform reagiert der Körper bei Erstkontakt mit einer Sensibilisierung gegenüber einem Allergen und daraufhin einer Bildung von IgE-Antikörpern. Bei einem erneuten Allergenkontakt wird sofort eine IgE-vermittelte Reaktion ausgelöst. Diese Allergie kommt am häufigsten vor.
Ablauf
Zeigen die Betroffenen das ganze Jahr über Beschwerden, wie zum Beispiel bei einer Hausstauballergie, so kann jederzeit mit der Hyposensibilisierung begonnen werden. Sind die Beschwerden jedoch saisonal, wie zum Beispiel bei einer Pollenallergie, startet eine Behandlung ein paar Monate vor der Hauptallergiezeit.
Durchhaltevermögen der Betroffenen gefragt
Bei der Hyposensibilisierung ist wirklich das Durchhaltevermögen der Allergikerinnen und Allergiker gefragt. Allein schon, weil die Therapie ja mindestens drei Jahre in Anspruch nimmt. Die häufigen Arzttermine können mitunter eine ziemliche Herausforderung darstellen.
Wichtig dabei ist, dass die Betroffenen motiviert sind, ihnen der Ablauf und das Verfahren gut erklärt wird und die häufigen Behandlungstermine problemlos ohne lange Wartezeiten stattfinden können. Wenn natürlich der Behandlungserfolg gar nicht eintreten will, neigen die Patientinnen und Patienten dazu, diese Therapie vorzeitig abzubrechen.
Um das Ganze etwas zu vereinfachen und trotzdem einen guten Therapieabschluss zu bekommen, werden gerade neuartige Ansätze in der spezifischen Immuntherapie erforscht. Je kürzer die Allergie besteht, desto größer sind die Erfolgsaussichten für die Hyposensibilisierung. Steht die Entscheidung für eine spezifische Immuntherapie, sollte so früh wie möglich damit begonnen werden. Damit wird einer Verschlechterung der Beschwerden entgegengewirkt.
Zwei Arten der Anwendung
Bei der Hyposensibilisierung werden zwei Arten unterschieden: die sublinguale und die subkutane Applikation. Sublingual ist der lateinische Begriff für „unter die Zunge“, was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass der Allergenextrakt in Form einer Tablette oder einer flüssigen Lösung verabreicht wird. Diese spezifische Immuntherapie wird abgekürzt mit SLIT.
Subkutan ist der lateinische Begriff für „unter die Haut“. Die systemische Immuntherapie (SCIT) verwendet Allergenlösungen, die von einem Arzt oder einer Ärztin subkutan ins Unterhautfettgewebe am Oberarm injiziert werden.
Allergenextrakte
Für beide oben genannten Verfahren stehen fertige Allergenextrakte zur Verfügung. Diese unterscheiden sich in Konzentration und Zusammensetzung. Vor allem bei verbreiteten Allergenen wie zum Beispiel Gräser, Birke, Erle und Hasel, bei Hausstaubmilben und Insektengift, stehen fertige, zugelassene Arzneimittel bereit.
Bei seltenen Allergenen wird, natürlich aufgrund ärztlicher Verordnung, eine Individualrezeptur hergestellt. Diese ist im Mischverhältnis genau auf die Allergie der Betroffenen ausgerichtet. Deren Anwendung wird in der TAV (Therapieallergene-Verordnung) genau geregelt.
Da die Pollen untereinander ähnliche Eigenschaften besitzen, werden sie bestimmten Pflanzenfamilien zugeordnet. Dies macht man sich bei der Auswahl des Allergenpräparates zunutze. So kann ein Allergen als Leitallergen für andere genutzt werden. Ebenso möglich ist die Kombination mehrerer Allergene in einem Präparat.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit der Hyposensibilisierung wurde in den letzten Jahren intensiv erforscht und dokumentiert. Hier wurde der Erfolg durch SCIT/SLIT bei allergischem Asthma, allergischer Rhinokonjunktivitis und in der Prävention bestätigt.
Sicherheit
Für die Sicherheit der bei der Hyposensibilisierung verwendeten Allergenextrakte hat die Europäische Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) Standards für die Präparate und deren klinischer Entwicklung festgelegt. Des Weiteren existiert seit 2008 die sogenannte Therapieallergene-Verordnung (TAV). Diese enthält Vorschriften zur Zulassung und Qualitätskontrolle von Allergenprodukten.
Nebenwirkungen
In der Regel wird eine Hyposensibilisierung gut vertragen. Lebensbedrohliche Allgemeinerektionen in Form einer Anaphylaxie kommen zum Glück sehr selten vor. Bei der subkutanen Form zeigen sich, was in der Regel harmlos ist, an der Injektionsstelle Rötung, Juckreiz und Schwellung. Dies klingt meistens sehr schnell wieder ab.
Systemische Reaktionen treten normalerweise innerhalb einer halben Stunde auf. Deshalb sollten die Betroffenen nach der Injektion auch unbedingt mindestens eine halbe Stunde in der Arztpraxis bleiben. Die orale Applikation erfordert bei der Einleitung auch die Überwachung des Arztes oder der Ärztin. Nebenwirkungen, wie lokale Beschwerden in Mund oder Rachen, sind kurz nach der Anwendung möglich. Bei regelmäßiger Einnahme klingen diese innerhalb der ersten drei Wochen in der Regel ab. Bei der SLIT sind Allgemeinreaktionen äußert selten zu erwarten.
Kontraindikationen
Zu den Kontraindikationen für den Einsatz einer Hyposensibilisierung gehören schwere Autoimmunerkrankungen, Immundefekte und Immunsuppression. Des Weiteren ist von einer Hyposensibilisierung abzusehen bei akuten malignen Erkrankungen, unkontrolliertem Asthma, bei Erkrankungen, bei denen die Gabe von Adrenalin nicht möglich ist, und wenn Patienten beziehungsweise Patientinnen Betablocker bekommen.
Eine Kontraindikation besteht außerdem für den Beginn einer Hyposensibilisierung während der Schwangerschaft. In Einzelfällen werden trotz vorliegender Kontraindikationen Nutzen und Risiken abgewogen und eventuell eine Hyposensibilisierung durchgeführt.
Behandlung von Kindern und Jugendlichen
Bei Kindern wird ab dem sechsten Lebensjahr eine Hyposensibilisierung durchgeführt. Erfolgversprechend ist dies vor allem zu Beginn einer allergischen Erkrankung, wenn nur ein Allergen der Auslöser ist und das Kind nicht schon auf weitere Allergene reagiert. Nach der abgeschlossenen Behandlung entstehen in der Regel weniger neue Allergien und eine Pollenallergie endet viel seltener in einem Asthma bronchiale. Bei Kindern und Jugendlichen wird die Hyposensibilisierung mittels Injektion durchgeführt.
Molekulare Allergiediagnostik
Bei der molekularen Allergiediagnostik werden IgE-Antikörper gegen einzelne Allergenmoleküle bestimmt – ein Diagnoseverfahren, das wesentlich genauer und sensibler ist als nur bestimmte Antikörper der Klasse E gegen einen Gesamtextrakt zu messen.
Viele Betroffene reagieren auf mehrere Allergene positiv. Herkömmliche Allergietests sind oft nicht so eindeutig – die molekulare Diagnostik ist hierbei hilfreich. Auch dann, um zu entscheiden, ob ein Provokationstest sinnvoll ist, und vor allem mit welchem Allergen dieser durchgeführt werden soll.
Die molekulare Allergiediagnostik ist auch hilfreich, um den Betroffenen bessere Empfehlungen hinsichtlich der Allergenvermeidung zu geben. Der Test lässt eine exaktere Bestimmung der auslösenden Allergene zu und steigert somit auch die Erfolgsaussichten einer Hyposensibilisierung.
Behandlung der Insektengiftallergie
Die Hyposensibilisierung hat bei der Insektengiftallergie einen besonders hohen Stellenwert. Das Dosierungsschema dabei ist sehr unterschiedlich. Je größer der Zeitraum dafür gewählt wird, desto weniger Nebenwirkungen sind zu erwarten.
Eine Hyposensibilisierung, die nur ein paar Tage dauern soll, wird immer in einer Klinik durchgeführt. Ansonsten werden die Spritzen anfangs einmal wöchentlich und danach im Abstand von vier bis zu acht Wochen verabreicht. Nach drei bis fünf Jahren ist die Behandlung abgeschlossen.
Neue Ansätze – Weiterentwicklungen, Forschungsansätze
Nicht jede(r) Patient(in) reagiert gleich auf eine Hyposensibilisierung. Die einen merken schon im ersten Jahr eine Verbesserung und können ihre Medikamente reduzieren. Andere wiederum verspüren gar keine oder nur eine ganz geringe Wirkung. Deshalb wird schon seit vielen Jahren nach Faktoren gesucht, die dabei helfen können, Hinweise auf die Erfolgsquote bei verschiedenen Personengruppen zu geben. Leider existieren jedoch bisher noch keine in der Praxis durchführbaren Tests.
Die orale Anwendungsform der Hyposensibilisierung wird vor allem im Zusammenhang mit den Nahrungsmitteln untersucht. Dies wird orale Immuntherapie (OIT) genannt. Das Allergen, zum Beispiel Erdnüsse, wird in steigenden Mengen über den Mund aufgenommen. So wird eine abgemessene Menge an Erdnussmehl in Joghurt eingerührt und dies dann verzehrt. Dies muss genau kontrolliert und die Menge unter Sicherheitsvorkehrungen langsam gesteigert werden, das alles natürlich unter ärztlicher Aufsicht in der Klinik.
Bei starken Nebenwirkungen wird die Menge wieder reduziert um im Anschluss danach langsam wieder zu steigern. Des Weiteren werden sublinguale (unter die Zunge) Applikationen oder auch epikutane (auf der Haut) Anwendungen erforscht. Letztere funktionieren mit einem Pflaster, das mit dem Allergen beschichtet ist. Dies verbleibt über 24 Stunden auf der Haut und wird täglich erneuert.
Zusammenfassung
Die Hyposensibilisierung ist ein schulmedizinisches Verfahren, das der Allergie auf den Grund geht und versucht, diese an der Basis zu packen und somit den Betroffenen ein beschwerdefreies, allergiearmes Leben zu ermöglichen. Eine Hyposensibilisierung gehört stets in die Hände eines erfahrenen Arztes beziehungsweise einer erfahrenen Ärztin. Eine Zusammenarbeit mit den Betroffenen ist dabei sehr wichtig und ausschlaggebend für den Erfolg. (sw)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Jörg Kleine-Tebbe, Albrecht Bufe, Christof Ebner et al.: Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen, in Allergo J 2009; 18: 508–37, (Abruf 19.10.2021), dgaki (PDF)
- Thomas Werfel, Ludger Klimek, Christian Vogelberg: Weißbuch Allergie in Deutschland, Springer, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, (Abruf 19.10.2021), dgaki (PDF)
- Bundesärztekammer: Mitteilungen: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Hyposensibilisierung - Indikationen, Kontraindikationen, unerwünschte Wirkungen, in Dtsch Arztebl 1997; 94(6): A-330 / B-264 / C-250, (Abruf 19.10.2021), Ärzteblatt
- P. Fischer, F. Friedrichs: Praktische Durchführung der Hyposensibilisierung, Monatsschr Kinderheilkd 161, 608–615 (2013), (Abruf 19.10.2021), Springer
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.