Demenz wird zur neuen Volkskrankheit.
(20.09.2010) Demenz ist auf dem Weg zur Volkskrankheit. Experten warnen: Bis 2050 werde sich die Anzahl der Demenzkranken verdoppeln. Eine gesellschaftliche Herausforderung, der nicht nur das Gesundheitssystem bisher kaum gewachsen scheint.
Rund 35 Millionen Menschen leiden weltweit an der verbreitetsten Demenzform, Alzheimer, in Deutschland sind es knapp 1,2 Millionen. Bei der unheilbaren Krankheit stören Eiweißablagerungen im Gehirn die Reizübertragung zwischen den Hirnzellen, wodurch diese absterben und das Gedächtnis der Betroffenen angegriffen wird. Oft verändert sich die Persönlichkeit der Patienten grundlegend. Dabei sind die Symptome der meisten Demenzerkrankungen ähnlich: Konzentrationsschwächen, zeitlicher und räumlicher Orientierungsverlust, Passivität, Hilflosigkeit und bei schwerem Krankheitsverlauf Betreuungsbedarf rund um die Uhr. Erlerntes Wissen geht verloren und sogar die eigene Biografie gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Veränderungen bzw. Neuerungen überfordern die Patienten oft rigoros, so dass diese teilweise auch aggressiv reagieren .
Nach Einschätzung verschiedener Wissenschaftler wie dem Kölner Neurologe Prof. Gereon Fink wird sich die Anzahl der Demenzerkrankungen in den nächsten vierzig Jahren weltweit nicht nur verdoppeln sondern mehr als verdreifachen – von aktuell 35 Millionen auf 115 Millionen im Jahr 2050. „Leider ist unsere Gesellschaft (…) nicht gut gerüstet für das gewaltige Ausmaß und die wachsende Dimension des Problems“, erklärte der Neurologe Prof. Fink, da auch Medizin und Pflege hierzulande noch erhebliche Defizite bei der Behandlung von Demenzkranken haben. Schon beim Medizin Studium liegt nach Ansicht von Prof. Fink „noch ganz viel im Argen.“ Die Ärzte und das Personals müssten stärker geschult werden, um eine frühzeitige Diagnose und eine optimale Behandlung zu erreichen. So könnten zum Beispiel bei entsprechend frühzeitiger Diagnose bis zu drei Jahre länger alltagstauglich bleiben, bevor die Demenz zu schwer wird.
In Bezug auf die Ausbildung des Fachpersonals kritisiert der Kölner Neurologe außerdem, dass es unter „den medizinischen Fakultäten (…) bundesweit nur sechs mit einem Lehrstuhl für Geriatrie, die Lehre des Alterns“ gibt. Ihm zu Folge wären mehr Einrichtungen, wie das 2009 in Bonn gegründete Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen notwendig, die sich explizit mit Demenzforschung befassen. Dies ist besonders dringend erforderlich, da im Zuge des demographischen Wandels die Anzahl der Erkrankten in den kommenden Jahren rasant wachsen wird. So wird mit der finanzielle Förderung der Bonner Einrichtung von rund 90 Prozent durch das Bundesforschungsministerium auch ein Zeichen dafür gesetzt, „dass die Bundesregierung das Ausmaß des Problems allmählich erkennt“, betonte Prof. Fink. Bisher sind nach seiner Auffassung jedoch weder Politik noch Gesellschaft für das Demenz-Problem gerüstet.
Während bisher rund 60 Prozent der Demenzkranken von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt werden, müssen nach Ansicht der Fachleute die Pflegeeinrichtungen in Zukunft einen größeren Beitrag zur Versorgung von Millionen Patienten leisten. Denn auf Dauer können die Angehörigen der Belastung kaum Stand halten, erklärte auch Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DalzG). Die Pflege der Betroffenen „ist so kräftezehrend für die Angehörigen, dass sie oft selbst erkranken“ betonte Jansen. Bislang sind Pflegeeinrichtungen für viele Angehörige jedoch keine Alternative, da sie Personal erwarten, das sich mit dem Krankheitsbild auskennt, dies jedoch nach Aussage der DAlzG Sprecherin „von der Ausbildung her oft nicht gegeben“ ist.
Demenz ist bisher nicht heilbar und so gilt Vorbeugung als einzige Alternative. Wie diese jedoch genau aussehen soll, können uns auch die Experten nicht wirklich verraten. Laut Prof. Fink gibt es zwar zahlreiche Studien die belegen, „dass ein hohes Bildungsniveau “ ebenso wie „eine rege geistige Aktivität“ vor Demenz schützt, aber dies hilft den Betroffenen nur wenig. Eher könnte da schon der aktuelle Ansatz norwegischer und britischer Mediziner zur Vitaminbehandlung von Demenzkranken sein. Ihrer Studie zu Folge wurde der Einsatz von Vitamine B6 und B12 bei Patienten mit dem „mild cognitive impairment“ (MCI), einer Art Vorstufe von Alzheimer und anderen Demenzformen, erfolgreich getestet. Demnach kann die tägliche Einnahme der Vitamine B6 und B12 das Absterben der Hirnzellen bei den genannten Risikopatienten um bis zu 50 Prozent verlangsamen. Das Forscher-Team um David Smith von der Universität Oxford verwies jedoch darauf, dass der Langzeiteffekt der Vitamine erst noch untersucht werden müsse, um negative Folgen auszuschließen, da manche Vitamine in hohen Dosen Krebs verursachend wirken können. So warnt Smith davor unbedacht hohe Vitamindosen zu schlucken. Ein ebenso vielversprechnder Ansatz könnte nach Aussage von Prof. Fink die Untersuchungen einer amerikanischen Forschergruppe bieten, die Hoffnungen sieht, ein bestimmtes Enzym so zu stärken, dass es den Abbau schädlicher Eiweiß-Ablagerungen unterstützt. Bis erfolgversprechende Behandlungsmethode einsatzbereit sind, wird es jedoch nach Ansicht jeglicher Experten noch eine ganze Weile dauern.
Daher geht es aktuell in erster Linien um einen angebrachten Umgang mit der Krankheit. .So hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder heute anlässlich des morgigen Welt-Alzheimer-Tag 2010 das neue Internetportal „Wegweiser Demenz“ vorgestellt, welches nicht nur Angebote zur Prävention und zur Hilfe für bereits Erkrankte vor Ort bereithält. "Menschen mit Demenz brauchen besondere Zuwendung. Wir müssen den Erkrankten eine Stimme geben, pflegende Angehörige unterstützen und Ehrenamtliche in ihrem Engagement bestärken", betonte die Bundesfamilienministerin. Hierfür möchte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Internetportal eine Grundlage schaffen. Unter dem Link www.wegweiser-demenz.de werden erstmals umfassend Informations- und Hilfsangebote in Deutschland für Demenzkranke sowie deren Familienmitglieder bereitgestellt, erklärte die Ministerin. (fp)
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