Greifen Ärzte bei Rückenschmerzen zu schnell zum Skalpell?
13.12.2012
Die Zahl der Wirbelsäulen-Operationen nimmt stetig zu. Häufig helfen andere Verfahren wie orthopädische Schmerztherapie, Physiotherapie oder Osteopathie besser bei Rückenschmerzen als chirurgische Eingriffe. Dass Ärzte dennoch immer häufiger zum Skalpell greifen, könnte an den fortschrittlichen Diagnoseverfahren und der besseren Vergütung liegen.
Acht von zehn Deutschen leiden an Problemen der Wirbelsäule
Laut der AOK hat sich die Zahl der Wirbelsäulen-OPs in den letzten Jahren verdoppelt. „Aus medizinischer Sicht ist die Zunahme der Rückenoperationen in diesem Umfang auf über 280.000 Operationen im vergangenen Jahr nicht nachvollziehbar", erklärt Professor Joachim Grifka, Gründungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie und Direktor der Orthopädischen Klinik an der Universität Regensburg.
Inzwischen leiden acht von zehn Deutschen unter behandlungsbedürftigen Rückenschmerzen. 25,8 Prozent der Krankschreibungen sind auf Schmerzen an der Wirbelsäule zurückzuführen. Insgesamt verursachen Rückenprobleme 50 Millionen Fehltage am Arbeitsplatz sowie 18 Prozent der Früh-Verrentungen in Deutschland. Experten zufolge liegt die Hauptursache von Rückenleiden in mangelnder Bewegung und einseitigen Belastungen wie beim langen und ständigen Sitzen am Arbeitsplatz. Die Folge sind Überlastungen und Verschleißerscheinungen. Da ist es nicht verwunderlich, dass Bandscheibenvorfälle zu den 20 häufigsten Diagnosen in Arztpraxen gehören.
Orthopädische Schmerztherapie statt Wirbelsäulen-OP
Grifka sieht die Zunahme bei Wirbelsäulen-Operationen kritisch: „Außer bei einer akuten Lähmung oder einer Querschnittssymptomatik kann bei Rückenproblemen, selbst bei massiven Schmerzen, durch fortschrittliche orthopädische Schmerztherapien ohne Operation geholfen werden." Mittels gezielter Injektionen an den austretenden Nerven im Bereich der kleinen Wirbelgelenke oder direkt in den Wirbelkanal könnten gute Behandlungsergebnisse erzielt werden. „Die Erfolgsrate dieser minimalinvasiven Behandlungsmethode liegt selbst bei sonst operationsbedürftigen Veränderungen bei mehr als 80 Prozent", berichtet der Mediziner gegenüber dem Online-Reportagedienst „OBX-Medizindirekt“. Wenn eine Bandscheiben-Operation dennoch notwendig sei, könne auf Mikroskop-Verfahren zurückgegriffen werden, die keine Vernarbungen hinterließen.
„Wer sucht, der findet“, heißt ein altes Sprichwort. Der Anstieg der Operationen könnte auch damit zusammenhängen. Denn laut des Inhabers des Lehrstuhls für Orthopädie an der Universität Regensburg, hat sich die Diagnostik in den letzten Jahren stark verbessert. "Sie ermöglicht uns heute bei Rückenerkrankungen, beginnende Veränderungen frühzeitig genau zu erkennen. Doch das ist Segen und Fluch zugleich. Oft zeigen sich bei einer Untersuchung mit einem Kernspintomografen zum Beispiel Veränderungen am Rücken, die gar nicht Ursache vorhandener Rückenschmerzen sind und deshalb auch nicht operiert werden müssten", sagt Grifka. Nur etwa 33 Prozent der bei einer Kernspintomografie diagnostizierten Befunde müssten in der Tatsache auch behandelt werden. Alle anderen Befunde hätten kaum eine medizinische Bedeutung.
Lieber Zweitmeinung vor Operation einholen
Fakt ist aber, dass heute viel zu oft und zu schnell zum Skalpell gegriffen wird. Dabei könnten bewährte konservative Methoden dem Patienten helfen, ohne dabei invasiv zu therapieren. "In manchen Fachdisziplinen, etwa in der Neurochirurgie, wird die Option einer Behandlung ohne Operation heute oft überhaupt nicht mehr in Erwägung gezogen". Der Experte rät daher Patienten, die Entscheidung einer Operation nicht dem Operateur allein zu überlassen. Besser sei es eine Zweitmeinung einzuholen und mit dem Orthopäden die Chancen einer invasiven, alternativen oder konservativen Behandlungsmethode zu besprechen. (sb)
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Bild: Lothar Wandtner / pixelio.de
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