Rastlosigkeit – Getriebene und Depressive
Die Hände zittern, Schweiß bricht aus, die Muskeln zucken, und die Augen zwinkern. Wir können und nicht konzentrieren und das Herz rast. Rastlosigkeit, Nervosität und innere Unruhe kennt jeder Mensch – gelegentlich.
Inhaltsverzeichnis
Wird dieser Zustand aber chronisch, dann leidet unsere Lebensqualität massiv. Körperliche Erkrankungen, psychische Probleme und berufliche Überlastung können die Ursache sein.
Rastlose stehen ständig unter Strom, sie fühlen sich gehetzt. Egal, was sie tun, es erscheint ihnen immer zu wenig. Der innere Druck führt nicht dazu, dass sie Aufgaben besser bewältigen – im Gegenteil, sie geraten beim geringsten Auslöser aus dem Gleichgewicht. Sie sind leicht reizbar, Gefühlsausbrüche sind die Folge.
Einige zeigen dieses Gefühlschaos nicht offen. Die Betroffenen investieren dann enorme Energie, ihre Unruhe zu verheimlichen. Dadurch wahren sie zwar äußerlich die Fassade, zementieren aber ihre Beschwerden, weil sie keine Hilfe annehmen.
Meist lassen sich Nervöse aber erkennen: Sie sprechen schnell und mit höherer Stimme als gewöhnlich, sie können die Hände nicht still halten, blicken um sich, schütteln sich oder fahren mit den Fingern durch die Haare, rauchen Kette und atmen schnell.
Bei harmlosen Auslösern lässt sich innere Unruhe gut kontrollieren. Oft entsteht sie gerade dadurch, dass die Betroffenen einfache Handlungen vernachlässigen, die sie zur Ruhe kommen ließen.
Dazu gehören vor allem genug Schlaf und Bewegung an der frischen Luft. Schlaflosigkeit ist nämlich eine wichtige Ursache für innere Unruhe. Falls ihr eine organische Krankheit oder ernste psychische Beschwerden zugrunde liegen, sollten die Betroffenen umgehend einen Arzt aufsuchen.
Körper, Psyche, Umwelt
Innere Unruhe gepaart mit zu wenig Schlaf ist indessen sehr häufig ein Ausdruck der Arbeitsbedingungen. Wer immer länger arbeiten und immer mehr leisten muss und dafür immer weniger verdient, der versucht, seinen natürlichen Schlaf zu verkürzen, sei es mit Kaffee, oder sogar Kokain, also Mitteln, die zusätzlich zum fehlenden Schlaf für Nervosität sorgen.
Auch psychische Krankheiten gehen mit innerer Unruhe einher, vor allem Angststörungen, Depressionen und Zwangsstörungen. Angstgestörte geraten nicht nur in der auslösenden Situation in Bedrängnis, sondern bereits, wenn sie nur an sie denken. Allein der Gedanke an Katzen bei einem Menschen, der eine Katzenphobie hat, der Gedanke an eine Prüfung bei einem Menschen mit Prüfungsangst lösen die innere Unruhe aus. Die Betroffenen spannen sich innerlich so an, bis sie körperliche Beschwerden bekommen oder sogar in Panikattacken verfallen. Sie erröten, ihnen wird schlecht, sie zittern, und ihr Herz rast.
Rastlosigkeit kann aber auch einen organischen Hintergrund haben: Unterzuckerung und eine Überfunktion der Schilddrüse sind die üblichen Verdächtigen – außerdem Bluthochdruck.
Sie sollten auf jeden Fall zum Arzt gehen, wenn sie immer wieder nervös sind, ohne einen äußeren Auslöser zu kennen und an weiteren Beschwerden leiden: Magen- wie Rückenschmerzen, Durchfall, Störungen des Herzrhythmus bzw. Depressionen und Ängsten.
Die Umwelt
Rastlosigkeit ist oft durch die soziale Umwelt bedingt. Wer ständigem Stress ausgesetzt ist, sei es in der Familie oder durch Arbeitsdruck, wer permanent Terminen hinter her läuft, wer immer unverschämteren Ansprüchen seiner Mitmenschen gerecht werden will, wen in der Schwemme virtueller Angebote Reize überschwemmen, oder wen Lebensfragen belasten – der wird fast automatisch ruhelos.
Das Gehirn kann nämlich nur ein bestimmtes Ausmaß an Reizen, Anforderungen und Leistungen verarbeiten – wenn die Grenzen dieses Pensums überschritten sind, schaltet es auf den Stress-Modus.
Eigenes Verhalten
Nicht nur die Umweltreize selbst sind das Problem, sondern auch die Reaktion darauf. Wer immer perfekt sein will, was unmöglich ist, setzt sich einem permanenten Druck aus. Er ist innerlich getrieben. Er kommt nicht zur Ruhe, weil er Anforderungen an sich selbst stellt, die er nicht erfüllen kann.
Menschen, die sprichwörtlich „nicht in sich selbst ruhen“ reagieren zu empfindlich auf Kritik von Anderen. Sie versuchen, sich in der Außenwelt zu profilieren, fühlen sich dabei aber immer unsicher, weil sie mit sich selbst unzufrieden sind. Da ihr Selbstbild brüchig ist, kommen sie nicht zur Ruhe.
Auch, wer nicht abschalten kann, wird irgendwann rastlos. Zu sagen „jetzt ist Feierabend“, das Smartphone bleibt aus, und die Mails werden heute nicht mehr geöffnet, dieser Schluss-Strich fällt vielen schwer. Die innere Ruhe bleibt aus, wenn wir über Probleme bei der Arbeit abends im Bett grübeln, oder uns zwei Stunden später immer noch über den Fahrradfahrer aufregen, der uns die Vorfahrt nahm.
Nicht nur, wie lange sich jemand aufregt, sondern auch worüber, führt zu innerer Unruhe. Der Nachbar putzt seine Treppe nicht, auf dem Bürgersteig liegt eine Plastiktüte, in der Kaffeetasse ist ein brauner Rand? Wenn Sie sich maßlos über solche Kleinigkeiten ereifern, können Sie sicher sein, niemals zur Ruhe zu kommen.
Innere Unruhe und die Folgen
Wenn wir uns anspannen, entspannt sich der Körper danach. Wir atmen ruhig, die Herzfrequenz sinkt, der Kreislauf beruhigt sich. Wer ständig unter innerer Unruhe leidet, dessen Körper nimmt Schaden: Krankheitskeime können leichter eindringen, das Immunsystem leistet weniger.
Psychische Störungen lösen nicht nur innere Unruhe aus, Rastlosigkeit kann umgekehrt auch diese Störungen auslösen: Chronische Nervosität kann übergleiten in klinische Depression.
Ursachen für Rastlosigkeit
Die Ursachen für Rastlosigkeit sind mannigfaltig. Dazu gehören:
1) Unterzuckerung: Bekommt der Körper zu wenig Zucker, zeigt sich das in Heißhunger, Schweißausbrüchen, in Zittern, Herzrasen und innerer Unruhe.
2) Niedriger Blutdruck führt ebenfalls zu innerer Unruhe. Diese geht in solchen Fällen einher mit Schwindelgefühlen, Schlafproblemen, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Tinnitus, Niedergeschlagenheit, kalten Gliedmaßen und dem Unvermögen, sich zu konzentrieren. Aber auch hoher Blutdruck führt zu erheblicher Unruhe.
3) Eine Schilddrüsenüberfunktion kündigt sich durch Durchfall, Gewichtsverlust, zitternde Finger, Störungen des Herzrhythmus und Schlaflosigkeit aus. Die Betroffenen sind chronisch nervös.
4) Alkohol, Koffein und Nikotin, allein oder zusammen, führen zu nervösem Verhalten. Generell gilt: Je mehr Kaffee und Red Bull wir zu uns nehmen, je mehr Zigaretten wir rauchen oder je mehr Schnaps wir trinken, umso unruhiger werden wir.
5) Innere Unruhe ist ein Leitsymptom beim Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom.
6) Persönlichkeitsstörungen kennzeichnet generell innere Unruhe, verbunden mit Suchtproblemen, massiven Ängsten, negativen Stimmungen, die außerdem schwanken, und Müdigkeit.
Offen sichtbar ist die Nervosität bei Bipolaren, wenn sie sich in einer manischen Phase befinden: Diese Menschen laufen dann rastlos umher, überschlagen sich in ihrem Rededrang, ohne einen Gedanken zu Ende zu bringen, sie sind ständig „on the run“, schlafen tagelang nicht – sie kommen nicht zur Ruhe.
Menschen mit einer instabilen Störung, werden innerlich unruhig, wenn ihre Stimmungen kippen – das passiert sehr häufig, und deshalb sind sie ständig in einem „Hab Acht“ – Modus.
Rastlos zu sein ist auch Ausdruck einer klinischen Depression, dazu kommt Hoffnungslosigkeit, Druck auf der Brust, Apathie, das Unvermögen, Freude zu empfinden, Antriebslosigkeit und eine allgemein gedrückte Stimmung.
Schizophrene leiden unter starker Anspannung, sie können sich nicht konzentrieren, sind empfindlich gegenüber Geräuschen, Licht und Lärm – und sie kommen innerlich nicht zur Ruhe.
7) Lungenembolie. Verstopft eine Lungenarterie, sei es durch einen Blutklumpen, Fremdkörper, oder Luft, dann führt das neben Schmerzen beim Atmen, Husten und Angstzuständen, kaltem Schweiß und Herzrasen zu innerer Unruhe.
8) Alkoholiker kennen negative Stimmungen ebenso wie unbegründete Ängste. Innere Unruhe ist erstens ein Dauerzustand bei Alkoholkranken, übersteigerte Nervosität aber zweitens ein Entzugssymptom, wenn sie von der Sucht loskommen wollen.
9) Viele Drogen führen zu Rastlosigkeit. Dazu gehören Halluzinogene wie LSD, Stechapfel, Fliegenpilz oder Psylocibin und Mescalin, aber auch Cannabis.
10) Was für illegale Drogen gilt, gilt auch für legale Medikamente. Nervosität ist eine Nebenwirkung von Amantadin, Theophyllin und Bupropion, außerdem ein Entzugssymptom bei Benzodiazepinen.
11) Ein Sonnenstich führt ebenfalls zu Rastlosigkeit, verbunden mit Schüttelfrost und Schwindelgefühl. Das gilt auch für Verbrennungen.
Therapie
1) Liegt eine ernste Erkrankung vor, dann wenden Sie sich an einen Arzt. Selbst dann helfen jedoch auch eigene Handlungen, um die Unruhe zu mindern.
2) Führen Sie zuerst Tagebuch darüber, wann die Nervosität ausbricht. Arbeiten Sie zu viel? Dann sorgen Sie für Entlastung, wenn es möglich ist. Erzählen Sie Mitarbeitern von ihrem Problem, dem Partner, Verwandten und Freunden.
3) Analysieren Sie, was der Grund für das Übermaß an Arbeit ist. Setzt ihr Chef Sie unter Druck oder Sie sich selbst? Versuchen Sie, in allen Bereichen ihre „Finger drinnen“ zu haben? Dann ist die Aufgabe, zu vertrauen und anderen die Tätigkeiten zu lassen, die Sie nicht unbedingt machen müssen, und die andere besser können.
4) Verlangt ihr Chef schnelle Ergebnisse? Oder Sie selbst? Dann lehnen Sie sich zurück. Entspannen Sie sich. Stress bringt keine guten Resultate. Sie brauchen Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Das kommt sogar der Arbeit zugute.
5) Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, die Sie in Panik versetzen. Wenn Sie selbst zu nervös sind, brauchen Sie in ihrem engen Umfeld keine „Drama-Kings“, die diese Unruhe noch schüren.
6) Entscheiden Sie sich und ehren Sie die Alternativen zu dieser Entscheidung. Die Werbeindustrie versorgt uns rund um die Uhr mit Suggestionen, was wir alles bräuchten, haben und erreichen müssten. Bei jeder Entscheidung für etwas haben wir deshalb notgedrungen das Gefühl, etwas zu verpassen. Damit fehlt uns aber die Ruhe, den Moment zu genießen.
7) Leiden Sie unter Termindruck? Dann legen Sie eine Liste an mit unabdingbaren, wichtigen und unnötigen Terminen. Das sieht erst einmal schwer aus, insbesondere, wenn Sie sich zu sehr engagieren oder mit Beschäftigung von sich selbst ablenken.
Muss der orientalische Tanzkurs wirklich sein, obwohl Sie die Leiterin nicht mögen? Müssen Sie ihre Kinder unbedingt morgens zur Schule bringen, wenn sie auch mit dem Bus fahren könnten? Wenn solche Aktivität für sie mit Stress besetzt ist, lassen Sie sie bleiben.
8) Sind Sie unruhig, weil Sie sich im Alltag immer wieder verheddern? Dann schreiben Sie einen Tagesplan auf. Notieren Sie genau, für welche Aufgaben Sie wie lange brauchen, und wann Sie diese erledigen können. In der Schule gibt es nicht von ungefähr kleine und große Pausen. Planen Sie solche Pausen bewusst in ihre Arbeitsstruktur ein.
9) Wer beliebt ist und zudem hilfsbereit, der hat nicht nur viele Freunde, sondern kennt auch viele Menschen mit Bedürfnissen. Wenn Sie rastlos sind, dann stellen Sie die Bedürfnisse anderer nicht über ihre eigenen. Wirkliche Freunde ertragen es, wenn Sie den Anrufbeantworter nur dann abhören, wenn Sie die Ruhe dazu haben.
10) Sind Sie oft nervös und zugleich ständig in sozialen Netzwerken aktiv? Legen Sie sich feste Regeln für Emails, Whatś app, Facebook, Twitter, Instagramm etc. auf. Sie können sich sonst ohne weiteres 24 Stunden mit nichts anderem beschäftigen, da ständig neue Links und Kommentare erscheinen. Gewöhnen Sie sich außerdem an, nicht auf jede Anfrage zu antworten, auch und gerade dann, wenn es ihnen schwer fällt.
11) Finden Sie heraus, wo sie am stärksten unter Nervosität leiden? In der Wohnung? Am Arbeitsplatz? Suchen Sie bewusst Abstand zu diesen Orten. Gehen Sie in der Natur wandern oder fahren Sie Fahrrad.
12) Beenden Sie den Tag. Homeoffice, Laptop und Internet lassen Tag und Nacht, Arbeit und Freizeit verschwimmen. Setzen Sie sich einen Zeitpunkt, an dem Sie ihr Tagespensum beendet haben. Sie können diese Zeit auch an feste Handlungen binden: Um 20.00 ist Abendbrot, danach nehme ich keine Anrufe mehr an. Oder: Um 19.00 schalte ich das Laptop ab und gehe am Fluss spazieren.
13) Sie können nicht abschalten? Lernen Sie Techniken, sich zu entspannen, Yoga oder autogenes Training, Meditation oder Gymnastik. Dazu können Sie Kurse besuchen, die jede Volkshochschule anbietet.
Vergessen Sie nicht: Die beste Entspannungsübung ist und bleibt auf dem Sofa zu sitzen und einmal nichts zu tun.
14) Gönnen Sie sich heiße Bäder, einen Besuch in der Sauna, Massagen mit Lavendelöl oder Duftlampen mit ätherischen Ölen. Trinken Sie Beruhigungstees.
Die „Eilkrankheit“
Die Psychologien Diane Ulmer und ihr Kollege Leonhard Schwartzburd beschrieben 1996 die hurry sickness. Die Krankheit ist nicht offiziell anerkannt; Ulmer und Schwartzburd umrissen aber Symptome, die typische für Rastlose sind.
Die „Eilkrankheit“ bezeichnet einen Zustand inneren Getrieben-Seins. Die Betroffenen stehen ständig unter Zeitdruck, meinen, sie müssten sich ständig beeilen oder kämen zu spät, für was auch immer. Typisch ist, dass es keinen realen Zeitdruck gibt, oder dass tatsächliche Deadlines die Symptome nicht erklären.
Die Psychologen fragten zum Beispiel, ob die Probanden bei einer roten Ampel nervös würden, es nicht ertragen könnten, in einer Schlange zu stehen, oder Stress-Symptome im Stau auf der Autobahn zeigten.
Eine Gemeinsamkeit der Betroffenen war, dass sie sich ausschließlich für Aspekte des Lebens interessierten, für die sie Ziele erreichen mussten. Die Qualität der Erfahrung spielte sie für kaum eine Rolle.
Ausgeprägt war zudem ein Zwang, zu zählen. „Eilkranke“ schauten nicht nur ständig auf die Uhr, sie registrierten auch minimale Veränderungen an der Börse oder die Ziffern des Blutdruckmessgerätes.
Die Betroffenen berichteten von Gedankenrasen, das ihnen den Schlaf raubte und ihre Konzentration schwächte. Dies ging über in ein zwanghaftes Grübeln über Vergangenheit und Zukunft, wobei sie sich fiktive Ereignisse der Zukunft bis ins kleinste Detail ausmalten. Zugleich konnten sie die Gegenwart nicht wahrnehmen und den Moment nicht genießen. Die Erinnerungen der Betroffenen waren ausschließlich negativ, sie schienen aus vermeintlichen Katastrophen der Vergangenheit auf Desaster der Zukunft zu schließen.
Unklar ist, ob der Terminus „Eilkrankheit“ ein eigenes Phänomen zeigt, denn die negativen Gedanken, das Gedankenrasen und das Grübeln kennzeichnen auch Angststörungen und depressive Krankheiten.
Rastlosigkeit und Depressionen
Klinische Depressionen, die sich mit Antidepressiva behandeln lassen, sind durch folgende Leitsymptome gekennzeichnet: Eine Antriebshemmung, die scheinbar paradox mit einer Unruhe als Körpergefühl einher geht – nicht jedoch mit äußerer Unruhe. Allerdings zeigt sich die agitierte Depression auch in stereotypen Bewegungen, die typisch ins Leere laufen. Hinzu kommt ein verengtes Stimmungsbild, Depressive empfinden weder Freude noch Trauer.
Die Betroffenen trippeln, sie ringen die Hände, sie laufen ziellos hin und her, oft jammern sie dabei in einem monotonen „Singsang“. Hinzu kommt eine extreme, aber ungerichtete Angst. Auch wenn ihr Körper äußerst unruhig ist, können sie keine längeren Tätigkeiten ausführen. Die äußere Unruhe gilt als Symptom einer manifesten Depression.
Subklinisch Depressive spüren hingegen die Unruhe (nur) im Leib. Dieses Gefühl ist für den Arzt ein sicheres Kennzeichen, dass eine Depression vorliegt. Er muss die Betroffenen danach fragen, da sich das Gefühl nicht äußerlich erkennen lässt. Die innere Unruhe unterscheidet eine Depressivität von einer Depression.
Depressive Stimmungen zeichnen sich aus durch eine allgemeine Niedergeschlagenheit und einen negativen Blick auf die Welt und das eigene Leben, nicht aber durch Rastlosigkeit. Um eine Depression zu diagnostizieren, ist die innere Unruhe sogar ein wichtigeres Indiz als die Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden.
Kein Zweifel, dass es sich um eine Depression handelt, besteht, wenn zusätzlich folgende Symptome vorliegen:
1) Denkhemmung. Depressive sind weniger aufnahmefähig und verlieren die Konzentration. Die innere Unruhe zeigt, dass es sich nicht um Demenz handelt.
2) Interessenlosigkeit: Erkrankte verlieren das Interesse an Hobbys, sozialen und beruflichen Zielen. Sie kümmern sich nicht um ihre Beziehungen und Freundschaften. Depression hat hier kein Alleinstellungsmerkmal: Schizophrene durchlaufen ähnliche Phasen und auch tiefe Trauer kann sich so auswirken.
3) Verlust an Selbstvertrauen. Depression bedeutet Nicht können, aber wollen.
4) Selbstvorwürfe. Depressive machen sich selbst für ihren Zustand verantwortlich und quälen sich zusätzlich mit Schuldzuweisungen, die meist keine objektive Basis haben.
5) Reduzierter Ausdruck. Depressive nehmen an Gesprächen nicht teil, ihre Mimik „erfriert“, ebenso wie die Gestik.
6) Kreativitätsverlust: Die Denkhemmung blockiert die intuitiven Einfälle, die Antriebslosigkeit schlägt der Schaffenskraft den Nagel in den Sarg.
7) Minderwertigkeit: Depressive fühlen sich nutzlos, minderwertig und glauben, sie wären eine Last für ihre Mitmenschen.
8) Hoffnungslosigkeit. Die Betroffenen verlieren die Hoffnung, dass es auch in schlechten Phasen irgendwie weitergeht.
9) Entscheidungsschwäche: Wenn Antrieb und Denken gehemmt sind, hat das zur Folge, dass die Kranken sich nicht zum Handeln aktivieren. Sie können sich nicht entscheiden, etwas zu tun.
10) Pessimismus. Depressive fürchten sich vor allem, was im Alltag ansteht, sei es ein Besuch beim Zahnarzt, eine Überweisung bei der Bank oder der Einkauf im Supermarkt.
11) Isolation: Depressive ziehen sich aus sozialen Beziehungen zurück, weil sie selbst sparsame Kommunikation als Belastung empfinden.
12) Zwanghaftes Grübeln. Die Gedanken kreisen, ohne eine Richtung bekommen und peinigen die Betroffenen.
13) Selbstmordgefahr ist bei Depressiven sehr hoch.
Rastlosigkeit bei gleichzeitiger Passivität ist für Erkrankungen aus dem depressiven Formenkreis typisch. Eine Erklärung gibt das Zeitgefühl der Depressiven: Zeit empfinden sie als eingefroren, die Zukunft erscheint ihnen als verloren. Zwischen Vergangenheit und in die Zukunft gerichteten Plänen gibt es keine Verbindung mehr, da die Zukunft als ein schwarzes Loch erscheint.
So fühlen sich Depressive aus den sozialen Beziehungen verbannt, denn die Zukunft in Gegenwart zu verwandeln, aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen, und das in der Vergangenheit Erreichte als Basis für eine Gestaltung der Zukunft zu nehmen, gehört zum Leben.
Innere Unruhe gehört zu dieser „verlorenen Zeit“ untrennbar dazu. Wohin soll sich der Depressive wenden? In die ebenso düstere wie zeitlose Vergangenheit, in die Zukunft, die nicht mehr bringen wird als das Heute? Wer keinen positiven Bezugspunkt findet, der kann keine Struktur entwickeln – Depressive finden keine Ruhe in der Ordnung der Zeit, und ihre Psyche wandert rastlos durch einen leeren Raum, in dem Vergangenheit und Zukunft in einer zeitlosen Schwärze zusammen schrumpfen.
Die Leere, die Depressive empfinden ist rastlos, nämlich ohne Halt. Sie sind Wanderer in der Leere, die keine Pause machen können.
Wann ist der Arzt gefragt?
Dauert die innere Unruhe an und begleiten sie andere Leiden, ob Schwindelgefühl oder Übelkeit, dann gehen Sie zum Arzt.
Der durchleuchtet ihre Krankheitsgeschichte, fragt nach der Dauer der Nervosität, etwaigen Medikamenten und weiteren Beschwerden.
Der Arzt untersucht zuerst den Körper, er misst den Blutdruck und untersucht das Blut, wenn Verdacht auf Unterzuckerung, Schilddrüsenproblemen oder einer Lungenembolie besteht.
Ein Röntgenbild gibt Sicherheit, ob eine Lungenembolie vorliegt.
Tests zeigen, ob psychische Störungen wie Schizophrenie eine Rolle spielen.
Beruhigungstee und Bäder
Ein Beruhigungstee kann zum Beispiel Pfefferminze, Passionsblume, Baldrian und Lavendel enthalten. Sie übergießen die frischen oder getrockneten Pflanzen mit Wasser und trinken morgens wie am frühen Nachmittag einige Tassen. Tipp: Kaffeetrinker, die unter Ruhelosigkeit leiden, tun sich einen Gefallen, wenn Sie das Kaffeeritual durch einen solchen Tee ersetzen.
Für Bäder empfehlen sich Hopfen, Melisse, Heublumen oder Lavendel. Badesalze, die der Entspannung dienen, finden Sie in jeder Drogerie und Apotheke.
Sport wirkt
Sport wirkt innerer Anspannung entgegen. Er fördert die Durchblutung, und das Gehirn erhält so mehr Sauerstoff. Er kurbelt den Stoffwechsel an, und er schüttet die Endorphine aus. Der letzte Punkt ist besonders wichtig, da die Endorphine Wohlbefinden auslösen und so Nervosität dämpfen, die ihre Ursache in psychischen Beschwerden hat.
Sport lenkt außerdem ab: Perfektionisten zweifeln daran, ihrem Ideal gerecht zu werden; Angstgestörte fixieren sich auf das, was ihnen Angst macht und Depressive drehen sich mit ihren schwarzen Gedanken im Kreis. Wer Sport treibt, konzentriert sich auf das Laufen, Schwimmen oder Klettern und lenkt so die negativen Gefühle und Gedanken in eine andere Richtung.
Vorsicht: Sport gegen innere Unruhe dient dazu, Stress ab- und nicht aufzubauen. Nervöse sollten also Maß halten. Wer sich im Job ständig überanstrengt und deswegen nicht einschlafen kann, sollte dieses Leistungsdenken nicht auch noch auf seinen Körper ausdehnen. Es geht darum, ruhiger zu werden, nicht darum, den Weltrekord im Marathon zu brechen.
Übrigens gilt auch das Gegenteil: Leistungssportler, die, aus welchen Gründen auch immer, abrupt mit dem Sport aufhören, werden oft reizbar und sind innerlich getrieben.
Die Erregung des sympathischen Nervensystems wird durch den Sport gedämpft, wenn sie vorher auf Hochtouren lief.
Generell gilt: Nervosität allein ist keine Krankheit. Gesteigerte Rastlosigkeit, die durch soziale Belastungen entsteht, lässt sich mit einfachen Mitteln lindern. Dazu gehört vor allem der Mut, gelegentlich Nein zu sagen.
Verbindet sich Nervosität aber mit psychischen Beschwerden und organischen Erkrankungen, dann sollten Sie unbedingt einen Arzt aufsuchen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression, S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression – Langfassung, 2. Auflage, Version 5, 2015, DOI: 10.6101/AZQ/000364, (Abruf 26.08.2019), ÄZQ
- Bandelow, Borwin et al.: Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, (Abruf 26.08.2019), DGPPN
- Lois Choi-Kain: Persönlichkeitsstörungen im Überblick, MSD Manual, (Abruf 26.08.2019), MSD
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.