Der Iran hat eine lange Geschichte von fast 3.000 Jahren, in denen Medizin einen hohen Stellenwert genoss. Die Geschichte der Medizin im Iran ist ebenso alt wie die iranische Zivilisation und reicht weit in die vorislamische Zeit zurück.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte der iranischen Medizin
Vor der Gründung der beiden berühmten Medizinschulen im antiken Griechenland während des sechsten Jahrhunderts vor Christus, im kleinasiatischen Cnidos und auf der ägäischen Insel Cos, verbreitete sich medizinische Heilkunst auf hohem Niveau in Mesopotamien, Indien und Iran. Die ältesten Schriftquellen, die wir über die iranische Medizin kennen, sind das Avesta und andere religiöse Texte der Zoroaster, einschließlich Denkart und Bundahishn. Sie zeigen die Bedeutung alter medizinischer Glaubensvorstellungen, die sich auf persönliche Hygiene, öffentliche Gesundheit und die Prävention ansteckender Krankheiten konzentrierten.
Die antiken Perser lebten in einem wilden Territorium mit einer großen Vielfalt von Klima und Vegetation; dadurch waren sie vertraut mit diversen Heilpflanzen. Verschiedene medizinische Pflanzen wie Basilikum, Chicoree und Pfefferminze sind im Avesta erwähnt, und das Bundahishn zitiert 30 medizinische Pflanzen.
Persien war in der Antike ein Zentrum des akademischen Wissens. Persische Wissenschaftler führten in Astronomie, Medizin, Mathematik, Literatur und Philosophie. Unter Kyros II wurde das persische Reich das erste Weltreich der Geschichte; es erstreckte sich von der Donau bis Pakistan und von Ägypten bis zum Kaukasus. Das Wissen Griechenlands, Ägyptens, Babylons, Indiens und sogar Chinas floss in die persische Medizin ein und entwickelte sich über 4.000 Jahre hinweg.
Jahrtausende von Eroberungen und Fremdherrschaft konnten dieses Wissen nicht zerstören. Die persischen Wissenschaftler arbeiteten unter ihren neuen Herren weiter, unter Arabern ebenso wie unter Mongolen – und die Herrscher waren auf dieses Wissen angewiesen. Sogar im Mittelalter, das in Europa einen erheblichen Rückschritt in der Medizin bedeutete, produzierte Persien die besten Lehrer in verschiedenen Wissenschaften. Persische Ärzte galten als Vorbild in Europa, und die persische Medizin floss in die europäische Heilpraxis des 13. Jahrhunderts ein.
Iranische Universitäten wie die von Jundsihapur im dritten Jahrhundert waren Brutstätten für eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern verschiedener Zivilisationen. Diese Zentren folgten erfolgreich den Lehren ihrer Vorgänger und entwickelten ihre wissenschaftliche Forschung in der Geschichte weiter. Eine Hauptrolle spielten iranische Lehrer im wissenschaftlichen Bereich in der Bewahrung, Festigung, Koordination und Entwicklung von Ideen und Wissen der alten Zivilisationen.
Einige iranische Hakim (praktische Ärzte) wie Abu Bakr Mohammad Zakariya Al-Razi, im Westen bekannt als Yazes und Abu Ali-Hussain ibn Abdullah Ebn-e Sina, besser bekannt als Avicenna, waren nicht nur verantwortlich dafür, die bestehende Information der Zeit über Medizin zu verbreiten, sondern entwickelten zusätzlich Wissen durch ihre eigenen Beobachtungen, Experimente und Fähigkeiten. „Qanoon fel teb“ von Avicenna (der Kanon) und „kitab al-hawi“ von Razi gehörten zu den elementaren Texten in der westlichen Medizin vom 13. bis zum 18. Jahrhundert.
Die medizinischen Wissenschaften in der Avesta
Laut den antiken Texten etablierte Jamshid, der vierte Pishdadi König, die Vorschrift, mit kaltem und heißem Wasser zu baden. Die Chronisten rühmten ihn, dass unter seiner Herrschaft keine Pflanze verdorrte und kein lebendes Wesen starb. Dies könnte bedeuten, dass während der Zeit von Jamshids Herrschaft die medizinischen Wissenschaften sich zu einem solchen Stand entwickelten, dass Pflanzen und Tiere lange Zeit ohne Krankheit leben konnten.
Die medizinischen Eigenschaften vieler Pflanzen waren den Völkern der iranischen Antike bekannt, das belegen die Texte der Avesta. Die Avesta vermerkt, dass Ahura Mazda Zarathustra 10.000 heilende Pflanzen gab: „Und ich, Ahura Mazda, sende ihm Kräuter, die zu hunderten und tausenden und zehntausenden wachsen um Gaokerena.“ (Gaokerene oder weißes Hom war der König der Heilpflanzen).
Die Avesta nennt Faridun als den ersten weisen Heiler, der „die Krankheit zurück zur Krankheit und den Tod zurück zum Tod schickte, und die Spitze des Schwertes ebenso wegschob wie das Fieber des Feuers von den Körpern der Sterblichen.”
Wir lesen in diesen Quellen außerdem, dass einige der genannten Pflanzen allgemein gebräuchlich waren; so verhängt die Avesta schwere Strafen für die, die Bilsenkraut zur Abtreibung nutzten. Mit der Hilfe von Soma, einer narkotisch wirkenden Pflanze, reiste Ardaviraf in die Welt der Toten, und kam zurück auf die Erde, nachdem er die Unter- und Oberwelt besucht hatte, um über seine Erfahrungen in Ardaviraf nameh zu schreiben.
In Garshab nameh erzählt Garshab, wie ein Wal getötet und sein Gehirn für medizinische Zwecke verwendet wird. Er beschreibt verschiedene Inseln und benennt Pflanzen, die dort wachsen mit einem medizinischen Wert, zum Beispiel, indem sie die Alten jung machen, oder Blumen, deren Duft Gelächter hervorruft.
Im Bondahishn, einem Pahlavi-Text, der vor allem vom Ursprung der Schöpfung handelt, wurden die Grundlagen der Anatomie figurativ beschrieben. Der menschliche Körper wird behandelt als ein Bild der Welt: die Knochen seien die Berge, der Magen der Ozean, die Haut der Himmel, das Fleisch die Erde, die Venen die Flüsse, der Blutkreislauf das Wasser der Flüsse, und die Haare die Wälder. Im Bondahishn wird ein Baum „Baum der vielen Samen“ genannt, und er soll die Samen aller wohltuenden und medizinischen Pflanzen in sich tragen.
In der zoroastrischen Religion war es verboten, Wasser, Erde, Feuer und Pflanzen zu kontaminieren. Die Zoroaster badeten nicht in fließendem Wasser und wuschen darin auch keine dreckigen Objekte; in das Wasser zu urinieren oder zu spucken galt als große Sünde. Stark riechende Dinge wurden niemals in das Feuer geworfen.
Leichen galten als völlig unsauber und niemandem war es erlaubt, sie zu berühren. Sauberkeit im Haus und den Wohnräumen galt als religiöse Pflicht und mindestens einmal im Jahr war der Frühjahrsputz eine öffentliche Pflicht vor dem Neuen Jahr. Wilde Kräuter wurden immer im Haus verbrannt, um Insekten zu töten – eine Tradition, die bis heute besteht.
Die vorislamische Zeit
In einer Passage der Vendidad, einem der überlebenden Texte der Zandavesta, werden drei Arten der Medizin unterschieden: Medizin des Messers (Chirugie), Medizin mit Pflanzen und Medizin mit heiligen Worten; die Medizin mit heiligen Worten galt als beste Medizin. Ebenso wie im vedischen Indien war mantrische Medizin die wichtigste, und Krankheit war das Ergebnis eines Aktes der übernatürlichen Kräfte, besonders der Dämonen. Das ist der Grund für zehntausend Heilpflanzen, die Ohrmazd schuf, um die zehntausend Krankheiten abzuwehren, die der böse Gott Ahriman geschaffen hatte.
Die zweite Epoche fällt in die Ära, die als Pahlaviliteratur bekannt ist. In dieser Zeit wurde der gesamte Bereich der Medizin systematisch in dem enzyklopädischen Werk von Dinkart behandelt, welches 4.333 Krankheiten erörtert.
Die dritte Ära begann mit der Dynastie der Achaemeniden und erstreckt sich über die Zeit von Darius I., dessen Interesse an Medizin angeblich so groß war, dass er die Medizinschule in Sais, Ägypten, wieder errichtete, die zuvor zerstört worden war.
Das erste Lehrkrankenhaus, wo Studenten unter Aufsicht von Ärzten methodisch an Patientinnen und Patienten ausgebildet wurden, war die Akademie von Gundishapur im Persischen Reich. Einige Fachleute sagen sogar: Zu einem großem Teil geht das gesamte Krankenhaus-System auf Persien zurück.
Laut dem Vendidad mussten Ärzte, um ihre Professionalität zu beweisen, drei Patientinnen oder Patienten heilen, und wenn sie scheiterten, durften sie keine Medizin ausüben. Auf den ersten Blick klingt das diskriminierend und nach Menschenversuchen. Aber einige Autoren merken an, dass Ärzte von Anfang an mentale Barrieren niederrissen und Feinde ebenso wie Freunde behandelten. Die Bezahlung für die Dienste des Arztes richtete sich nach dem Einkommen des Patienten oder der Patientin.
Lange vor dem Islam beeinflusste die persische Wissenschaft die griechische Philosophie. Die ersten vorsokratischen Denker lebten in Kleinasien unter persischer Herrschaft. Thales von Milet und Heraclitus von Ephesus führten die persische Wissenschaft in eine liberale griechische Gesellschaft ein, die willig die neuen Einflüsse aufnahm.
Die Zeit der kulturellen Blüte Griechenlands ist nicht nur eine lokale Errungenschaft, sondern wurde gestützt von einer langen Tradition des Wissenschaftstransfers von Persien nach Griechenland von 600 bis 300 vor Christus.
Die Universität von Gundishapur
Das exakte Datum der Gründung der Gundishapur-Schule ist unbekannt, aber die meisten Forscher vermuten, dass sie zur Zeit Shapurs II (309-379 nach Christus) gegründet wurde. Der neunte König der Sassaniden, Shapur II, wählte die Stadt zu seiner Hauptstadt und ließ das älteste bekannte medizinische Zentrum der Welt bauen, das außerdem eine Universität und eine Bibliothek mit 400.000 Büchern enthielt.
Gundishapur war vermutlich das erste Lehrkrankenhaus der Welt. Laut dem christlichen Chronisten Georgy Zeidan, etablierte Khosrow Anushiravan eine Institution, wo Ärzte sich methodisch um die Kranken kümmerten und wo Studenten unter Anleitung von Lehrern aus Griechenland und Indien lernten.
Die Schule war ein wichtiges Zentrum der Medizin und wurde bekannt als „Stadt des Hippokrates“ (Cuitus Hippcratica). An dieser medizinischen Institution wurden die hippokratischen (460-377 vor Christus) und galenischen Traditionen (130-199 nach Christus) gelehrt – zusammen mit dem reichen persischen und indischen Erbe kombiniert wie entwickelt, übernahm sie die islamische Welt.
Die Medizinstudenten lernten, dass sie in der praktischen Heilkunde die optimalen Expertenratschläge ernst nehmen mussten, um den Patienten in seinem Leiden zu verstehen, dass sie sich Zeit nehmen mussten zuzuhören, um dann ihr Wissen der medizinischen Wissenschaft auf die individuellen Krankheitsprobleme und die gesundheitliche Situation anzuwenden. Sie lernten, mit ihren Patienten zusammen die Krankheit zu diagnostizieren, und Entscheidungen über erfolgreiche Therapien zu treffen.
Die Universität war zugleich ein Zentrum geächteter Wissenschaftler aus anderen Teilen der Welt. Philosophen der Schule von Athen, die in ihrer Heimat verfolgt wurden, fanden hier ihr Refugium und besetzten anspruchsvolle Positionen. Ihnen wurde erlaubt, die griechische Philosophie zu lehren – als Gastdozenten.
261 nach Christus fand an der Gundishapur Universität ein medizinischer Kongress statt. Neben iranischen Ärzten nahmen auch zahlreiche Doktoren aus Griechenland, Rom und Indien teil; auch jüdische Gelehrte bereicherten die Diskussion über Diagnosen und Behandlungen von Krankheiten. Die Ergebnisse der Diskussionen wurden schriftlich festgehalten, sodass nach dem Kongress ein Kongressbuch veröffentlicht werden konnte, das alle wesentlichen Punkte enthielt.
Die islamische Zeit
Die iranische Wissenschaft erlitt einen Einbruch durch die Invasion der Araber 630 nach Christus. Die Eroberer zerstörten Schulen, Universitäten und Bibliotheken, sie verbrannten Bücher und töteten Lehrer. Nichtsdestotrotz machten die iranischen Wissenschaftler weiter und die Wissenschaft Persiens trat in der islamischen Zeit wieder in den Vordergrund. Um die Bücher vor der Zerstörung durch die Araber zu schützen, wurden viele von ihnen aus der Pahlavizeit ins Arabische übersetzt, und in der islamischen Periode brachte der Iran Mediziner und Wissenschaftler wie Avicenna und Rhazi hervor.
Die erste direkte Kommunikation zwischen der Universität von Gundishapur und dem islamischen Bagdad begann während der Zeit des zweiten Abassidenkalifen, Abu Jaafar Mansour (755-774 nach Christus). Al-Mansour setzte Bagdad als Hauptstadt ein. Er war der erste Kalif, der Astronomen an seinen Hof nahm und sie als Berater in allen Angelegenheiten einsetzte – und dafür setzte er auf das Wissen der Iraner.
Der Direktor der Universität, Jirjis, wurde ebenfalls einbezogen, um den Kalifen zu beraten, viele Ärzte aus Gundishapur spielten wichtige Rollen in der Entwicklung der islamischen Medizin und pharmazeutischen Wissenschaft. Viele der Heilpflanzen, die in islamischen Medizinbüchern genannt werden, tragen die Namen, mit denen sie in Gundishapur bezeichnet wurden.
810 nach Christus ließ Kalif Harun el Raschid ein Krankenhaus in Bagdad bauen, um mit dem berühmten Krankenhaus in Gundishapur zu wetteifern, und Ärzte des alten Zentrums wurden in das neue Hospital gebracht. Nachdem die Dozenten, Philosophen und Lehrer aus Gundishapur in Bagdad versammelt waren, fußte der Abbasidenhof in Bagdad auf einer effizienten Infrastruktur.
Krankenhäuser
In der frühen islamischen Zeit wurden viele Krankenhäuser gegründet. Das alte persische Wort Bimaristan bedeutet Krankenhaus. Der mittelalterliche Islam übernahm den Begriff und bezeichnete damit offizielle Hospitäler mit einem professionellen Personal.
Das erste islamische Krankenhaus wurde 707 in Damaskus gegründet, mit der Hilfe von Christen. Die wichtigste medizinische Einrichtung entstand jedoch in Bagdad; es öffnete in der Regierungszeit von Harun al-Rashid im achten Jahrhundert. Er ließ es nach persischem Vorbild errichten und nannte es Bimaristan. Angeschlossen war ein bayt al-hikmah (Haus der Weisheit), in dem Professoren und Graduierte von Gundishapur unterrichteten. Der erste Direktor wurde der christliche Arzt Jibrael ibn Bukhtishu aus Gundishapur; spätere Leiter waren Muslime.
Islamische Krankenhäuser schrieben als erste Berichte über Patienten und den Verlauf der medizinischen Behandlung. Studenten waren verantwortlich, diese Berichte zu führen; danach überprüften Doktoren diese und bezogen sich darauf in zukünftigen Behandlungen.
Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi (Rhazes)
Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi, bei den Gelehrten Europas im Mittelalter bekannt als Rhazes, Razi oder Rasis (865-925), war ein persischer Alchemist, Chemiker, Arzt, Philosoph und Lehrmeister. Er ist bekannt als Universalgelehrter und wird genannt als der wohl größte und originellste unter allen Ärzten der islamischen Zeit, und als einer der profiliertesten Autoren.
Abu Bakr Muhammad ibn Zakariya al-Razi kam in Ray zur Welt, einer Stadt nahe dem heutigen Teheran im Nordosten des Iran. Man nimmt an, dass er seine frühen Jahre mit dem Studium der Medizin und Philosophie verbrachte.
Razi sammelte fundamentale Erkenntnisse auf den Feldern der Medizin, Alchemie, Musik und Philosophie, die er in mehr als 184 Büchern und Artikeln veröffentlichte. Er war versiert im medizinischen Wissen der Perser, Griechen und Inder und ermöglichte diverse Fortschritte in der Medizin durch eigene Beobachtungen und Entdeckungen. Weit mehr noch: In seinen ersten Werken setzte er sich mit dem Wechselspiel zwischen psychischen und physischen Erkrankungen auseinander und führte die Psychosomatik in die akademische Medizin ein.
Dabei war er aber alles andere als ein reiner „Seelenarzt”. Er schätzte das niedergeschriebene Wissen und missbilligte Schlussfolgerungen, die die tradierten Erfahrungen ignorierten. Seine eigenen Erkenntnisse baute er systematisch auf den Überlieferungen auf. So studierte er das umfangreiche Werk von Galen und baute darauf einen Lehrplan für das Medizinstudium auf, der über Jahrhunderte hinweg gültig bleiben sollte. Seine eigenen Hypothesen erprobte er so lange, bis sie eindeutige Aussagen zuließen – mit anderen Worten: Er legte den Grundstock für die empirische Methode der Neuzeit.
Diese scharfe Analyse behielt er auch in philosophischen Fragen bei und negierte die Unantastbarkeit religiöser Texte, wenn ihre Informationen unzureichend waren. So kritisierte er den Koran in einer Weise, die ihn unter dem heutigen Mullah-Regime zumindest in das Gefängnis bringen würde: „Sie behaupten, dass das offensichtliche Wunder in Form des Korans jedem zugänglich ist. Sie sagen ‘Wer auch immer dies verneint, sollte etwas vergleichbares reproduzieren’. Tatsächlich könnten wir tausend ähnliche Erzeugnisse reproduzieren, aus dem Werk von Rhetorikern, eloquenten Sprechern und wackeren Poeten, deren Formulierungen treffender und kürzer sind. Sie können ihre Absichten besser mitteilen und auch ihre Reimprosa hat einen besseren Rhythmus. Bei Gott, was Sie uns erzählen erstaunt uns sehr! Sie sprechen über ein Buch, das alte Mythen aufzählt und zur selben Zeit voller Widersprüchlichkeiten ist und keine wertvollen Informationen oder Erklärungen beinhaltet. Dann sagen Sie ‘Produziert etwas vergleichbares!'”
Er war ein Pionier der Augenheilkunde und unterschied als erster Masern und Pocken als unterschiedliche Krankheiten. Als Alchemist ist Razi bekannt für seine Studien zu Schwefelsäure und die Entdeckung des Alkohols; er war ein exzellenter Chirurg und benutzte Opium dabei als Narkotikum. Al-Razi erörtere eine Methode, Leichen zu konservieren. Dazu wurden die Eingeweide entfernt, die Körperhöhlen mit Essig und Weingeist ausgewaschen, und danach der Körper mit Salz gefüllt. Diese Methode wurde bis in die Neuzeit praktiziert.
Razi wurde der Chefarzt der Krankenhäuser in Bagdad und Rey. Besonderen Wert legte er auf Heilung und Prävention durch gesunde Ernährung, die ihm zufolge wiederum die psychische Verfassung beeinflusste.
Avicenna (Ibn Sina)
Abu Ali al-Husayn ibn Sina ist in Europa unter seinem latinisierten Namen Avicenna bekannt. Er kam 980 nach Christus in Afshaneh nahe Bukhara zur Welt. Avicenna schrieb circa 450 Werke, von Physik über Philosophie, bis hin zu Astronomie, Mathematik, Logik, Dichtkunst und Medizin, darunter den „Kanon der Medizin”, eine Enzyklopädie, die unser Verständnis vom menschlichem Körper und seinen inneren Prozessen für immer veränderte. Dieses Meisterwerk der Wissenschaft und Philosophie – oder Metaphysik – blieb sechshundert Jahre Standardwerk im Medizinstudium.
Sein Kanon der Medizin ist eine immense Studie mit mehr als einer Million Worten. Er umreißt ebenso die Ursachen von Krankheiten wie die Ursachen für gute Heilungen. Der Kanon enthält eine Vielzahl von damals einzigartigen Beiträgen, zum Beispiel über die ansteckende Natur von Krankheiten wie Tuberkulose. Das erscheint heute selbstverständlich; dass Seuchen aber von Mensch zu Mensch übertragen werden, wusste die europäische Medizin jedoch selbst bei der Pestwelle 300 Jahre nach Avicennas Tod noch nicht. Avicenna erörtert weiter, wie Krankheiten sich durch Wasser und Erde verbreiten. Weitere Kapitel des Kanons widmen sich zum Beispiel medikamentöser Behandlung, Anatomie, Psychologie und Chirurgie.
Außer Philosophie und Medizin umfasst das Werk Texte über Astronomie, Alchemie, Geographie und Geologie, islamische Theologie, Logik, Mathematik, Physik und Dichtung.
Avicenna gilt als Vater der modernen Medizin, weil er wertvolle Anstrengungen unternahm, klinische Versuche einzuführen und Medikamente experimentell zu testen. Er entwarf außerdem ein praktisches Lehrbuch für praktische Experimente, um die Effektivität von natürlichen Heilsubstanzen zu entdecken und zu prüfen. Er fasste die vier Temperamente zusammen: Zwei von den elementaren Qualitäten, heiß und kalt, waren aktiv, zwei waren passiv, nämlich trocken und feucht. Gesundheit bedeutet demnach, dass sich die Stärke aller Temperamente in Balance befindet. Auf dieser Basis entwickelten die Ärzte seiner Zeit verschiedene Methoden, Erkrankungen zu heilen.
Avicenna entdeckte nicht nur den Blutkreislauf; er bildete auch die inneren Organe präzise ab – zum Beispiel die Gebärmutter. Dem Koran zufolge war es eine Todsünde, den menschlichen Körper zu öffnen, denn damit würde sich der Mensch mit dem Schöpfer gleichsetzen. Avicenna setzte sich aller Wahrscheinlichkeit nach über das Verbot hinweg und sezierte heimlich Leichen.
Im Iran wachsen tausende von Pflanzen, und zahlreiche davon sind endemisch. Avicenna kannte viele davon: Der iranische Lavendel half gegen Magen-/Darmerkrankungen; der Aronstab heilte Lungenentzündungen und Gicht; das Harz des Astágalusbaums half gegen Erkältung; die persische Zwiebel wirkt antibakteriell. Avicenna setzte die Bittermandel gegen Nierensteine ein.
Das ins Latein übersetzte Werk Avicennas brachte den Markt für iranische Heilkräuter in Europa in Schwung. Über Syrien gelangten sie nach Venedig und von dort nach Mitteleuropa. Hierzulande angekommen, waren sie wertvoller als Gold.
Stagnation unter den Safawiden
Die iranische Heilkunde war im Mittelalter der europäischen Medizin überlegen und galt ihr als Vorbild. Sie hatte die politischen Umbrüche überstanden und sich sogar weiterentwickelt. Die herausragende Rolle der persischen Medizin (und Wissenschaft) seit der Antike hatte vor allem zwei Gründe: Den Zoroastrismus und die Infrastruktur des persischen Weltreichs. Die Zoroaster hatten sinnvolle Hygiene und wissenschaftliche Forschung in den Rang der Religion gehoben; das Perserreich verfügte über einen einzigartigen Zugang zu Wissenszentren der Alten Welt: Ägypten, Mesopotamien und Indien – mit Kontakten zu China und Griechenland.
Die arabischen Eroberer führten zwar den Islam ein, und ihre islamische Herrschaft begann damit, die persische Tradition zu unterdrücken. Nachdem sie jedoch anfangs die Rituale der Zoroaster verfolgten und Bibliotheken zerstörten, machten sie sich, als sie ihre Herrschaft etabliert hatten, die persische Wissenschaft zu Nutzen – unter islamischem Siegel und in arabischer Sprache.
Die persische Wissenstradition erwies sich dabei als ausgesprochen zäh. Sie hatte den gewalttätigen Wechsel diverser Dynastien erlebt, und die Kalifen waren auf die persischen Gelehrten ebenso angewiesen wie ihre antiken Vorgänger. So blieb unter islamischer Herrschaft die persische Tradition bewahrt und mit ihr auch die Erkenntnisse des antiken Griechenlands, Mesopotamiens und sogar Ägyptens, die in Europa in den Wirren der Völkerwanderung und unter dem katholischen Dogma verlorengingen. Unter der Herrschaft der Mongolen verhielt es sich nicht anders; die neuen Herrscher aus den Steppen des Ostens gingen zwar bei ihrem Einfall in die islamische Welt gnadenlos vor; sie verübten den wahrscheinlich damals größten Völkermord der Geschichte – in kulturellen Belangen waren sie aber tolerant, und die persischen Gelehrten stellten alsbald wieder den intellektuellen Unterbau.
Doch in der frühen Neuzeit stagnierte die persische Medizin. Die Safawiden kamen im 16. Jahrhundert an die Macht, und sie gehörten den Schiiten an. Um sich von ihren osmanischen Feinden abzugrenzen, erhoben sie die Zwölferschia zur Staatsreligion. Bereits der frühe Islam hatte die zoroastrische Tradition bekämpft und mit ihr die damit untrennbar verbundene traditionelle Medizin. Doch sie konnte sich unter den neuen Vorzeichen wieder errichten.
Jetzt verwiesen jedoch nicht nur Muslime die Zoroaster (wie auch Juden und Christen) auf die untergeordneten Positionen, sondern eine islamische Schule, die Schia, unterdrückte die andere, die Sunniten. Iranische Sunniten wanderten deshalb in großer Zahl aus, insbesondere Gelehrte und darunter viele Mediziner. Sie arbeiteten fortan für den, im Vergleich zu den schiitischen Rechtsgelehrten liberalen, Großmogul Indiens. In der Safawiden-Zeit arbeiteten Hakim indessen auch im Iran weiter, so florierte das Iman Reza-Krankenhaus, und deren Ärzte beschrieben die Wirkung von unzähligen Medikamenten.
Die geografische Lage bot nicht mehr den Vorteil als Schnittstelle zwischen den Hochkulturen wie in der Antike und Mittelalter: Die Schiiten waren auch im Islam eine Minderheit, und die Ausrichtung auf die Schia isolierte den Iran politisch und trocknete den Wissenstransfer aus. Während Avicenna und Razi aufklärerische Ansichten vertraten, hinter denen das damalige Europa weit zurückblieb, kam die Aufklärung des 18. Jahrhunderts aus Europa und sickerte nur punktuell in den Iran ein.
Im Imperialismus des 19. Jahrhunderts blieb der Iran zwar souverän, wurde aber zugleich isoliert. Die Briten beherrschten Indien und die Küste des Persischen Golfs; im Norden stand das russische Reich, und der Iran war von der Modernisierung abgeschnitten. Iraner reisten jetzt nach Europa und verglichen die dortigen Industriegesellschaften mit dem „rückständigen“ Iran.
Moderne Medizin in Dar al-Fonun
Der vierte Quajar-König, Naser- ad Din Shah, regierte von 1848 bis 1896. Er wollte den Iran modernisieren und sein Minister Amir Kabir sollte die dazu nötigen Maßnahmen einleiten. Amir Kabir gründete 1851 das erste moderne Institut für höhere Bildung, das so genannte „Dar al-Fonun“, das Haus der Technik.
Eines der Fächer war Medizin; heute gilt das damals etablierte Studium als Hauptschritt, die moderne Medizin im Iran einzuführen. Anfangs wurden die Studenten im Dar al-Fonun vor allem von Österreichern ausgebildet, mit der Hilfe von einheimischen Dolmetschern. Bereits 1860 waren die Dozenten der medizinischen Fakultät aber multinational. Europäische Ärzte lehrten also im Haus der Technik, und so lernten iranische Ärzte die westliche Medizin und schrieben Bücher über die moderne Medizin, die damals im Westen praktiziert wurde.
Unter den Ärzten in Dar al-Fonun war Dr. Johan Louis Schlimmer, ein holländischer Arzt. 1819 geboren, schloss er sein Studium an der Medizinischen Hochschule von Leiden ab. 1849 kam er in den Iran und wurde nach Talesh geschickt. Dann arbeitete er in Rashat, in der Guila Provinz im Nordiran, wo er sich einige Jahre der Behandlung von Leprakranken widmete. 1855 wurde er der Stellvertreter von Dr. Jacob Eduard Polak (1818-1891) in Dar al-Fonun; der Österreicher arbeitete dort als Medizindozent.
Schlimmer arbeitete bis 1864 in der Hochschule, zuerst in Französisch, später lernte er Persisch und unterrichtete die Studenten in ihrer Muttersprache. Er forschte zu Krankheiten wie Lepra und Cholera und war verantwortlich für die klinische Ausbildung der Medizinstudenten am staatlichen Krankenhaus, das 1852 errichtet wurde.
Der Iraner Mirza Reza Mohandes plante das Institut, und der Architekt Taqi Khan Memar-Bashi baute es unter Aufsicht des Quajariprinzen Bahram Mirza. Dazu gehörten ein Theater, eine Bibliothek, eine Cafeteria und ein Verlagshaus. Doch 1930 ließ Mirza Yahya Khan Qaragozlu es zerstören und neu bauen – in einem russischen Design.
Heutige Medizin im Iran
1849, mit der Gründung von Dar-al-funun, begann eine neue Ära der iranischen Medizin. Bis die Tehran University entstand, war Dar-al-funun das einzige moderne medizinische Zentrum des Landes. 1925 praktizierten 650 dort ausgebildete Hakim im Iran. 1938 gründete sich die Tehran University School of Medicine und iranische Graduierte kehrten von den Medizinischen Hochschulen Europas zurück. Damit fand der Iran den Anschluss an die modernen Spezialisierungen und die bereits auf „Apparaten“ fußende Praxis. Das Pahlavi Hospital (heute Iman Khomeini Hospital) errichtete Räume für Endokrinologie und Metabolismus.
In den Jahrzehnten nach der Islamischen Revolution 1979 verdoppelte sich die Bevölkerung des Iran, die Anzahl an Universitäten und Studierenden verzehnfachte sich indessen. Alle ausländischen Ärzte in den Kliniken wurden durch junge iranische Graduierte ersetzt. Trotz der schwierigen Umstände, eines achtjährigen Krieges mit dem Irak, politischer Gehirnwäsche, dem Ausschluss iranischer Wissenschaftler in internationalen Fachzeitschriften, und den Sanktionen der westlichen Welt, die dafür sorgten, dass notwendige technische Geräte fehlten, entwickelte sich die medizinische Wissenschaft im Iran.
Iranische Ärzte
Arzt ist im heutigen Iran ein hoch anerkannter Beruf. Das liegt zum einen an der historischen Größe der persischen Medizin, zum anderen an den, im Vergleich zu Westeuropa, massiven sozialen Problemen. Ein Arzt zu sein bedeutet die Sicherheit, einen gut bezahlten Job zu haben und zugleich zur Bildungselite zu gehören. Nur die Besten werden zum Medizinstudium zugelassen, und wer sich als Arzt niederlässt, hat zudem eine umfangreiche Ausbildung hinter sich. Das Niveau an den Universitäten im Iran ist hoch, und viele Iraner studieren im Ausland.
Die Anzahl der Ärzte unter den Bürgern mit iranischem Migrationshintergrund ist sehr groß: In Österreich zum Beispiel ist jeder 13. Austroiraner Absolvent eines Medizinstudiums.
Viele international bekannte Ärzte kommen aus dem Iran, zum Beispiel Professor Samii in Hannover, der Mikrochips an Nervenzellen knüpfte und so Tauben das Hören ermöglichte. Jetzt forscht er an Methoden, die Querschnittsgelähmte heilen sollen. Ebenfalls in Hannover arbeiten Dr. Azmi und Dr. Rahimi, die neue Operationsmethoden entwickelten, die Amputationen verhindern können. Die iranischen Ärzte gründeten 1961 die „Vereinigung der Iranischen Ärzte und Zahnärzte in der Bundesrepublik Deutschland“(VIA).
Buchrezension „Wissenswege als Kulturbrücken“
„Wissenswege als Kulturbrücken“ beleuchtet, wie im Nahen Osten die Wissenschaften blühten, während Mitteleuropa im Mittelalter zurückfiel. Das reichte, wie die Autoren belegen, von kritischer Geschichtsforschung über Staatstheorien bis hin zu fortschrittlichen medizinischen Methoden. So praktizierten islamische Ärzte nicht primär eine am Glauben ausgerichtete Medizin, sondern bezogen sich auf die für die damalige Zeit rationalen Ansätze der antiken Griechen.
Johannes Gottfried Meyer zeigt, dass Ibn Sinas Verdienst darin lag, die gesamte Medizin in einem logischen System dargestellt zu haben. Abgesehen von der persischen Art hätten aber die Zentren der Medizinwissenschaft des Islam im spanischen Al Andalus und dort besonders in Cordoba gelegen. Die dortigen Schriften, wie die von Ibn Rushd, der 1198 in Marrakesch starb, seien in Toledo schnell ins Lateinische übersetzt worden.
Wichtig wurden auch islamische Schriften zur Gesundheitsprävention, wie das Taqwim as-sihha von Ibn Butlan, der seine Quellen tabellarisch darstellte. Er ordnete Lebensmittel in warm, kalt, feucht oder trocken ein, zeigte ihren optimalen Zustand wie frisch, gebacken, getrocknet oder roh, erwähnte die jeweiligen gesundheitlichen Effekte einer Speise sowie ihre negativen Auswirkungen, außerdem Gegenmittel und besondere Wirkungen.
Auch Mayer betont: „So wurde die Arzneimittellehre – also die Pharmazie – des europäischen Mittelalters zu einem guten Teil durch Übersetzungen aus arabischen Werken wie dem Aggregator, aber auch durch das zweite Buch des Canon medicae geprägt. Die Gesundheitsregime fußten derweil nahezu ausschließlich auf arabischen Vorbildern.”
Detlev Quintern zeigt im Kapitel „Seelen leiden, Seelen heilen – Psychologie als Prävention”, dass der arabische Arzt ar-Razi in seinem Werk Spirituelle Medizin (At-Tibb ar-ruhani) sogar Methoden entwarf, die wir heute als Psychotherapie bezeichnen. Ar-Razi entwickelte die Lehre, dass eine seelisch ausgeglichene Lebensführung Krankheiten vorbeugen sollte und bezog sich dabei auf die Seelenlehre von Platon und Galen. So gewährleiste das Eindämmen und Zurückdrängen von Begierden eine ausgeglichene Persönlichkeit. Spirituelle Medizin bedeutete für ar-Razi auch eine ethische Methode, um seelischen Entgleisungen vorzubeugen.
Abu Zaid al-Balhi (850-934) schließlich wurde ein Pionier der Psychosomatik und erkannte, dass seelische Leiden körperliche Krankheiten verursachen. Er beschrieb Phänomene wie Phobien, Depression und Panik. Eine klinische Therapie war Musik.
„Wissenswege als Kulturbrücken“ zeigt den elementaren Beitrag, den Wissenschaftler des Orients zum Fortschreiten der menschlichen Erkenntnis leisteten. Es ist dabei für ein wissenschaftliches Werk einfach zu lesen, gut strukturiert und nicht allzu umfangreich. Besondere Empfehlung!
Fansa, Mamoun, Quintern, Detlev (Hg.): Wissenswege als Kulturbrücken. Wissenschaften im Islam (8. – 16. Jahrhundert); Nümerich Asmus Verlag, Mainz, 2017. (ua)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Fansa, Mamoun, Quintern, Detlev (Hg.): Wissenswege als Kulturbrücken. Wissenschaften im Islam (8. - 16. Jahrhundert); Nümerich Asmus Verlag, Mainz, 2017
- Abdollahi, Manizheh & Pourgiv, Farideh: A Historical-Literary Survey of Medicine in Ancient Iran; in: Research on History of Medicine, Vol. 1, Issue 3, Seite 97-101, 2012, Scientific Information Database
- Academy of Gundishapur. www.iranreview.org (abgerufen am 09.10.2019), Iran Review
- Iranian Science: Gondi-Shapur History & Medical School. www.cais-soas.com (abgerufen am 09.10.2019), Circle of Ancient Iranian Studies
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.